Der Stirnsatz
Anmerkungen zur Grammatik der deutschen Sprache.
Wieder einmal bekam ich Sprachschelte eines Lesers. Ein Leser tadelte einen Satz in meinem Artikel über den Frankreich-Urlaub von Anne Spiegel:
Kleine Korrektur
Ist das alles so widerlich. ->
Das ist alles so widerlich!
Nein. Keineswegs.
Zwar gibt es im Deutschen, wie auch in vielen anderen Sprachen, das Grundschema Subjekt-Prädikat-Objekt, von dem man vermutet, dass er nicht zufällig ist, sondern einem neuronalen Verarbeitungsschema im Hirn folgt, aber verpflichtend ist es nicht. Tatsächlich folgt das einem anderen Schema, nämlich dass die wichtigen Stellen der Anfang und das Ende eines Satzes sind, was daran erinnert, dass man rhetorisch gut beraten ist, in einem Vortrag, in dem man argumentiert, seine besten Argumente als erstes und als letztes zu bringen, und die, die nicht so gut sind, in der Mitte unterzubringen, weil der Anfang und das Ende des Vortrages das sind, was ankommt und in Erinnerung bleibt. Deshalb folgt der Satzbau üblicherweise und normalerweise, aber nicht zwingenderweise diesem Wichtigkeitsschema, kann aber bei bestimmten Satzkonstruktionen davon abweichen, insbesondere bei Fragesätzen, in denen die Wichtigkeit anders verteilt ist („Geht da noch was?“). Es gibt durchaus die Möglichkeit, Satzteile zu betonen, indem man den Satz umstellt und wichtige TEile dazu an den Anfang oder an das Ende stellt, um sie zu betonen. Das macht man beispielsweise dann, wenn man an einen Gedankengang oder eine Frage anknüpft. Beispiel:
- „Wo ist denn der Kuchen?“ – „Den Kuchen habe ich gegessen!“
- „Wer hat denn den Kuchen gegessen?“ – „Ich habe den Kuchen gegessen!“
- „Was hast Du denn mit dem Kuchen gemacht?“ – „Gegessen habe ich den Kuchen!“
Wichtig sind immer Anfang und Ende des Satzes, das weniger wichtige steht in der Mitte.
Noch ein Beispiel. Schiller, Die Bürgschaft, 1798:
Zu Dionys dem Tyrannen, schlich
Damon den Dolch im Gewande,
Ihn schlugen die Häscher in Bande.
“Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!”
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
Die Stadt vom Tyrannen befreien!”
Das sollst du am Kreuze bereuen.”
Viele Verse eine Abweichung von Subjekt-Prädikat-Objekt, um zu betonen, was wichtig ist.
Sonst wäre es auch stinklangweilig. Kennt Ihr diese schlechten Schulaufsätze, die sich so fürchterlich leiernd lesen, dass man sie kaum aushält? Weil sie eine tumbe Aneinanderreihung von Sätzen nach dem Standardschema Subjekt-Prädikat-Objekt sind. Und dann hat die Susi den Michael geschlagen. Da wurde der Michael böse. Und dann hat der Michael der Susi auf den Kopf gehauen. Dann hat die Susi geweint.
Der Stirnsatz
Es gibt sogar Fachbegriffe für Sätze, die mit dem Verb beginnen. Die heißen „Stirnsatz“ oder linguistisch trocken V1-Satz, weil das Verb an Position 1 steht.
Diese Sätze kommen nicht nur bei Fragen („Trinkst Du das noch?“) vor, sondern auch bei Wünschen („Möge die Macht mit Dir sein!“ „Möge Gott Dir vergeben“ „Möge uns der Himmel nicht auf den Kopf fallen!“), Irrealis („Hätte ich doch bloß nichts gesagt!“), Imperativen („Sei still!“), Anknüpfungen (siehe oben), Anekdoten, Witzen oder eben auch Ausrufen und Verwundernsäußerungen vor. Auch bei teilbaren Satzkonstruktionen, die andere einklammern können.
- Ist das schön hier!
- Ist das ein hässlicher Hund!
- („Was für ein schönes Auto!“ – Finde das Verb.)
- Treffen sich zwei Männer in der Wüste. Sagt der eine…
Weiteres dazu im Internet, beispielsweise hier und hier.
Es ist also völlig legitim und korrekt, aus gegebenem Anlass einen Satz mit einem Verb anzufangen. Kennen sollte man das also schon.