Ansichten eines Informatikers

Anachronismus Aktenkoffer

Hadmut
7.9.2022 13:01

Irgendwie auch nicht mehr angesagt.

Ich habe gerade etwas aus meinem Keller geholt. Natürlich wieder was von ganz hinten. Dabei fiel mein Blick zufällig – nein, eher zwangsläufig, stand daneben – auf einen Gegenstand, den ich schon aus meinem aktiven … wie nennt man das? … wie nennt man das Analogon der benutzten Dinge zum „aktiven Wortschatz“ im Gegensatz zum passiven? … gestrichen hatte:

Mein alter Aktenkoffer. Hartschale. Bewährt, weil man da auch die nicht ganz so breiten Aktenordner und anderen Kram reinlegen konnte. Fächer für Aktenmappen. Samsonite. Hatte ich mir als Student mal Anfang der Neunziger bei Karstadt in Karlsruhe gekauft. Konnte ich mir eigentlich nicht leisten, aber sie hatten ihn sehr stark runtergesetzt, weil er eine ziemlich hässliche Schramme hatte. Ich dachte mir, bei einer wird es nicht bleiben, und habe es dann mit einem Stechbeitel geschafft, die Schramme auf nahezu unsichtbar zu begradigen. Der Koffer hat mir bis weit in das Berufsleben jahrelang gute und treue Dienste geleistet.

Aber irgendwann, als der Notebook zur Hauptsache wurde, die man mitschleppte, und keinen Stapel Overhead-Folien mehr, geriet der in Vergessenheit.

Er steht mir auch nicht mehr. So ein Samsonite-Aktenkoffer, der sah nach was aus, wenn man dazu einen grauen Anzug und eine dezente Krawatte trug, aber das tue ich ja nicht mehr. Längst durch Umhängetaschen aus Textil ersetzt. Als ich nach Berlin umzog und meinen Hausstand noch eingelagert hatte, nur das nötigste dabei, hatte ich mir mal eine ganz billige Umhängetasche bei IKEA gekauft, weil ich dringend was für den Weg zur Arbeit brauchte, und gerade nichts hatte. Ich dachte mir, die muss ja nicht lange halten, nur bis ich wieder an meinen Kram käme. Sie hat acht Jahre gehalten. Eigentlich länger, denn sie sieht inzwischen nur schäbig runtergekommen aus, hat aber keine Funktionseinbußen, und für Berlin ist sowas genau richtig. Da soll es billig und abgeranzt aussehen, damit es nicht so schnell geklaut wird.

Ich habe auch teure Taschen. Die eint aber das Problem, das sie allesamt auf Notebooks ausgelegt sind. Da steht dann drauf, dass in dieses Fach ein 15- oder 13-Zoll-Notebook reinpasst, und ein Kabelfach haben sie auch, manche sogar einen Flaschenhalter, aber etwas so profanes wie „DIN A4“ passt nicht mehr rein, zumindest nicht mit einer Mappe außenrum. Anscheinend kommt heute niemand mehr auf die Idee, Papier in einer Tasche mit sich zu tragen, denn das Inhaltsmaß der Dinge vieler Taschen lautet heute auf „iPad“. Oder x-Zoll-Notebook.

Es gab mal eine Zeit, da hatten Taschen noch Kopfhörerdurchbrüche oder -durchführungen. Das ist pas­sé. Heute hat man USB-Durchführungen, und kommt ein neuer USB-Standard, braucht man eine neue Tasche. Warum man es nicht bei einem gewöhnlichen Kabeldurchbruch, also einer Art gummiertem Loch belässt, und dann einfach das USB-Kabel seiner Wahl durchzieht, konnte mir noch keiner beantworten. Man versteht die Frage des komischen Alten nicht.

Inzwischen kommen Taschen erlesener Hässlichkeit in den Trend, Taschen mit Molle-System. Das, was ursprünglich für die US-Soldaten entwickelt wurde, auch die Polizei hat. Dieses System aus vielen horizontalen aufgenähten Bändern, in die man nach Belieben kleine Aufsatz- und Ergänzungstaschen, Flaschenhalter und so einen Kram einweben kann. Sehr hässlich, aber sehr praktisch. Aus irgendwelchen Gründen gibt es das Zeug aber nur in Militär- und Tarnfarben. Ein Hersteller in China bietet sie mir auch in rot an und macht mir einen guten Preis bei Abnahme von 1000 Stück.

Ich habe Taschen, die ich nicht mag. Ich brauchte mal Taschen in einer bestimmten Größe, die ich auch fand. Die als Sekundärnutzen haben, dass sie in die Bordgepäckmaße mancher Billigairlines passen. Robust, preisgünstig, chinesisch, hässlich. Weil auch wieder mit diesem Molle-System ausgestattet, und im Jagd- und Militärdesign. Aus irgendwelchen Gründen kommt das gerade in Mode, die als „sling“ zu bauen, mit einem einzigen, zentral gehaltenen Schultergurt. Man trägt sie meist diagonal, und sie sind unbequem. Abgesehen von hässlich und unbequem aber nicht schlecht.

Mir geht es auf den Wecker, dass fast alle diese Tasche auf der Unterseite ein mit einer Öse gefasstes Loch haben, durch das kleinste Teile rausfallen oder an dem andere Dinge wie Notebooks oder Kameras zerkratzen können. Ja, ich weiß, wofür das ist. Damit das Wasser, das einem im Regenwald oder Dschungel oben reinläuft, auch unten wieder rauslaufen kann. Ich habe aber nicht vor, damit noch am Vietnam-Krieg teilzunehmen.

Aber wenn ich so nachdenke:

Zumindest meiner spontanen Erinnerungsfähigkeit nach habe ich schon lange, lange niemanden mehr mit einem Aktenkoffer gesehen.

Ob ich ihn zu einem tragbaren Springbrunnen umbaue?