Ansichten eines Informatikers

Von der Unmöglichkeit des Ausmistens

Hadmut
30.3.2022 16:50

Ich leide unter einem unerfüllbaren Drang.

Ich habe den Drang, mal die Wohnung auszumisten. Hat sich über die letzten 10, 20 Jahre zuviel Zeug angesammelt.

Gut, es ist nur wenig dabei, was ich überhaupt nie brauchte. Kommt selten vor, aber kam schon vor, dass ich Sachen gekauft habe, die ich dann nie brauchte, aber wies sagt man so schön: Hinterher ist man immer schlauer.

Ich habe aber Sachen, die ich schon gebraucht, benutzt habe, und die im Verdacht stehen, künftig nicht mehr gebraucht zu werden. 10 oder mehr Jahre alte Computer (die, das möchte ich betonen, unter Linux immer noch brauchbar zu betreiben sind und funktionieren, aber bis vor kurzem einfach betriebswirtschaftlich nicht mehr im Verhältnis dazu standen, was man neu billig kaufen konnte, was dann stromsparender, schneller, moderner war, DDR4 statt DDR2, M.2 NVMe statt 2,5-Zoll SATA und so weiter. Oder von einem billigen Raspberry Pi abgehängt.

Anzüge und Krawatten. Mir geht’s besser, seit ich die nicht mehr trage. Ich hatte neulich schon mal einiges an Klamotten abgegeben, weil ich schlicht nicht mehr reinpasste (Keine Kommentare!), aber woher weiß man, ob das nicht doch noch mal aufkommt? Oder man irgendwo landet, wo es doch noch mal gebraucht wird? Wer weiß, was die Zukunft bringt?

Objektive mit Minolta-/Sony- A-Bajonett. Die haben eigentlich auch keine Zukunft mehr, weil Sony das A-Bajonett wohl gerade beerdigt hat. Es gibt noch Adapter, aber der Adapter, der mit diesen alten Objektiven noch funktioniert, hat eine Spiegelscheibe im Strahlenweg. Das will man nun auch nicht.

Ich habe noch eine Ventilsitzfräse. Ein Werkzeug, das kaum jemand kennt. Habe ich vor rund 30 Jahren mal gekauft und damit erfolgreich Wasserhähne instandgesetzt, die nicht mehr dicht hielten. Aufgeschraubt, korrodierten Ventilsitz vorsichtig glattgefräst, neue Dichtungen rein, und gut ist es wieder. Nur: Diese Wasserhähne mit getrennten Ventilen für warmes und kaltes Wasser gibt es ja nicht mehr, es dominiert die Einhebelmischarmatur.

Einen 25 Jahre alten und nur einmal benutzten Elektrohobel. Ich hatte bei IKEA IVAR-Schränke gekauft, die schlecht gefertigt waren. Man bekam die Schubladen nicht zu, weil die Frontplatten (Massivholz) allesamt einige Millimeter zu hoch waren. Statt die Schränke wieder zu zerlegen und sie 60 km zurück zu IKEA zu fahren, habe ich damals den Hobel gekauft und die Schubladen unter Erzeugung von enorm viel Sägespänen auf dem Balkon passend gemacht. Die Schränke habe ich nach Umzügen vor 10 Jahren verkauft, der Hobel liegt immer noch im Keller rum. Keine Ahnung, ob der nach 25 Jahren Rumliegen überhaupt noch taugt. Ich habe noch einen Bohrhammer, den ich mal geschenkt bekommen habe, aus dem schon vor 15 Jahren durch Rumliegen und Nichtbenutzung das Öl rausgelaufen ist, weil das Getriebe gefettet ist und sich die Bestandteile des Fettes getrennt hatten, wenn man es nicht bewegt. Vor 8 Jahren habe ich ihn nochmal benutzt, da hat er noch prima funktioniert. Was ich von meinem kleinen Bosch-Mini-Akku-Bohrhammer nicht behaupten würde. Der hat mir zwar schon viele gute Dienste geleistet (weshalb der Große nicht zum Einsatz kam) und ist erstaunlich gut, aber gekauft hatte ich den 2009. Und 13 Jahre hält kein Akku durch. Ich müsste ihn mal testen und laden – wenn ich ihn auf Anhieb finden würde. Bei LIDL bekommt man sowas inzwischen mit Wechselakku.

Ich war vor Jahren mal wieder Zelten, mit den Kumpels auf einem Chaos Communication Camp. Wirft man ein Zelt nach einer Woche weg, das noch völlig in Ordnung ist? Nein. Seither liegt es im Keller.

Und so weiter und so fort.

Jede Menge Sachen, die ich unter normalen Umständen eigentlich mal aussortieren würde, weil der Platz knapp wird, und bei denen man sagen würde, dass der Platz, den sie belegen, über die Zeit mehr Geld kostet, als die Sachen wert sind, und die schon alleine durch Alterung und technischen Fortschritt so sehr an Wert verloren haben, dass man sie weggeben und für den unwahrscheinlichen Fall, sie noch einmal zu benötigen, neu kaufen oder – gab es damals noch nicht – einfach für einen Tag mieten könnte. Hätte ich heute ein Problem wie mit den IKEA-Schubladen damals, würde ich das nicht nur anmeckern, sondern mir dann, wenn ich es tatsächlich nochmal selbst reparieren würde, im Baumarkt einen Elektrohobel mieten.

Aber, ach.

Man weiß ja im Moment gar nicht, was man überhaupt nochmal wieder bekommt, wieder kaufen kann. Und zu welchem Preis in welcher Qualität.

Noch vor einem Monat wäre es mir absurd vorgekommen, dass auf einmal Mehl und Bratöl knapp würden. Vor zwei Jahren und zwei Monaten hätte ich mir nicht vorgestellt, dass Klopapier Mangelware werden könnte.

Eben noch wollte ich alte Computer durch Raspberrys ersetzen oder durch deren schiere Verfügbarkeit für entbehrlich erklären. Zumal ein Raspberry auch deutlich kleiner ist. Versucht mal, einen normalen Raspberry Pi oder ein Raspberry Compute Module zu kaufen. Seit rund einem Jahr faktisch nicht mehr zu bekommen, höchstens zu Mondpreisen. Alles knapp, was Chips braucht. Irgendwo haben sie schon nagelneue Waschmaschinen gekauft und ausgeschlachtet, weil in der Steuerung ein Chip war, den man für etwas anderes brauchte. Autos können sie nicht mehr herstellen, weil die Chips fehlen. Was macht es da schon, dass auch die Kabelbäume fehlen, weil die in der Ukraine gemacht wurden?

Anfangs der Pandemie hatte ich mir, weil ich ja nun nicht mehr beim Chinesen um die Ecke essen gehe, sondern meist selbst irgendwas mache, die Küche aufgerödelt und mir im Supermarkt eine Heißluftfriteuse gekauft, aber nicht in der üblichen Bauweise, sondern mit einem rotierenden Korb. Ergebnisse so lala, der Korb mit gar nichts mehr sauber zu kriegen. Eigentlich wollte ich das Ding schon weggeben. Nun stellen aber die Restaurants schon die Herstellung von Pommes Frites ein, weil sie kein Fritierfett mehr bekommen. Vielleicht doch gut, das Ding zu haben? Wenn es kein Öl mehr gibt, könnten Heißluftfriteusen (der Name ein Widerspruch in sich) schwer zu kriegen sein.

Ich hatte mir vor über 10 Jahren, noch damals bei München, für den unendlich vielen Kleinkram, den ich habe, Aufbewahrungsschachteln gekauft. Gab es damals günstig in den Discount-Supermärkten, eigentlich Archivschachteln für Fotos 10×15 und 13×18, ganz wunderbar für Kleinkram jeder Art. Aus bunt bedruckter Pappe. Halten halt auch nicht ewig bei häufigem Gebrauch, und irgendwann sieht man sich an den bunten Mustern auch satt. Also habe ich neulich angefangen, die zu ersetzen. IKEA Kuggis schien mir ein zwar überteuerter, aber geeigneter Ersatzkandidat und hatte auch schon einige gekauft, aber nicht genug. Wollte nachkaufen, die Größe, die ich brauche, gibt es aber nicht mehr im Laden, ist nicht mal auf der Webseite noch gelistet. Das IKEA-Problem: Man kauft was, was passt, und plötzlich ist es weg und nicht mehr nachzubekommen. Kundenservice gefragt. Ja, wir hätten Pandemie, bellt der mich an, ob ich davon schon mal gehört hätte. (Ja, da kam mal was in den Nachrichten…) Unbekannt, wann sie Nachschub bekämen und ob nochmal überhaupt. Sei gerade alles schwierig. Nun habe ich die leeren Schachteln da rumstehen und weiß nicht, ob ich sie trotzdem rauswerfe oder noch behalte, bis ich genug von den anderen bekommen habe. Zumindest bei Rapsöl hatte ich ja heute Glück.

Vor noch gar nicht allzu langer Zeit stand auf diesen ganzen Aufbewahrungsbehältern aus weißem Plastik von IKEA noch Made in Poland oder Made in Italy. Inzwischen steht da nur noch Made in China. Und das erschwert den Transport.

CD-Boxen habe ich auch noch jede Menge. Viel zu viel. Seit 15 oder 20 Jahren. Damals gab es famose, sehr platzsparende Boxen bei Metro (die allerdings damals den Fehler hatten, dass sie aus durchsichtigem Plastik waren und zuviel Licht durchlassen, als dass gebrannte Rohlinge sich darin wirklich auf Dauer wohl fühlten, etwas später haben sie die durch abgedunkelten Kunsstoff ersetzt). Weil mir die damals perfekt erschienen und ich damals unglaublich viele CDs, Daten-, Musik- und Video hatte, und die nicht genug im Regal hatten, hatte ich gefragt, ob sie die nachbekommen. Och, meinten die, eigentlich hätten sie gerade zu viele am Lager, nur nicht ausgepackt. Wenn ich die zwei Kisten voll, die sie haben, zusammen nehme, machen sie mir einen guten Preis. Und haben sich dabei noch deutlich zu meinen Gunsten verrechnet, seither habe ich einen mehr als ausreichenden Vorrat an kompakten CD-Boxen aus Kunsstoff mit wunderbaren Aufbewahrungstaschen, einige wenige sogar noch eingeschweißt, aber CDs sind halt völlig aus der Mode und schon wieder veraltet. Vor Jahren hatte ich schon jede Menge alte Software-CDs ausgemistet, und sie einer Nachbarin gegeben, die nach sowas gefragt hatte, weil sie im Kindergarten irgendwas daraus basteln wollten. Die CDs sind weg, die Boxen noch da. Wegschmeißen? Oder doch für schlechte Zeiten aufbewahren?

Andererseits: Jetzt haben wir schlechte Zeiten. Was nutzt mir nun das Zeug, das ich für schlechte Zeiten aufbewahrt habe? Was mache ich jetzt mit CD-Boxen? Leider leiden wir nicht unter einem Mangel an CD-Boxen, weil sie in der Ukraine Kabelbäume und Mehl herstellen, aber nicht CD-Boxen. Und deshalb Kabelbäume und Mehl knapp sind, aber nicht CD-Boxen. Ich hätte mich sofort davon getrennt, wenn die Situation eingetreten wäre, dass man der Ukraine mit alten CD-Boxen weiterhelfen könnte. Nicht, dass ich darauf setzen würde, dass CDs wieder in Mode kommen. Aber ich hatte ja auch 15 Jahre lang Schachteln für Fotos erfolgreich zweckentfremdet. Und solange IKEA nicht weiß, ob sie ihre Kuggis-Boxen nachbekommen…

Die Regierung hat ein Lieferkettengesetz gemacht. Um Kinderarbeit und sowas zu verhindern.

Schön.

Auf die Idee, überhaupt mal die Lieferketten sicherzustellen, ist man aber nicht gekommen. Man sitzt auf dem moralischen hohen Ross und verhindert Lieferketten, die den moralischen Anprüchen nicht genügen, aber auf das Gegenteil, nämlich Lieferketten auch mal sicherzustellen, kommt man nicht. Der feministisch-linke Ansatz, den Schwerpunkt aufs Verbieten zu setzen, nicht aufs Leisten.

Und bei der aktuellen Inflation weiß man auch nicht, ob es etwas dann vielleicht noch neu gibt, man es sich aber nicht mehr leisten kann.

Nun sitze ich da, und versuche mir als einer, der sich gerade außerstande sieht, unsere politische Zukunft der nächsten 2 Monate vorauszusagen, zu überlegen, was ich in den nächsten 12 Jahren bis zur Rente noch an Zeugs brauche, obwohl ich mir eigentlich sicher bin, dass ich in 12 Jahren bestimmt keine Rente mehr bekommen werde.

Was von dem Krempel, den ich jetzt habe, werde ich in den nächsten 10, 15 Jahren noch brauchen?

Was von dem, was ich jetzt gerne rauswerfen würde, könnte ich unter der aktuellen, unerwartet verschlechterten Versorgungslage, oder noch schlechteren Zuständen, bereuen, weggegeben zu haben?

Oder mal ganz anders gefragt:

Haben wir gerade Zeiten, in denen Messis neu entstehen?

Ich kannte jemanden, der Messi war. Der konnte nichts wegwerfen. Egal was, Tütensuppe 10 Jahre nach Haltbarkeitsdatum, alte krumme rostige Schrauben, Schränke, denen ein Bein fehlt, kaputte Bohrmaschine, alte Zeitungen, der hat einfach alles aufgehoben. Weil der den zweiten Weltkrieg miterlebt hatte. Mangel. Hunger. Flucht.

Nun frage ich mich, ob diese Hemmung, in Krisenzeiten etwas wegzuwerfen, auch eine evolutionär erworbene Funktion des Gehirns sein könnte.

Was uns dann locker zu der Frage bringt, ob auch Fettleibigkeit gerade zunimmt, weil die Leute auf Vorrat futtern.