Ansichten eines Informatikers

Die neue Form der political correctness

Hadmut
15.3.2022 10:27

Diesmal von der anderen Seite.

Dass wir unter einem ganz widerlichen linken political correctness-Druck leiden, ist allgemein bekannt, und das habe ich ja auch schon lang und breit beschrieben.

Was mir aber inzwischen enorm auf die Nerven geht: Die „Gegenseite“, ob man sie nun rechts oder konservativ, oder was auch immer nennen will, arbeitet inzwischen (oder schon länger, aber neuerdings fällt es mir eben sehr stark negativ auf) mit denselben Methoden: Du hast Dich gefälligst zu unserem Klassenstandpunkt zu bekennen, sonst bist Du Feind.

So in ersten Zügen ist mir das aufgefallen, als es um das Klima ging. Was nicht ganz stimmt, weil es mir damals noch nicht als solches aufgefallen ist, ich das erst mal nur für ungehobelt hielt, und das erst rückblickend so kategorisiere. Damals wollten viele von mir, dass ich schreibe, dass das mit dem Klimawandel Schwindel ist, und ich zum Thema Klima nur gesagt habe „Sorry, aber da kenne ich mich nicht aus, um das ordentlich beurteilen zu können und mir sicher zu sein, und ich habe gerade einfach nicht die Lebenszeit übrig, mich da auch noch reinzuarbeiten.“ Da gab es schon Gezeter: Der Danisch ist nicht gegen die Regierung! Also ob man nur dann ein guter Danisch ist, wenn man gegen alles, was die Regierung sagt, immer dagegen ist. Wenn die Guten Morgen sagen, muss man sagen, es ist Abend. Und wenn die Dienstag sagen, muss man sagen „Stimmt nicht, mindestens Freitag!“

Ich habe mich zum Klima deshalb auf das beschränkt, was den Wahnsinn auch unabhängig vom sachlich-fachlichen Thema darstellt, Greta, Luisa und solche Erscheinungen.

Ganz schlimm wurde es bei Corona. Eben sollte ich noch Klimaexperte sein, jetzt auf einmal Virenexperte, der einfach allen und jedem nachweist, dass sie falsch liegen, lügen, inkompetent sind. Woher ich dann auf einmal medizinisch-virologisches Fachwissen haben sollte, wo ich eben noch Klimaexperte werden sollte, blieb unklar. Wir sind im Krieg gegen Masken und Impfungen, also hätte ich Bekenntnis abzulegen. Obwohl mich das Thema COVID eigentlich gar nicht so störte. Gegen die Masken habe ich nichts, außer dass sie mir an den Ohren reiben und irgendwann anfangen, schlecht zu riechen, wenn man sie nicht rechtzeitig wechselt. Sie haben aber wohl einen hohen Nutzen.

Die Impfdebatte ist Krieg, aber dazu habe ich meine Herangehensweise schon dargelegt. Ich kann es nicht beurteilen, und gehe daher nach meinen erlernten Management-Methoden vor. Ein Leser hat meinen Standpunkt mal hübsch zusammengefasst: „Schlauer ist man erst hinterher, entscheiden muss man sich aber jetzt.“ Abzuwarten, bis man voll entscheidungsfähig ist, kann den Zweck der Entscheidung vereiteln. Bisher vermag ich der Impfung keine negativen Folgen zuzuordnen.

Vor allem erschien es mir widersprüchlich: Um zu „wissen“, dass die alle lügen, brauche man kein Medizinstudium, das Wissen kann man sich ad hoc auf youtube aneignen um zu erkennen, dass das alles Humbug ist. Die Impfung ist aber Mist, weil nicht in langen Studien nachgewiesen ist, dass sie a) wirkt und b) harmlos ist. Was ist denn nun richtig? Ad hoc drauflosplappern nach Konsum von drei Youtubes, oder jahrelange Testverfahren zum Nachweis?

Das hat alles immer so etwas von der Taktik, vom Gegner alles und von sich selbst gar nichts zu fordern. Das Prinzip der doppelten Maßstäbe. Amygdala. Für das feindliche Rudel sollen ganz andere Regeln als für das eigene gelten. Die Harmlosigkeit von COVID-19 oder sogar dessen Nichtexistenz stünden doch deutlich und für jedermann offensichtlich zu Tage, die Harmlosigkeit der Impfung dagegen müsse erst in langjährigen Studien nachgewiesen werden.

Nun passiert mir das gerade zum dritten Mal, Ukraine-Krieg:

Man muss also, um irgendwie „richtig“ zu sein, unbedingt gegen die Regierungslinie sein und Putin zustimmen. Sonst ist man „auf West-Linie gebügelt“.

Wieder das Prinzip: Die anderen sind die Bösen, und deshalb muss man zwangsläufig die Gegenposition einnehmen, weil das gefühlte Gegenteil des Bösen immer Gut sein muss. Weil es ja keinen Streit zwischen zwei Bösen oder zwei Dummen geben könne. So wie „der Feind meines Feindes muss mein Freund sein“. In der Graphentheorie nennt man das einen „bipartiten Graph“: Es gibt zwei Lager, und jede Feindesbeziehung besteht immer nur mit dem anderen Lager.

Die Möglichkeit zu sagen, dass es ja sein mag, dass die NATO in der Ukraine irgendwas mit Ausbildung treibt, und dass die da Nazis züchten, Krieg aber trotzdem keine akzeptable Reaktion darauf ist, bleibt nicht mehr. Man muss Putin voll gut findenj, sonst ist man ein Propagandist des Westens.

Wurde mir übrigens häufig vorgeworfen. Ausgerechnet ich soll ein bezahlter Propagandist des Westens sein. Den Leuten ist gar nichts zu dämlich. Vor einem halben Jahr hieß es noch von der Gegenseite, ich sei in Propagandist der Russen, weil ich Baerbock kritisiert hatte. Jetzt bin ich einer des Westens, weil ich die Russen kritisiere. Dasselbe Prinzip, derselbe Schwachsinn.

Irgendwie spinnen sie gerade alle.

Vermutlich so eine allgemeine Amygdala-Reizung.

Der Standpunkt, dass man etwas nach seiner Selbsteinschätzung nicht ordentlich beurteilen kann und deshalb meinungsoffen bleibt oder nach Management-Methoden unter Zeitdruck eine vorläufige Entscheidung trifft, wird nicht mehr akzeptiert. Man hat sich gefälligst per Gesinnungserklärung und Tribe-Zeichen zu einem Lager zu bekennen.

Auch die Möglichkeit zu sagen, mag sein, dass die NATO da in der Ukraine irgendwas treibt, und mag sein, dass die da Nazis züchten, aber das ist trotzdem kein Grund, die Ukraine derart zu überfallen, wird nicht akzeptiert. Putin müsse nicht hinnehmen, dass die NATO vor seiner Nase herumtanzt.

Was ich nebenbei für falsch halte, weil Russland nicht nur sehr groß ist, und etwas, was an der Grenze passiert, deshalb immer noch genug Sicherheitsabstand hat, sondern auch, weil es widersprüchlich ist: Russland sei souverän und habe das Recht sich zu verteidigen und sein Militärbündns zu wählen. Und die Ukraine? Hat die dieses Recht auch? Wer Putin befürwortet, der muss erst mal erklären, warum Russland mehr Staatsrechte haben soll als die Ukraine. Warum Russland sich militärisch gegen alles wehren können soll, wovon es sich bedroht fühlt, die Ukraine aber nicht.

Und Nazis haben wir hier in Deutschland auch. Es beschweren sich doch regelmäßig welche, dass die sogar in den Landtagen und im Bundestag säßen. Wäre es deshalb gerechtfertigt, Deutschland zu bombardieren?

Was mich vor allem stört, ist, dass einem Recht und Möglichkeit abgesprochen werden, sich seine Meinung selbst zu bilden. Es wäre ja noch irgendwo innerhalb einer Nachvollziehbarkeitsgrenze, wenn es sich im Rahmen des „Du Depp, was bildest Du Dir für eine dumme Meinung!“ hielte. Dann könnte man antworten „Sorry, ich kann es halt nicht besser, auch der Dumme und der Einfältige haben Meinungsfreiheit.“ Aber es wird einem immer unterstellt, die Marionette irgendeiner finsteren Macht zu sein oder bezahlt und gesteuert zu werden, von irgendwem gesteuert, beeinflusst, gehirngewaschen zu werden.

Amygdala-Denken?

Kein Individuum mehr, sondern nur noch ein Repräsentant eines feindlichen Kollektives, des feindlichen Rudels?