Selbstversuch Oben-Ohne
Wie sich die Zeiten ändern.
Zu meiner Zeit damals war das normal, oder kam Anfang der Siebziger gerade so auf (die Sechziger waren noch prüde, die Siebziger teils auch), dass Frauen oben ohne baden gehen. Das war ja damals so eine feministische Masche, dass sich Frauen auf dem Stadtplatz trafen und dann offiziell und mit viel Tam-Tam ihre BHs öffentlich auszogen und verbrannten.
Und dann kam auch die Mode in Mode, bei der man sich sofort zweifelsfrei im Klaren war, dass sie keine BH trug. Und dann war das ab so Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger eigentlich völlig normal, oben ohne baden zu gehen. Nicht alle, aber ich würde mal schätzen, je nach Ort, so zwischene einem Fünftel und der Hälfte der Frauen. Und niemand hat es gestört.
Und in Ossiland sind sie zur gleichen Zeit dann auch ganz nackig baden gegangen. Hat außer der SED auch niemanden gestört, und ich habe mir sagen lassen, dass die das geschluckt haben, weil es sie zumindest nicht so gestört hat, dass sie deshalb Ärger angezettelt hätten. Das war ihnen als Bewegung doch zu breit, und man habe nichts antisozialistisches daran finden können. Außerdem sei es ein Spaß gewesen, bei dem keine Versorgungsengpässe drohten.
Inzwischen ist Deutschland kulturell und frauenbefreilich so degeneriert, dass der SPIEGEL (glücklicherweise hinter Paywall, damit man es nicht lesen muss) schon als „Selbstversuch“ ausgibt, wenn sich eine Autorin mal als Mut-Experiment oben ohne ins Freibad traut. Und macht gleich ein Drama über Macht und Privilegien draus. Und die Autorin – Marilena Berends – eine junge Frau.
Herrje, ist das schlimm.
Wir sind in einer Zeit angekommen, in der eine junge Frau es als „Selbstversuch“ unternehmen muss, mal oben ohne zum Baden zu gehen. Sozialdrama.
Bei uns damals war nur eine einzige Frage entscheidend und in der Diskussion: Vorher noch Pommes oder gleich ins Wasser?
Meine Güte, hatten wir eine schöne Zeit.