Ansichten eines Informatikers

Die Koffer-Krise

Hadmut
24.8.2022 14:44

Noch mehr Wahnsinn.

Noch ein Bericht über die Kofferkrise in Berlin.

Ich hatte früher, so vor 20 Jahren, mal die Angewohnhein, mir Schalenkoffer zu kaufen und sie mit Farbsprühdosen sehr bunt anzusprühen, um sie in Kofferchaos sofort zu finden und die Diebstahlgefahr zu senken, weil man einen Dieb mit einem schwarzen Koffer nicht entdeckt, aber den mit einem Bunten sofort. Mich sprach sogar damals in New York und in Australien die Flughafenpolizei an und meinte, das sei eine prima Idee, das sei sehr wirksam gegen Diebstahl. War nur leider keine so gute Idee, denn erstens bin ich künstlerisch äußerst unbegabt und meine Kunstwerke waren von zwar diebstahlverhindernder, aber gar zu peinlicher unfähigkeitsoffenbarender Hässlichkeit. Zweitens hielt die Farbe nicht und hat überall Farbreste hinterlassen. Und drittens kamen Hartschalenkoffer aus der Mode. Deshalb habe ich das eingestellt. Zwar neige ich immer noch zu auffälligen Koffern, aber die Standardschwarzheit lässt sich nicht immer verhindern.

Auf dem Foto des aktuellen Berichts über das Berliner Koffer-Chaos sieht man, wie wertvoll so ein auffälliger seltener Koffer und wie aufgeschmissen man mit schwarzer Standardware ist.

Die kriegen das Kofferproblem nicht gelöst.

Was ich daran aber nun so gar nicht verstehe:

Wieso überhaupt?

Was muss da organisatorisch alles schief laufen, dass man Leute nicht über ihre Koffer informieren kann?

Das Problem ist wohl ein wieder typisch deutsch gemachtes, nämlich dass die Daten über drei Gruppen von Leuten verteilt sind:

  • Fluglinien
  • Flughafen und Gepäckbänder
  • Bodendienstleister Wisag, Aeroground und Swissport.

Und ich würde wetten, dass jeder, jede Fluglinie, jeder Flughafen, jeder Bodendienstleister, da sein eigenes System hat, das irgendwie inkompatibel zu den anderen ist, dann noch die Datenschützer drin rumwurschteln und verbieten, und am Ende nur Chaos und Schaden übrig bleibt.

Auch mein Koffer ist weg. Von der Fluggesellschaft kam bisher praktisch keine Hilfe, nach dem Ausfüllen der Verlustmeldung reagiert niemand auf weitere Mails – und Anrufe brachten nur die Auskunft: „Wir suchen noch und melden uns.“

Das dauerte mehr als drei Wochen. Dann hörte ich: Man habe nicht mehr viel Hoffnung, das Gepäck zu finden. Also los, auf eigene Faust!

Ich verstehe das nicht. Was kann das für ein Problem sein, das Gepäck „zu finden“, wenn es nicht gerade (was ja an manchen Flughäfen auch noch vorkommt) vom Personal noch geklaut und rausgeschleppt wird. Das muss ja irgendwo in dem Haufen sein, wenn es nicht im Flug aus dem Flugzeug gefallen ist. Oder der Aufkleber abgerissen ist. Und die Dinger habe ja nun extra einen Barcode und werden auch auf den Gepäckbändern erfasst.

Technisch gesehen wäre das kein Problem, dass da einer mit der Scanner-Pistole mit Inhouse–Navigation einmal entlang läuft, und dann weiß man a) welche Koffer man hat, genauer gesagt, deren Gepäcknummern und b) wo sie stehen, Genauigkeit je nach System 1-2 Meter.

Im Prinzip könnte man damit

  • Leute per E-Mail informieren, wo ihr Koffer steht
  • Fahrten so organisieren, dass man immer solche Koffer zusammen per Kurier ausliefert, deren Empfänger möglichst eng beieinander wohnen.

Denn aus Informatik-Sicht ist das da kein Problem des „Findens“. Es ist ein Problem des Erfassens. Aber das, was an Koffern in diese Halle passt, erledigt jeder Billigcomputer heute mit links. Es wäre überhaupt kein Problem, die Koffer da zu erfassen. Selbst wenn man keine Inhouse-Navigation hat. Jede halbwegs aktuelle Scannerpistole mit Akku hat einen Inventar-Modus, in dem sie erst mal nur alle Barcodes aufnimmt und speichert, und die dann auf einen Rutsch an den angeschlossenen Rechner lädt. Dann macht man halt „Reihe 13“, lädt die in den Rechner, und weiß hinterher zumindest, in welcher Reihe der Koffer steht. Trivial. Solche Scanner bekommt man schon unter 100 Euro.

Kriegt man aber nicht auf die Reihe. In Deutschland unmöglich. Die E-Mail-Adresse liegt wohl bei der Fluglinie, mehr oder weniger, die Adresse unter Umständen auch, vielleicht aber auch eher beim Reisebüro, und so weiter.

Normalerweise ist die Haftung für Fluggepäck auf einen relativ niedrigen Betrag beschränkt. Weiß nicht, wieviel, mal heißt es 1100, mal 1500 Euro, hängt wohl auch von Linie, Land und Flugentfernung ab. Da werden sich die Firmen sagen, ist doch egal, zahlt die Versicherung, warum sollen wir uns Mühe geben.

Die Frage ist aber, ob das in so einem Fall juristisch überhaupt zutrifft. Denn erstens ist so ein Gepäck ja formal nicht verloren, der Flughafen hat es ja. (Es könnte allerdings schwierig sein, nachzuweisen, dass genau dieses Gepäckstück in dem Haufen war.) Und zweitens ist das ja kein Versehen, sondern schon geradezu (bedingter) Vorsatz, das Zeug da einfach vergammeln zu lassen. Und eigentlich müssten die da aus positiver Vertragsverletzung unbeschränkt haften. Und dann würden die sich vermutlich auch in Bewegung setzen.

Ich habe fast den Eindruck, dass das eine Art kalter Streik ist. Dass da irgendwelche Leute bewusst etwas anbrennen lassen, ohne formal zu streiken.

Mir würde das noch einleuchten, wenn die zur Ferienzeit von Personalnot ereilt worden wäre. 3 Tage würde ich noch einsehen.

Mir leuchtet es aber nicht mehr ein, wenn das Gepäck seit 3 Wochen da rumsteht. Denn wäre ich Chef einer dieser Firmen, wäre ich innerhalb dieser 3 Wochen notfalls höchstpersönlich mit einer Scannerpistole rumgelaufen und hätte die Gepäckstücke erfasst. Oder mir die Daten der Gepäcktransportbänder geben lassen, die die ja auch haben müssen.

Denn eigentlich müssten diese Daten ja sowieso da sein, weil die Gepäckstücke ja beim Einladen schon nach den Barcodes geroutet werden und jedes Flugzeug weiß, welches Gepäckstück es an Bord hat. Man lädt die ja auch wieder aus, wenn ein Passagier fehlt. Ob die dann beim Ausladen noch erfasst werden, ob die noch über automatische Sortieranlagen gehen, oder direkt vom Flugzeug ohne Erfassung an das Gepäckband gefahren werden, weiß ich nicht. Aber spätestens, wenn die Leute sich bei der Ankunft beschweren, dass ihr Gepäckstück fehlt, muss da doch was bekannt sein.

Mir will das einfach logistisch nicht in den Informatikerschädel, wie man so ein Chaos bereiten kann, wenn man doch a) die Gepäckdaten ohnehin hat, und b) jedes Gepäckstück einen Barcode hat, den man ruckzuck mit dem Handscanner erfassen kann. Und c) die Fluglinien oder deren Dienstleister in ihren Datenbanken haben müssen, wer welches Gepäckstück hatte, wem also ein Stück mit einer bestimmten Nummer gehört.

Warum keine Gepäckkennung?

Es gab ja schon Vorschläge, Gepäck dauerhaft mit einem RFID-Tag oder ähnlichem auszustatten. Da schreien ja wieder die Datenschützer.

Es wäre aber eigentlich kein Problem, wenn ich in irgendeinem vertrauenswürdigen Escrow-Zentrum hinterlege, dass ich der Eigentümer des Koffers 234178432 bin, und erst dann, wenn mir der Koffer abhanden gekommen ist, dort eingebe, wo ich bin und in welchem Hotel (man ist ja nicht immer zuhause, wenn der Koffer weg ist, sondern vielleicht im Urlaubshotel), wie ich zu erreichen bin. Und dann freigeben „Ja, mein Koffer ist weg, ich gestattete die Halterabfrage, bis der als zugestellt eingetragen ist. Ich könnte ja vorher schon eine automatische Mail bekommen: Koffer 234178432 ist gefunden, tragen Sie mal ein, wie und wo man Sie erreichen kann.

So ein Chaos dürfte es beim Stand unserer Technik eigentlich gar nicht mehr geben. Das ist Problemstand der 1970er Jahre, vielleicht noch der 1990er.

Andererseits, wenn man bedenkt, wann der Flughaben BER geplant wurde …