Ansichten eines Informatikers

Österreich und das Internet

Hadmut
31.8.2022 22:26

Sorry, aber viel schlauer als die Deutschen sind die da auch nicht.

In Deutschland habe ich das 2009 zur Kinderpornosperre mal erklärt, dass das mit dem Sperren von IP-Adressen gegen Webseiten eine ziemlich dumme Idee ist. Weil es das Konzept der „virtuellen Webserver“ gibt, also derselbe Rechner mit derselben IP-Adresse ganz viele Webseiten unter verschiedenen Domainnamen (und noch andere Dinge) hosten kann. Sperrt man eine Webseite über die IP-Adresse ab, sperrt also möglicherweise auch ganz viele andere Webseiten anderer Anbieter, gegen die man keine Rechstposition hat. Kapiert haben die es – außer den anderen Providern und ein paar Leuten im Bundeskriminalamt – aber nicht.

Das Problem ist, dass Juristen da dann gerne auch völlig uneinsichtig und begriffsunwillig sind, weil die immer davon ausgehen, dass wenn jemand einen Rechtsanspruch hat, der dann auch irgendwie gegen irgendwen durchzusetzen ist, ohne jede Rücksicht auf den technischen Sachverhalt oder Rechte Dritter. Manchmal kritisieren mich Leser, dass ich die Geisteswissenschaftler so harsch kritisierte, denn auch Juristen seien doch Geisteswissenschaftler. Naja, aber manchmal oder sogar ziemlich oft benehmen sich Juristen eben auch wie Geisteswissenschaftler: Wenn sie Recht und Moral auf ihrer Seite fühlen, sind die durch nichts und niemandem mehr aufzuhalten und nicht mehr in der Lage, einen Fehler oder Rechte Dritter einzusehen. So gibt es in den USA ja auch Gegegenden, in denen man nach einem Mord lieber einen Unschuldigen als gar keinen hinrichtet, weil die Sühne und Befriedigung der Angehörigen einfach sein muss. Man will ja als Staatsanwalt auch wieder gewählt werden.

In Österreich haben sie nach einem Urheberrechtsstreit (anscheinend irgendeine Raubkopie auf einer Webseite) wieder mal Webseiten gesperrt, diesmal auf IP-Adressenebene, wie winfuture berichtet.

Wie die Nichtregierungsorganisation (NRO) Epicenter.works berichtet, kam es am Sonntagabend zu einer ganzen Reihe von Meldungen, dass verschiedene Webseiten, die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten, plötzlich nicht mehr erreichbar waren. Es zeigte sich allerdings, dass ihre Gemeinsamkeit darin lag, dass sie beim Cloud-Dienstleister Cloudflare gehostet werden. Dieser hatte in dem Fall aber keine Störung zu beklagen, sondern wurde Ziel einer Netzsperre.

Eingeleitet hatte diese die “LSG – Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten GmbH”, die im Auftrag von Rechteinhabern die Wahrung von Urheberrechtsansprüchen organisiert. Das Unternehmen hatte Verfügungen erwirkt, die fast alle Provider Österreichs zur Umsetzung von Sperrmaßnahmen zwangen. Hier wurden allerdings nicht die DNS-Einträge der Webseite, von der vermeintlich Rechtsverletzungen begangen wurden, blockiert, sondern die IP-Adresse.

Wie dämlich kann man sein?

Die haben die IP-Adressen von Cloudflare gesperrt. Cloudflare ist aber nicht einfach nur ein Cloud-Anbieter, bei dem ein paar zig, hundert oder tausend Domains auf einem Server mit einer IP-Adresse laufen, sondern die betreiben ein Content Delivery Network, also solche Server-Netzwerke, die extram stark angefragte Seiten wie große Nachrichtenseiten und sowas zwischenpuffern und mit sehr vielen Servern verteilen, wenn man so viele Anfragen hat, dass einzelne Server das nicht mehr schaffen. Die haben dann nicht hunderte, sondern hunderttausende Domains für Webseiten auf ihren Servern. Und wenn man die sperrt, funktioniert ziemlich viel nicht mehr.

Dass dies ein Problem werden kann, dürfte eigentlich jedem klar sein, der sich ein wenig mit der Infrastruktur des Netzes auskennt. Denn die meisten Systeme werden weiterhin über IPv4-Adressen angesprochen, von denen es aber zu wenige gibt, als dass jedem einzelnen Rechner oder jedem Angebot im Netz eine eigene Nummer zugedacht werden könnte. Bei großen Hostern und Cloud-Anbietern teilen sich daher oft mehrere Kunden eine IP-Adresse und die Systeme leiten beispielsweise den Besucher anhand der mitgelieferten DNS-Daten an die richtige Stelle.

Dadurch wurden im vorliegenden Fall gleich mehrere andere Webseiten, darunter auch ein Online-Shop, mit gesperrt. “Was da gestern im Internet in Österreich los war, ist so, als würde man ein ganzes Hochhaus oder Einkaufszentrum sperren, weil in einem Geschäft etwas geklaut wurde”, kommentierte Dominik Polakovics von Epicenter.works. Völlig legale Angebote waren so über Stunden nicht erreichbar, weil es der Medienindustrie zu aufwendig ist, den eigentlichen Beschuldigten, die meist im Ausland sitzen, nachzustellen.

Würde mich mal interessieren, wie und bei welchen Gerichten die diese Verfügungen erwirkt haben und welche Richter sowas durchwinken. Und in wessen Namen.

Und wer für den Schwachsinn haftet.

Es bleibt zu wünschen, dass die da mal in Schadensersatzhaftung genommen werden, dass die Wände wackeln.

Aber wieder mal das Prinzip unserer Zeit, dass an allen Macht- und Schaltstellen garantiert inkompetente und ahnungslose Leute sitzen müssen.

Ich bin aber überzeugt, dass Ursula von der Leyen damit auch nochmal kommt.

Das eigentliche Problem ist, dass wir immer noch am Bild des Juristen und Richters festhalten, das aus dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit stammt, als man noch Universalgelehrter sein und von allem Ahnung haben konnte. Goethes Faust konnte noch behaupten

“Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum-
Und sehe, daß wir nichts wissen können!”

Immerhin konnte der noch alles studieren und damit als Jurist zumindest auf dem Stand des damals verfügbaren Wissens sein und, soweit damals möglich, taugliche Rechtsansichten entwickeln. Heute geht das nicht mehr. Und trotzdem halten wir immer noch am Jahrhunderte alten Bild des Juristen mit der „Befähigung zum Richteramt“ als Judikative fest, der über alles entscheidet und von nichts eine Ahnung hat.

Und dann kommt sowas dabei heraus.