Ansichten eines Informatikers

Politischer Hausmüll

Hadmut
22.7.2022 23:25

Ach, Herrje.

Ich habe etwa acht Jahre lang Sicherheitssensibilierungsveranstaltungen gehalten und in jeder erläutert, dass, und vor allem, warum vertrauliche Dokumente nicht in den normalen Müll geworfen werden dürfen, sondern dafür Aktenvernichter oder Aktenvernichtungstonnen verwendet werden müssen. Zum einen, weil das Untersuchen der Mülltonne zum Standard-Angriff gehört, zum anderen, weil es in Berlin jede Menge Wertstoffdiebe gibt, die Altpapier klauen, um es zu verticken.

Genau genommen sind nicht einmal diese Aktenvernichtertonnen so richtig sicher, denn da gibt es zwei Versionen. Die einen holen die Tonnen nur ab, und fahren sie zur zentralen Vernichtung. Da habe ich schon mehrfach Unternehmen beobachtet, die den LKW beim Abholen und Austauschen der Tonnen (Voll gegen Leer) einfach offen vor der Firma stehen lassen. Ich hätte mir da einfach so eine der gerade abgeholten Tonnen rausholen können.

Die anderen haben Fahrzeuge mit eingebautem Aktenvernichter und vernichten das Zeug sofort vor Ort. Das hört sich sicherer an. Ist es auch. Aber nicht sicher genug. Ich habe in Berlin mal gesehen, wie der Shredder in so einem Fahrzeug Feuer gefangen hat. Keine Ahnung, warum. Überhitzt. Oder vielleicht hat einer einen LiIon-Akku reingeworfen. Jedenfalls mussten die notfallmäßig löschen, konnten das auch, waren darauf vorbereitet. Dazu gehörte aber, dass sie den ganzen Kram einfach auf die Straße kippen. Ein großer Haufen Papiermüll, teils angekokelt, mitten auf der Kreuzung, an dem Tag glücklicherweise windstill. Die Feuerwehr kam, hat das Papier mit der Mistgabel auseinanderverteilt und mit etwas Wasser abgelöscht. Jetzt waren das zwar überwiegend die schon geshredderten Papierteile, insofern theoretisch unkritisch. Aber beim noch nicht geshredderten Bereich ging das in der Hektik auch nicht viel besser zu.

Als ich 2009 mal in der Vorratsdatenspeicherung zugange war, hatte ich da so einen professionellen Aktenvernichter im Zimmer, der richtig gut war. Mikroschnitt. Der hat winzige Streifchen von vielleicht einem halben Millimeter Breite und vielleicht so drei oder vier Millimetern Länge produziert. Kein einzelner Buchstabe mehr erkennbar oder rekonstruierbar. Praktisch obendrein, weil man ihn nur selten leeren musste, weil der Müllbehälter im Gegensatz zu den normalen Streifenschneidern damit kaum Luft enthielt und der Papiermüll „dicht“, ohne Luft ware.

Auf die normalen Streifenschneider bin ich auch nicht gut zu sprechen. Wir hatten an der Uni so einen. „Das reicht“ hieß es damals. Wir waren dann an einem Regierungsprojekt so teils VS Nur für den Dienstgebrauch und teils VS Vertraulich, involviert und bekamen Akten, die nicht an die Öffentlichkeit durften. Die kann man nicht shreddern, weil die Regierung (damals noch in Bonn) da auf jedes Blatt diagonal groß „Vertraulich“ oder „Geheim“ drüber geschrieben hatte. Und ausgerechnet dieses diagonale Beschriftung machte es ganz leicht, die Streifen aus dem Shreddermüll wieder richtig zusammenzusetzen. Wir haben das mal gemacht, das Zeug geshreddert, auf dem Tisch verteilt und mit Tesafilm wieder zusammengesetzt. Streifen reichen nicht.

Aber diese Mikro- oder Partikelshredder, die sind schon gut. Da geht nichts mehr. Auf der CeBIT habe ich mal einen gesehen, der mit Wasser und Mahlwerk arbeitet und eine homogene Pampe draus macht, aber der war nichts für Wohnung oder Büro. Wer weiß, ob das gären und man daraus Schnaps brennen kann. Aktenfusel.

Der FOCUS berichtet gerade und schreibt dabei aus dem SPIEGEL ab, dass man bei Kanzler Scholz und seiner Frau vertrauliche Papier im Hausmüll gefunden habe.

Das ist gleich doppelt untragbar, denn erstens gehören die nicht in den Müll, und zweitens sollt ausgeschlossen sein, dass jemand im Kanzlermüll was finden geht.

Kanzler Olaf Scholz und seine Ehefrau Britta Ernst sollen vertrauliche Dokumente im Hausmüll entsorgt haben. Nachbarn fanden einem Medienbericht zufolge etwa ein internes Dokument zum G7-Gipfel.

Nachbarn von Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Frau Britta Ernst, Brandenburger Bildungsministerin (beide SPD), haben im Hausmüll vertrauliche Regierungsdokumente entdeckt. Der „ Spiegel “ berichtet.

Demnach sollen Ausdrucke aus dem Terminkalender, E-Mail-Korrespondenzen, Redeentwürfe oder Übersichten für eine potentielle Kleiderauswahl von Ernst gefunden worden sein. Kurz nach dem G7-Gipfel im bayerischen Schloss Elmau sei zudem ein Dokument aufgetaucht mit Fotos sowie „Kurzprofile der Partner:innen“ der Staats- und Regierungschefs.

Zwar seien die Informationen im Wesentlichen auch der Öffentlichkeit bekannt, doch das Auswärtige Amt hatte das Papier als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Und dafür gelten strenge Regeln.

Ja. Das hätte in der Industrie schon nicht mehr in den normalen Müll gegeben werden dürfen.

„Verschlusssachen des Geheimhaltungsgrades ‘VS – nur für den Dienstgebrauch’ können außerhalb des Dienstgebäudes oder einer Liegenschaft nur auf Dienstreisen und zu Dienstbesprechungen mitgenommen werden, soweit dies dienstlich notwendig ist und sie angemessen gegen unbefugte Kenntnisnahme und unbefugten Zugriff gesichert werden“, zitiert der „Spiegel“ aus der Verwaltungsvorschrift des Bundes zum sogenannten „materiellen Geheimschutz“.

Und weiter: Derartige Verschlusssachen seien so zu vernichten, „dass der Inhalt weder erkennbar ist, noch erkennbar gemacht werden kann“. Auf Spiegel-Anfrage äußerten sich Scholz und Ernst bislang nicht dazu.

Und das in einem Kriegszustand.

Mal abgesehen davon, dass solche Akten niemals in den Hausmüll hätten gelangen dürfen, und man es offenbar verpennt hat, Scholz und Frau sicherheitszubelehren, oder die es nicht kapiert haben: Wie ist das eigentlich möglich, dass die Nachbarn an den Kanzlermüll gelangen? Haben die das da irgendwie in die große Wertstofftonne gekippt?

Ich war ja in der Oberstufe in Ludwigshafen auf dem Gymnasium und hatte in der Jahrgangsstufe ein Mädchen, die in Oggersheim im Nachbarhaus von Helmut Kohl wohnte. Und die hat mal erzählt, wie stark das dort absichert wird, dass sie sich selbst ausweisen müssen, wenn nicht schon persönlich bekannt, und dass sie jeden, der zu Besuch kommen will, vorher dort anmelden mussten. Wir könnten nicht einfach so zu ihr zu Besuch kommen. Überall Polizei. Alles umstellt. Ich glaube nicht, dass da jemand an Kohls Müll gekommen wäre. Schon der normale Hausmüll ist ja vertraulich. Guck mal, kaputte Unterhosen. Ach, die essen X und Y? Guck mal, wieviel der säuft. Und was. Mal Fingerabdrücke oder Genprobem sammeln.

Der Vorgang ist mir multipel unverständlich.

Und wie beliebt sind wohl die Scholzens, wenn die Nachbarn gleich zur Presse petzen gehen? Über die Kohls erzählte die Mitschülerin, die seien bei den Nachbarn trotz der Umstände sehr beliebt, sehr gutes Nachbarschaftsverhältnis, die Nachbarn würden da auch zusammenhalten und mitschützen, drauf achten, dass da niemand rumläuft, der nicht hingehört und sowas. Sie wären ganz stolz darauf, dass der Kanzler aus ihrer Wohngegend kommt.