Preisgefüge
und die, die keine Steuern zahlen.
Also, ich sehe mich jetzt nicht am untersten Ende der Einkommensskala, und für manche Dinge geben ich durchaus eine Menge Geld aus. Manchmal. Ich kann mich erinnern, dass mich mal nach einer Neuseelandreise eine biestige Kollegin, eine von der Sorte, die so auf vordergründig nett macht, einem bei ersten Gelegenheit aber das Messer in den Rücken rammt, in der Teeküche ansprach. Vordergründig lächelnd, aber im Tonfall endlos giftig vor blankem Neid. Wieviel ich wohl verdienen müsste, damit ich mir so teure Reisen leisten könnte, also sie könnte sie das ja nicht leisten, obwohl sie ja auch 40 Stunden arbeite (sie war im Irrtum, weil ich einen 37,5-Stunden-Vertrag hatte, hätte ich das aber gesagt, wäre sie geplatzt). Ich habe ihr – starke Raucherin – dann mal vorgerechnet, dass sie mehr Geld für das Rauchen verbrennt als ich für das Reisen ausgebe, weil ich ja auch günstige Hotels und lange und weiter, aber eher einfache Reisen unternähme, womit sie schon kochte. Und dann trank sie selbstverständlich gern Sekt und Wein, und immer schöne Klamotten, und selbstverständlich fein essen gehen, in München gehört das einfach dazu, und ich erklärte ihr, dass ich das alles nicht täte, dass ich eigentlich ein vergleichsweise einfaches und bescheidenes Leben führe und außer für Reisen und beruflich bedingte Technik wenig Geld ausgebe, und sie offenbar mehr Geld rauswirft als ich. Der Unterschied sei eben nur, dass sie ihr Geld verbrennt und dann nichts zum Angeben hat, sie ja nicht erzählen kann, wie toll die Zigarette letzten Mittwoch war, oder auch nicht mit der dicken Zigarre Eindruck schinden kann. Ich gäbe nicht mehr Geld aus als sie, ich gäbe es nur anders aus, aber halt schlauer. Zwei Schachteln Zigaretten am Tag, bei 5 Euro pro Packung, macht 3650 Euro im Jahr, damit kann man schon nach einem Jahr Nichtrauchen nach Neuseeland, und ich mach(t)e ja nur alle drei bis vier Jahre eine große Reise. Also einfach sofort das Rauchen aufhören, das Geld stattdessen aufs Sparbuch, und schon nach dem Abklingen des Turkey sanft in die Reiseplanung einsteigen. Und bis man sich die Reise leisten kann, schafft man es dann auch, lange genug im Flugzeug zu sitzen. (War auch eines ihrer Probleme als Raucherin.) Die ist fast explodiert. Die stand da und brummte wie ein alter Transformator, weil sie nicht mehr wusste, ob sie neidisch oder wütend war. Die konnte sich nicht vorstellen, dass man nach einem Jahr 3650 Euro hat, wenn man jeden Tag die 10 Euro für das Rauchen nicht mehr ausgibt. Die Wunder der Multiplikation, in Perfektion vorgeführt vom Mann.
In Neuseeland war ich seit Jahren nicht mehr, aber ich habe es dieses Jahr schon einige Male bis nach Berlin geschafft. Was daran liegt, dass ich in Berlin wohne. Und es deshalb auch zu Fuß nach Berlin schaffe. Ich muss nur vor die Tür.
Vor ein paar Tagen stand ich am Alexanderplatz, es war heiß, und ein Eisland wollte für ein kleines, lumpiges Softeis schon völlig ohne Extras, nur die Waffel und ein Tupfen Softeis, schon 3 Euro. Ich stand davor und dachte mir „Nein.“ Inflation hat nicht nur mit Preissteigerungen zu tun, sondern zumindest zu einem gewissen Teil auch, was man mit sich machen lässt, was man so hinnimmt. Es ist mir völlig egal, warum das Softeis 3 Euro kostet, ob der Strom, die Zubereitung, das Personal, die Miete so teuer geworden sind oder da einer einfach gierig ist. Ich sehe das nicht ein, also mache ich das nicht mit.
Heute war ich wieder in Berlin.
Diesmal am Potsdamer Platz. Und wollte dort bei der Gelegenheit von Hungers wegen mal in die Shopping-Mall „Potsdamer Platz Arkaden“, weil ich gelesen hatte, dass man die umgebaut hätte. Früher war die proppen voll, aber seit man direkt nebendran noch eine zweite, größere Mall gebaut hat, die „Mall of Berlin“, war da nicht mehr viel los, weil man in Berlin dachte, dass man alles endlos mit Shopping Malls zupflastern könnte, und die Leute proportional einkaufen. Es gibt in Berlin und Umgebung aber angeblich schon so um die 70 oder 80 Shopping Malls, und man musste betrübt feststellen, dass man keinen Wachstums-, sondern nur noch einen Verdrängungsmarkt hat. Und jetzt versucht man also, Kundschaft zurückzugewinnen, indem man lauter und schriller wird, und man das Ding statt „Potsdamer Platz Arkaden“ nun „The Playce“ nennt. Scheußlich, aber einmal gucken und sich gruseln kann man ja mal. Irgendwas hatte ich da falsch verstanden, denn das Ding war noch Baustelle und noch geschlossen.
Also bin ich stattdessen doch in die „Mall of Berlin“, in der ich auch schon seit vor Corona nicht mehr war. Ich mag die irgendwie nicht so und kann mit der auch rein gar nichts anfangen, zumal es da außer einem Schuhladen auch kein Geschäft gibt, dass mir einen Grund böte, das Shopping-Monstrum überhaupt zu betreten, abgesehen von der Fressmeile im obersten Geschoss. Da ist zwar auch nichts berühmt, aber es gibt immerhin sehr viele Läden und eine Auswahl, die geringfügig über Burger, Pommes, Inder und Thai hinausgeht. Pizza haben sie auch. Ich entschied mich zum veganerverachtenden Konsum einer „Ente, knusprig, süß-sauer“. Mit Reis. Zum Hier-Essen. Auch dabei fiel mir auf, wie teuer das Zeugs alles geworden ist. Die Ente war noch halbwegs in den üblichen Preisen, aber ein paar Läden weiter hatten sie eine Portion Edel-Pommes für 8,50 € in der Pappschale. Zugegeben, von Hand massiert, mit Salatbeigabe und Sondersoße. Aber eine Pommes für 8,50 liegt, sofern man sie nicht gerade im Edelrestaurant mit Blick auf die Stadt schlotzt, sondern in einer Pappschale bekommt, außerhalb meines Verständnishorizontes. Ich hatte neulich irgendwo, ich glaube, es war in der Friedrichstraße, so ein Frittenfachgeschäft gesehen, in dem sie einem die Fritten zwar mit Erlebnis verkauften, aber doch nur Fritten mit Wundersoße in der Pappschale für ähnliche Preise. Da stand ich davor und dachte mir „Arsch offen…“. Der Laden war aber voll.
Und vorhin in der Shopping-Mall hatten sie dann auch noch eine Eisdiele, die dann 2,50 € pro Kugel haben wollte. Da dachte ich mir auch, „Nein.“. Der Geldbeutel hätte es ausgehalten, aber mein Preisgefühl nicht. Da ist ein Punkt erreicht, an dem ich mir sage, das mache ich einfach nicht mehr mit. Und dazu trug auch bei, dass ich während des Verzehrs meines Teils der Ente in der Etage drunter einen Hinweis gesehen hatte, dass ein Fachgeschäft für schicke Damenunterwäsche zugeklebt war und ein großes Schild drauf hatte, dass sie jetzt ein paar Läden weiter seien, man hatte offenbar eine Möglichkeit gefunden, sich zu vergrößeren. Und zwar jetzt 20 Meter weiter. Da stand aber sowas wie „Ab. 31.12.2021“ drauf. Wenn sie aber seit 31.12.2021 ihre Unterhosen 20 Meter weiter verkaufen, dann bedeutet das, dass der Laden, indem sie es bisher taten, seit 8 Monaten leer steht. Und auch in der Fressmeile waren manche Geschäfte nicht geöffnet oder machten sogar einen ausgeräumten Eindruck. Das läuft im Ganzen nicht rund, man sieht die Corona-Krater und Inflationsschluchten in der Geschäftslandschaft. Kann man sich da solche Preise leisten?
Ich habe da heute, wie auch in den anderen Fällen, etwas beobachtet:
Die Läden laufen. Mehr oder weniger. Trotz der Preise. Die Leute kaufen trotzdem.
Ich sehe dort aber keine Leute meines Alters. Und vermute, dass die alle so denken wie ich.
Ich sehe dort junge Leute, so gefühlt im Alter zwischen 14 und 24.
Junge Mädchen, natürlich mit teurem Smartphone, die da wie selbstverständlich essen und sich unterhalten, oder auch ein McDonalds-Sortiment, und für die das zum Lebensstil gehört, obwohl sie offensichtlich nicht in dem Alter sind, in dem man seinen Lebensunterhalt selbst verdient. Die sehen aus, als zahlten sie jeden Preis. Freilich fehlt denen das Gefühl, dass das alles mal weniger kostete, aber es heißt zumindest, dass sie genug Geld haben, um es ohne mit der Wimper zu zucken auszugeben.
Es gab in Berlin, in Kreuzberg, Zeiten, als man Gastwirten die Bude demolierte oder mit mehreren Eimern Fäkalien vollkippte, wenn sie auch nur ein einziges Gericht über 10 DM auf der Karte hatten. Und jetzt zahlen sie für Fast Food Mondpreise.
Offenbar Mondpreise, die sie nicht selbst erarbeitet haben. Da fehlt das Gefühl für den Arbeitsaufwand, den man dafür treiben muss.
Inflation besteht nicht nur aus der Preissteigerung. Sondern zu einem Teil auch aus Zahlungswilligkeit. Und wären nicht so viele Leute so willig, 3 Euro für ein Softeis und 8,50 für eine Pommes auszugeben, würden die das auch nicht kosten. Man muss Inflation zu einem Teil auch als Zahlungswilligkeit derer ansehen, die ihr Geld nicht selbst erarbeiten.
Und diesen Symptom, dass Jugendliche, die nicht arbeiten, für etwas mehr zahlen, als ich als jemand, der sein Geld erarbeitet, dafür zu zahlen bereit wäre, ist mir schon einige Male aufgefallen. Neulich erst bei Klamotten. Ich war verreist und hatte nicht genug warme Klamotten dabei und habe mir einen Kapuzenpulli gekauft. Zuerst war ich in einer Shopping-Mall, in der für die Jugend die ganzen angesagten Label-Dinger mit Aufdrucken verkauft wurden, alle über 100 Euro. Sehe ich nicht ein, aber die Läden brummen. Ich war dann woanders, wo ich einen gefütterten No-Name-Kapuzenpulli ohne jeden Aufdruck für 15 Euro bekommen habe. Weil der reichte und auch nur ein paar Tage halten musste. Die Verkäufer sagten aber, dass Jugendlichen sowas nicht anziehen würden. Die nähmen nur Produkte der angesagten Marken. Man sieht darin halt nicht aus wie der Superstar, sondern nur wie irgendein Mann in irgendeinem Kapuzenpulli. Die Funktion, einen warm zu halten, erfüllte er aber gut.
Das ist ein Effekt, den ich aus meiner Jugend nicht kannte. Bei uns war das so, dass man sich teure Klamotten kaufte, sobald man „eigenes Geld“ hatte, und bis dahin hat man sich einfach und funktionell bescheidet. Bei uns gab es damals die Klamotten aus dem Sommer- und Winterschlussverkauf. Und wir hatten keine Markenlabels drauf, sondern Flicken.
Wie ich also so nach Hause komme, finde ich in der Mailbox einen Hinweis eines Lesers auf diesen Rant bei „Ansage!“: Das unsägliche Anspruchsdenken der 9-Euro-Gesellschaft
Da regt sich einer richtig darüber auf, dass die Leute inzwischen erwarten, alles gratis zu bekommen, dass einem alles von der Gesellschaft bezahlt wird.
Es wird mal wieder Zeit, sich unbeliebt zu machen: Die „Welt” hat einen Artikel über zwei arbeitsunfähige Frauen veröffentlicht, die sich vehement für eine Fortführung des 9-Euro-Tickets aussprechen. Dass die gegenwärtige Situation für Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten nicht einfach ist, braucht mir niemand zu erzählen. Genau das ist der Grund, weshalb ich mich seit Jahren beispielsweise gegen die Energiewende oder die Niedrigzinspolitik ausspreche: Weil eben die Einkommensschwachen am Härtesten getroffen werden und meine Heimatstadt zufälligerweise eine der ärmsten Städte Deutschlands ist. Dennoch muss man sich die vorgebrachten Argumente genau anschauen.
Die „Welt“ schreibt: „Es soll an die Nordsee gehen. Es ist ihr (Frau Duwe’s) erster Urlaub seit 15 Jahren. ‚Ich will noch ein letztes Mal vom 9-Euro-Ticket profitieren‘, sagt die 52-Jährige aus Köln.“ Hierzu folgendes: Das 9-Euro-Ticket war nie dazu gedacht, Urlaubsreisen, die in den letzten 15 Jahren schon nicht realisierbar waren, in einer Krisenzeit zu ermöglichen. Es sollte zum einen als Entlastung für die Bürger aufgrund gestiegener Energiekosten dienen und zum anderen Anreize setzen, um den Umstieg vom Auto auf die Schiene voranzutreiben. Ersteres war nichts als sinnlose Symptombekämpfung, und letzteres ist als staatliches Umerziehungsprogramm abzulehnen. Aber so oder so war die Absicht jedenfalls NICHT, Vergnügungsfahrten zu ermöglichen.
Dann heißt es in der „Welt”: „Für Hella Duwe ist das ein dramatischer Verlust. Schon während der Corona-Pandemie seien die Preise für Güter des täglichen Lebens so stark gestiegen, dass sie sich nicht einmal ein Sozialticket habe leisten können.“ Das verstehe ich vollkommen; immerhin lebe ich im gleichen Land und spüre die Preissteigerungen ebenfalls. Bloß: Bei mir interessiert sich niemand dafür, weil ich zur Gruppe der Steuerzahler gehöre, die medial keine Lobby besitzt und – bei einer Steuern- und Abgabenquote von faktisch über 70 Prozent – von der Politik als offenbar unerschöpfliche Melkkuh betrachtet werde. Und auch Mitmenschen wie Frau Duwe scheinen kein Problem damit zu haben, ihre steuerzahlenden Mitbürger weiter zu schröpfen – denn die müssen ja schließlich staatliche Wohltaten wie das 9-Euro-Ticket finanzieren.
Wir haben eine Schieflage zwischen denen Teilen der Gesellschaft, die ihr Geld erarbeiten, und denen, die es nicht tun. Und zwar sowohl denen, die Geld haben, obwohl sie es nicht erarbeiteten, als auch denen, die kein Geld haben, weil sie es nicht erarbeiten. Denn erstere haben Geld und letztere bekommen „Sozial“. Und die, die arbeiten, sind die Dummen, weil sie sich sogar mit denen, die von ihren Steuergeldern leben, selbst Konkurrenz machen. Das ist so ähnlich wie auf dem Wohnungsmarkt, wo wir uns die Mieten nicht mehr leisten können, weil wir mit unseren Steuergeldern dafür sorgen, dass die, die nicht arbeiten, höhere Mieten zahlen können (oder für sie gezahlt werden), als die, die arbeiten.
Wir haben hier nicht einfach nur eine Inflation, weil das Gas so teuer wird. Wir sehen hier die ersten Symptome einer zersozialisierten Gesellschaft, in der der Zusammenhang zwischen Konsum und eigenem Beitrag dazu in Form von Arbeit zerstört wurde. Wer arbeitet, ist der Dumme, denn er bekommt nichts gratis, muss aber den anderen ihren Gratis-Konsum bezahlen und für seinen eigenen Konsum immer mehr bezahlen.
Im Moment betrifft das noch solche Güter wie Dekadenzfritten und Automatensofteis.
Aber demnächst dann Gas, Strom, ob man es in der Bude warm hat. Dann werden es die, die nicht arbeiten, zumindest ein Teil von ihnen, wärmer haben als die, die arbeiten.
Es gibt Leute, die fürchten soziale Unruhen im Herbst und Winter.
Ich dagegen fürchte, dass es sie nicht gibt.
Denn ein „weiter so“ wäre das Schlimmste, was dieser Gesellschaft widerfahren kann. Selbst wenn wir den Winter überstehen, weil er vielleicht nicht so kalt wird, die Russen Gas liefern und die Franzosen ihre Kraftwerke wieder hoch kriegen, und sich vielleicht sogar der Ukraine-Krieg etwas beruhigt und dort etwas Ruhe einkehrt: Wir würden es als Gesellschaft nicht überleben, diesen Winter zu überleben. Denn schlimmer als ein Winter, den wir nicht überleben, wird die Zeit nach einem Winter, den wir überleben, weil der den Leuten signalisieren würde „es läuft doch“, obwohl wir nur unsere letzten Reserven verheizen. Wir haben uns in eine Situation gebraucht, in der der nächste Winter verheerender wird, wenn wir ihn überstehen, als wenn wir ihn nicht überstehen.
Mal sehen, wann die Fritten 18,50 kosten.