Die Meeting-Seuche
Wie Arbeiten zum Selbstzweck wird.
Das ging mir auch schon so auf die Nerven, ach, was sag’ ich, es ging mir so tierisch auf den Sack: Meetings.
Nicht die Meetings an sich, obwohl da auch oft viele gruselig sind, sondern die schiere Zahl an Meetings.
Früher, so vor 20 Jahren, hatten wir viel weniger Meetings. Vielleicht einmal die Woche. Und dazu einfach spontane Besprechungen an einem Tisch in den Büros, wenn es was zu besprechen gab.
Heute verbringt man in der IT-Welt in den Büros einen großen Teil seiner Zeit mit Meetings. Furchtbare, nervige Meetings, die einem vom Arbeiten abhalten und mit ihrem Termindiktat den Tagesablauf durcheinander bringen, die Tagesplanung krank machen. Sich einfach mal hinzusetzen und sich einen halben oder ganzen Tag auf ein Problem zu konzentrieren und um nichts anderes mehr zu kümmern, das geht nicht mehr. Mehr als ein oder zwei Stunden am Stück kann man nicht mehr arbeiten, weil man ständig in irgendein Meeting muss.
Man hätte gedacht, dass Home-Office einen von dieser Plage befreit. Mitnichten. Man versuchte, die Entfernung durch immer mehr Videokonferenzen und Online-Chats zu kompensieren. Noch mehr Meetings. Inzwischen muss man nicht mal mehr aufstehen, weil Programme wie Microsoft Teams automatisch starten, permanent im Hintergrund lauern und der Notebookcomputer Kamera und Mikrofon schon eingebaut hat, man immer nur einen Mausklick vom Meeting entfernt ist.
Angesprochen hatte ich das schon einige Male, aber wie komme ich jetzt darauf?
Golem hat gerade einen Artikel darüber: Die Meeting-Plage: Arbeitszeitvernichtung durch Besprechungen
Klagen über Meetings gehören zum Arbeitsalltag wie das Jammern über Chefs und schlechtes Wetter. Doch ineffiziente Besprechungen seien nicht nur Zeitverschwendung, sondern schädlich für Unternehmen, sagen Wissenschaftler.
Manager und Mitarbeiter verbringen einen steigenden Teil ihrer Arbeitszeit in Besprechungen – mit potenziell negativen Folgen für Unternehmen und Motivation der Belegschaft. Wissenschaftler und Unternehmensberater gehen davon aus, dass die Corona-Pandemie in vielen Unternehmen den Langfristtrend einer stetig wachsenden Zahl von Besprechungen befördert habe.
Der von ineffizienten Besprechungen verursachte Schaden kann demnach weit über die reine Zeitverschwendung hinausgehen. “Die Frequenz von Meetings hat in den letzten Jahren stetig zugenommen, auch als Folge der zunehmenden organisationalen Komplexität”, sagt Nale Lehmann-Willenbrock, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Hamburg. […]
Häufige Klagen: eine zu große Teilnehmerschar, überflüssige Wortmeldungen, mangelnde Struktur. “Es gibt Führungskräfte, die verbringen 80 bis 90 Prozent ihrer Arbeitszeit in Meetings”, sagt Kolo. “Das ist nicht effizient, denn sie sollen ja auch inhaltlich arbeiten und brauchen Zeit für ihre Teams.” […]
Die exakten Folgekosten zu berechnen, ist naturgemäß schwierig. Doch dass ineffiziente Besprechungen teuer sind, ist unbestritten: “Die Schätzungen zu verschwendeten Kosten durch ineffektive Meetings schwanken etwas in der Literatur, sind aber ein in der Forschung anerkanntes und weitreichendes Problem”, sagt die Professorin Lehmann-Willenbrock.
Es sind keineswegs nur Angestellte, die Besprechungen als Qual empfinden, sondern auch deren Chefs. 2017 veröffentlichten die drei US-Wissenschaftlerinnen Leslie Perlow, Constance Hadley und Eunice Eun im Fachmagazin Harvard Business Review ihren Aufsatz Stop the Meeting Madness: 65 Prozent der 182 befragten leitenden Manager klagten demnach, dass Besprechungen sie von der Arbeit abhielten. […]
“Der mangelnde Return on Investment bei Besprechungen betrifft insbesondere Führungskräfte, da diese besonders viel Arbeitszeit in unterschiedlichen Besprechungen verbringen und gleichzeitig höhere Personalkosten erzeugen”, sagt Lehmann-Willenbrock. “‘Schwafelige’ Besprechungen sind aber auch schädlich für das psychologische Wohlbefinden und das Engagement der einzelnen Mitarbeitenden, wie wir in unserer Forschung zeigen konnten.”
Kann ich alles bestätigen.
Doch warum ist das so?
Meiner Erfahrung nach hat das keinen einzelnen Grund, sondern gleich eine Vielzahl von verschiedenen Gründen, die ungünstig zusammenwirken.
Räumliche Gründe
In der Frühzeit meiner Schaffensära war ich noch meist in Unternehmen, in denen man Büros hatte, in denen man dann zu zweit bis maximal viert drinsaß. Getrennte Räume mit richtigen Mauern dazwischen. Das war immer recht angenehm, weil man Besprechungen nicht förmlich abhalten musste, sondern dann, wenn es etwas zu besprechen gab, es einfach direkt am Arbeitsplatz besprach, weil man ja sowieso mit den Leuten im selben Raum saß. Ich kann mich noch erinnern, dass ich selbst mal beim Einkauf kleine runde Tische anforderte, von denen wir in jedes Büro einen in die Mitte stellten. Arbeiten = alle sitzen an ihren normalen Schreibtischen zur Wand. Palaver = einfach rumdrehen an den kleinen runden Tisch. Wie Kaffeetisch. Wir brauchten da keine Termine. Wir brauchten nur einen Anlass. Und uns reichten 5 oder 10 Minuten. Fertig.
Heute hat man Großraumbüros, in denen viele Leute auf einem Haufen sitzen und jedes Geräusch die anderen nervt. In denen man verzweifelt versucht, den Schall zu dämmen, indem man Spezialfirmen kommen lässt, die dann Schaumstoffstücke an die Decke kleben und Stellwände aufstellen. Trotzdem sitzen die Leute dann immer noch mit Noise-Cancellation-Kopfhörern rum, um wenigstens etwas Stille zu bekommen. Ich saß zwar nicht in einem Großraumbüro, aber in der Nähe der Kaffeemaschine und Kaffeecke mit permanentem Schallpegel und hatte dann auch so einen Kopfhörer auf. Nicht, um daraus irgendwelche Musik zu hören, sondern einfach nur, um den Schallpegel zu mindern.
Man stellte beispielsweise Telefonzellen in der Firma auf. Schallgedämmte Boxen, in die man sich reinsetzte, um mit seinem Handy zu telefonieren. Weil die anderen so genervt waren, dass man sonst Gefahr lief, für ein Telefonat gelyncht zu werden.
Diesem Problem begegnet man mit Besprechungsräumen. Eine Firma mit etwas über hundert Mitarbeitern, und darin 12 Besprechungsräume aller Größen. Ein Besprechungsraum pro etwa 10 Mitarbeiter. Die nutzt man dann, um endlich mal aus den Schallkriegszonen der Großraumbüros rauszukommen und frei sprechen zu können. Also Meeting, Meeting, Meeting.
Weniger Außendienst
Früher hätten wir gar nicht so viele Meetings machen können, weil wir viel Zeit beim Kunden verbrachten. In Rechenzentren. In dessen Firmennetzen. Dinge vor Ort installieren.
Da konnte man gar keine Meetings dieser Dichte machen. Ich hatte Wochen, in denen ich nur einen Tag oder gar nicht in der Firma war, sondern immer bei irgendeinem Kunden.
Heute dagegen passiert alles in der Firma (oder inzwischen im Home-Office), und die Leute sind „greifbar“, haben keine Ausrede mehr, warum sie nicht beim Meeting sein können.
Fluktuation
Früher waren die Teams auf Jahre hinaus fest. In der Firma, in der ich von 1998 bis 2002 war, gab es ein Team, und an dem hat sich nichts geändert.
Heute ändern sich die Teams (mindestens) monatlich, und mindestens jeden Monat wird in der großen Besprechung bedauert, wer gerade alles das Team verlässt, und befreut und beklatscht, wer neu dazu kommt. Ich hatte längst aufgegeben, mir die Namen noch merken zu wollen, zu können.
Das führt aber dazu, dass viele das Projekt nicht mehr kennen, und nur noch das wissen, was sie auf die Schnelle als ihren Arbeitsteil serviert bekommen. Und sich deshalb ständig mit anderen besprechen müssen.
Spezialisierung
In den 90er Jahren waren wir noch auf einem Wissensstand, auf dem wir zum Thema Internet eigentlich alles wussten. Als ich noch an der Uni war, war ich, waren einige der Kollegen, regelrechte Internet-Götter, die von Programmiersprachen, über Protokolle, Netzwerktechnik, Anwendungen, Web, Routing, egal was, einfach fast alles konnten, wussten, beherrschten. Wir konnten alleine alles. (Was einer der Gründe war, warum diese Generation sogar bei den Informatik-Professoren so gefürchtet war, die das nämlich überhaupt nicht konnten, und warum ich so höllenstinksauer war und bin, dass man mir ausgerechnet in dieser Superman-Phase die Karriere vernichtet hat.)
Inzwischen sieht das völlig anders aus.
IT ist inzwischen ein ständig wuchernder, sich ständig ändernder, riesiger Haufen von Anwendungswissen, Frameworks, Programmierumgebungen, Applikationen, durch die kein Mensch mehr durchblickt. Das Verhältnis der Zeit, die man aufwenden muss, um sich überhaupt noch auf dem halbwegs aktuellen Stand und das alles im Kopf zu behalten, und der Zeit, in der man Nutzen daraus ziehen kann, indem man es anwendet, wird immer schlechter. Wie bei einem Flugzeug, das immer längere Wartungszeit braucht und deshalb immer weniger fliegen kann.
Das führt dazu, dass man immer weniger produktiv wird, je mehr man weiß und kann. Wissen und Können auch nur zu erhalten ist heute so aufwendig, dass es einen den Nutzen des Wissens und Könnens kostet, weil die Zeit fehlt.
Wirklich produktiv arbeiten kann man heute nur noch dann, wenn man eigentlich doof und nur auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert ist, also das, was man früher Fachidiot nannte. Ein Nischenthema, in dem man sich auskennt, und für das man nur überschaubare Zeit aufwenden muss, um sich wissend und könnend zu halten, um dann noch genug Zeit zu haben, damit auch zu arbeiten.
Ich merke das an mir selbst, weil ich immer noch diesen alten Arbeitsehrgeiz der 80er und 90er Jahre, der Generation C64 in mir habe. Ich will viel zu viel wissen und können, und komme vor lauter Lernen zu wenig zum Arbeiten, weil die Zeit fehlt. Was mit ein Grund dafür ist, warum ich nicht mehr der Meinung bin, dass man IT-Sicherheit noch effektiv ausüben kann. Man kann gar nicht mehr genug wissen, um es noch zu tun.
Früher habe ich mal noch Penetration Tests gemacht. Das habe ich vor 15 Jahren aufgegeben, weil man so irre viel wissen und lernen muss, dass man das alleine eigentlich schon gar nicht mehr kann, und selbst wenn, sich der Arbeitsaufwand nur noch lohnt, wenn man wirklich nur noch das und sonst nichts anderes mehr macht. Ich habe dann mal eine Firma besichtigt, die sich darauf spezialisierte, und die allein 30 Leute brauchte, um überhaupt nur mitzulesen, was in den diversen Sicherheitsforen an Sicherheitslöchern berichtet wurde. Dann nochmal welche, die das in automatisierte Tests gossen. Und wieder welche, die das anwandten. Da hat man als Einzelperson, die nur dann und wann einen Auftrag für einen Pentest bekommt, überhaupt keine Chance mehr, das halbwegs seriös zu betreiben.
Wir haben uns in den letzten 20, 30 Jahren eine IT gebaut, die nur noch im Team zu bearbeiten ist. Teams brauchen Besprechungen.
Wir haben die Wissensflut und damit einhergehend den Grad der Spezialisierung aber so weit getrieben, dass sich das nicht mehr effizient skalieren lässt.
Mir kommt das analytisch-strukturell bekannt vor. Ich habe als Diplomarbeit damals einen Parallelrechner aus Transputern mit einer Rotorstruktur gebaut und programmiert. Und darin auch Überlegungen angestellt, was das überhaupt bringt. Dazu habe ich eine Überlegung irgendwo aufgeschnappt und bearbeitet, die eine physikalische Grenze der Parallelisierung aufgreift, die zwar sehr theoretisch ist, aber trotzdem eine Grenze liefert: Nimmt man an, dass ein Problem, eine Rechenaufgabe zu einem Zeitpunkt an einen Punkt entsteht, die Lösung an diesem Punkt verlangt wird, und man beliebig, unendlich viele Rechner zur Verfügung hat, die jeweils würfelförmig sind und lückenlos dreidimensional geschichtet sind wie die Würfelzucker in der Packung, aber eben in allen drei Achsen in jeweils beide Richtungen unendlich viele, kann man trotzdem nur begrenzt viele nutzen. Weil sich die Kunde von der Aufgabenstellung höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann, also immer nur so viele Rechner beteiligt sein können, wie in eine Kugel passen, deren Radius der Wegstrecke des Lichts seit Bekanntwerden der Rechenaufgabe entspricht. Genauer gesagt, der halben Wegstrecke, weil das Rechenergebnis ja auch noch zurückgeschickt werden muss. Das heißt, dass die Zahl der Rechner, die überhaupt durch Parallelisierung an einer Rechenaufgabe teilnehmen können, von der Dauer der Rechenzeit abhängt, und mit ihr in dritter Potenz (Kugelvolumen) ansteigt. Da die Rechendauer aber nicht unendlich lange ist, ist irgendwann der Zeitpunkt erreicht, an dem die Rechner, die bis dahin beteiligt wurden, die Aufgabe lösen und ihre Rechenergebnisse zurückschicken konnten. Dann ist die Rechenzeit beendet. Und damit die Zahl der Rechner, die überhaupt teilnehmen können, nach oben hin begrenzt. Damit bilden sie aber auch eine obere Schranke für die Rechenleistung, die zur Verfügung steht und damit eine untere Schranke für die Zeit, in der das Problem überhaupt lösbar ist. Die ist zwar sehr theoretisch und in der Praxis normalerweise nicht mal in der Nähe zu erreichen, aber Mathematiker und Informatiker lieben solche Aussagen, die solche ganz harten Grenzen beschreiben und damit zum Beispiel zeigen, dass Parallisierung nicht beliebig hoch getrieben werden kann, weil irgendwann der Parallelisierungsaufwand den erzielbaren Nutzen überschreitet. Selbst innerhalb dieser Grenzen kann man zeigen, dass es sich nicht mehr lohnt, weil die weiter entfernten Rechner so schwer zu erreichen sind, dass das Verhältnis von Energieaufwand/Kosten zu Nutzen zu schlecht wird. Irgendwann verbringt man mehr Zeit damit, die Aufgabe zu verteilen und die Ergebnisse einzusammeln, als mit dem Lösen der Aufgabe selbst, weil dieser Verwaltungsaufwand immer mehr ansteigt.
Aus solchen Überlegungen folgt dann auch, dass es für jede Aufgabe eine endliche optimale Zahl von Rechnern gibt und man nicht einfach durch immer mehr Rechner eine immer kürzere Rechenzeit erreichen kann. Die Rechenleistung steigt nicht unbeschränkt, nicht mal streng monoton mit der Zahl der Rechner. Da lohnt es sich, in Analysis aufgepasst zu haben.
Will sagen: Man kann ein Team nicht beliebig aufblasen, indem man immer enger spezialisierte Spezialisten zu immer größeren Teams stapelt, weil irgendwann der Kommunikationsaufwand die Arbeitsleistung auffrisst. Das Prinzip des Problems ist nämlich dasselbe.
Und an dem Punkt, an dem der Kommunikationsaufwand die Arbeitsleistung übertrifft, sind wir längst angekommen.
Ich glaube deshalb auch nicht, dass das mit der IT so weitergehen wird. Das wird in sich zusammenfallen.
Und ich glaube, dass der „Fachkräftemangel“ bereits ein Symptom dessen ist, dass die Teams immer ineffizienter werden.
Scrum
Die modernen Entwicklungsmodelle sind eine Katastrophe.
Scrum hat sich überall durchgesetzt, obwohl es eine einzige Zumutung ist. Es ist das amerikanische Prinzip, aus den Leuten möglichst viel quantitative Arbeitsleistung rauszuholen, indem man auf die Qualität pfeift. Hauptsache, es wird irgendwas gearbeitet.
Ich war selbst nie Teil von Scrum, sondern habe mir das immer nur angesehen. In einer Krisensituation wollte mich allerdings mal einer bescrum-managen, was zu exothermen Äußerungen meinerseits geführt hat. Ich habe die Krise dann im Alleingang gelöst, indem ich (lange vor Corona und Home Office) mich ein paar Tage zuhause eingeschlossen und das „Rutscht mir alle den Buckel runter, ich bin beschäftigt!“-Schild rausgehängt habe, und dann das fertige Lösungskonzept und die Konzeptimplementierung vorgelegt habe. Weil ich alleine leistungsfähige war, als ein künstlich zusammengestelltes Team, das mit Scrum-Methoden in seiner Leistungsfähigkeit ruiniert wird. Man kannte es nicht anders und dachte, das müsse so sein, und war dann sehr verdutzt, dass ein Einzelner zumindest in einer kurzen Zeit hohen Arbeitsdrucks mehr leisten kann als ein ganzes Team, eben weil ich keine Besprechungen und dergleichen mit mir selbst abhalten musste.
Scrum ist Affentheater. Jeden Morgen machen die da ihre rituellen Steh-Meetings, und ständig berichten sie an ihre Scrum Master und Product Owner, und zwar auch dann, wenn die fachfremd sind und nicht qualifiziert zu verstehen, was man ihnen erzählt.
Meetings sind dann nicht das eigentliche Problem, sondern nur das Symptom des Problems Scrum.
Mangelne Kompetenz und Sozialisierung
Ich will nicht verhehlen, dass Meetings auch eine Art soziale Notlösung sind. Man sitzt nun mal in den Großraumbüros nebeneinander, ohne sich anzusehen oder miteinander zu sprechen, weil man immer versucht, möglichst leise zu sein und die anderen nicht zu stören. Das halten viele auch nicht aus, stundenlang, tagelang, wochenlang neben jemandem zu sitzen ohne jemals mit ihm zu sprechen. Deshalb braucht man die Kaffeeecke und die Meetings, um auch mal normal „Hallo“ sagen zu können, dem anderen auch mal gegenüber zu sitzen und ihn anzugucken.
Meetings sind aber auch eine Kompetenzkrücke.
Gerade durch den Fachkräftemangel, aber auch die ganzen political-correctness-Quoten und das Gebot, nur niemanden zu diskriminieren, sitzen in den Teams, den Firmen immer mehr Leute, die für den Job eigentlich nicht qualifiziert sind, und die entweder mal dringend reden müssen, um überhaupt zu verstehen, worum es geht, oder aber einfach gar nichts anderes können als irgendein Teamgequassel. Es gibt Leute, die darauf angewiesen sind, den ganzen Tag lang 6 Stunden Meetings, 1 Stunde Kaffeeecke und 1 Stunde Klo zu machen, weil sie sonst damit konfrontiert wären, dass sie ja eigentlich nichts können.
Und das hat auch damit zu tun, dass man versucht, all die nutzlosen Geisteswissenschaftler irgendwie in der IT unterzubringen. Und eine arbeitslose Psychologin ist zwar eigentlich im Bereich der Benutzerschnittstellen gar nicht mal so schlecht aufgehoben, aber der kann man nicht sagen, dass sie jetzt im Großraumbüro 8 Stunden am Rechner sitzen und sich dabei so verhalten muss, dass sie die anderen nicht stört, die um sie herumsitzen. Geht nicht.
Man versucht sowas dann durch das Aufstellen von Tischfussball oder Tischtennisplatten zu kompensieren, damit die Leute sich auch mal bewegen können, aber das reicht nicht.
Powerpoint
Dazu kommen dann noch die, die sich nicht anders artikulieren können als in Form von Powerpoint-Folien mit möglichst vielen Pfeilen drauf.
Ich habe mal einen als Chef ganz oben erlebt, der feste Vorgaben für Powerpoint-Folien machte. Bevor man an einem Meeting mit ihm teilnehmen durfte, musste man erst einen Kurs machen, wie die Powerpoint-folien auszusehen haben, damit er sie überhaupt zeigen lässt. Keine Farben, nur Schwarz-Weiß. Und Pfeile dürfen nur von links nach rechts zeigen. Sonst versteht er sie nicht. Er will nicht von Folie zu Folie in unterschiedliche Richtungen denken müssen.
Auf er anderen Seite gibt es die Zeitgeistkünstler, die irgendwelche abgefahrenen Präsentationsdienste nutzen, bei denen die Folien nicht einfach wechseln, sondern man per 3D-Animation von Folie zu Folie fliegt, und in der dann wunderschöne Schlagwortwolken das Publikum unterhalten, so dass man am Ende der Präsentation (falls man noch wach ist) nicht merkt, dass eigentlich gar nichts gesagt wurde.
Es gibt unglaublich viele Leute, die Informationen nur in Excel niederschreiben und nur in Powerpoint präsentieren können. Es gibt ganze Programm- und Projektdokumentationen nur in Powerpoint.
Frauenquote
Auch das Thema ist natürlich unvermeidlich.
Man will ja weg vom Nerd, der am Tisch sitzt und alleine vor sich hinbruddelt, und das alles frauengängiger, sozialer gestalten, um die Frauen wenigstens für einige Zeit in der Firma zu halten. Also macht man inzwischen sehr viel Sozialkram, guckt, dass das alles schön frisch und hell aussieht, und dass ausreichend soziale Interaktion stattfindet. Pizza bestellen und sowas. Und damit geht auch einher, dass man sehr viel mündlich macht und alle mal sprechen dürfen und so weiter, und das geht heute in den Firmen eben nur noch in Form von Meetings.
Einordnung
Ich halte diese Meeting-Seuche für ein Symptom einer kaputten Arbeitsplatzkultur.
Das funktionierte auch bisher nur, weil die Firmen enorm viel Geld ausgegeben haben, um „irgendwas mit digital“ zu machen, ja nun auch jeder ein Web-Portal, einen Online-Shop und eine Handy-App brauchte, aber in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten wird man sich das eben auch mal überlegen, wo da das Verhältnis von Kosten zu Nutzen steht.
Und die IT hat sich durch Überwucherung selbst vergiftet. Wenn das weitergehen soll, müssen einige Bereinigungsprozesse vollzogen werden.
Ich bin nun seit über einem Jahr raus aus der Industrie, und darüber keinesfalls unglücklich. Und wenn ich überlege, was mich am meisten genervt hat, was losgeworden zu sein mich am meisen erleichterte: Die Meetings.
Am meisten belastet hat mich seltsamerweise nicht die Arbeit, sondern die Zeit des untätigen Herumsitzens und Gelaberertragens unter Terminkalenderterror.