Die Theorie der zwei Körper
Der König ist tot. Lang lebe der König.
Ich hatte etwas Kritik an der Vorgehensweise genübt, dass bereits der nächste König König ist, bevor der alte noch richtig kalt und die Nervenzellen alle Funktionen eingestellt haben. Ich sehe gerne ein, dass das früher in Zeiten von Machtkämpfen und Kriegen unbedingt notwendig war, um Kontinuität herzustellen und instabile Machtlücken zu vermeiden, vor allem erst gar keine Diskussionen aufkommen zu lassen, wer nun der Nachfolger wird. Bei der Führung durch die verschiedenen Tempel und die verbotene Stadt in Peking sagten sie, dass es sie betrübt, keine oder kaum historische Gebäude aus Zeiten vor der letzten Dynastie zu haben, weil es damals üblich war, dass jeder Kaiser einen neuen Stil einführt und alles, was bisher stand, abgerissen und neu gebaut wird. Weil die sich aber ständig gegenseitig abgemurkst haben und die Kaiser sehr häufig wechselten, sei es ein ständiges Abreißen und Neubauen gewesen, weshalb man da – im Gegensatz etwa zur chinesischen Mauer – von vornherein viel mit Holz gebaut hat, musste und sollte ja nicht lange halten. Außerdem ist bekannt, dass der Palastschwund ganz enorm war, weil die Eunuchen bei jeder Gelegenheit geklaut und rausgetragen haben, was sie greifen konnten.
Auch in unserem Staat gibt es das Prinzip noch, nämlich in der Verfassungsregel, dass im Kriegsfall die Regierung im Amt bleibt und Neuwahlen verschoben werden. Jetzt ein 30-Jähriger Krieg bedeutet 31 Jahre Scholz+Habeck. Weil man sich im Kriegsfall keine regierungsfreien Zeiten leisten kann.
Ich kenne den Spruch „Der König ist tot. Lang lebe der König.“ deshalb als Ausdruck der Kontinuität, dass mit dem letzten Atemzug des letzten Königs sofort der nächste im Amt ist.
Eine Leserin sieht das anders:
In Ihrem Beitrag zum Tod der Queen allerdings springen Sie, meiner Meinung nach, zu kurz.
Die Formel: “Der König ist tot, es lebe der König” geht auf die Theorie der zwei Körper des Königs zurück. Er, also der König, ist in der glücklichen – oder tragischen – Lage, über zwei Körper zu verfügen: einmal den physischen subjektiven Körper, der altert, krank werden kann, sterben wird und wie jeder Bürger auch den Gesetzen des Staates unterliegt, und einmal den, ja sagen wir, transzendenten Körper des Königs-Amtes, der praktisch über allem schwebt, unangreifbar ist und unsterblich.
Das ist nicht nur im Sinne der Nachfolge so geregelt, sondern weist auch auf die Tatsache hin, dass das Königsamt von Gott kommt oder dem “überirdischen Leib Christi” folgt. Also eher ein Begriff, eine Formel der politischen Theologie – der König in Großbritannien (oder die Königin) ist ja auch immer Chef der anglikanischen Staatskirche. Somit das Gegenteil von Pietätlosigkeit.
Ebenso ist die Sitte der öffentlichen Aufbahrung zu sehen: der physische tote Körper muss von so vielen Leuten als möglich gesehen werden, damit der Nachfolger legitimiert ist.
Dass wir das heute in unsere nüchternen und traditionsvergessenen Zeiten nicht mehr nachzuvollziehen gewillt und imstande sind, besonders in diesem schönen Land, wo jeder jeden Tag sein darf, was und wer er will, ist verständlich, enthebt uns aber nicht der Pflicht, es bei anderen mit freundlicher Toleranz zu akzeptieren.
Sollte es Sie generell interessieren, kann ich Ihnen von Ernst H. Kantorowicz “Die zwei Körper des Königs” von 1957 empfehlen, erschienen letztmalig in der dt. Übersetzung 1994 bei dtv. Schwierig, aber sehr gut.Nehmen Sie mir die Besserwisserei bitte nicht übel, aber das ist ein Thema, auf das ich anspringe wie der Hund auf den Wurstzipfel.
Davon habe ich noch nie gehört. Ich habe das geprüft, und alle Quellen, die ich finden konnte, die sich zu diesem Spruch äußern, sehen dies als Ausdruck der Kontinuität, beziehen den zweiten Teil auf den neuen König. Außerdem wird übereinstimmend beschrieben, dass der Spruch ursprünglich aus Frankreich kommt: Le roi est mort, vive le roi. Zu der Sache mit dem transzendenten Doppelkörper habe ich dagegen keine einzige Quelle gefunden (allerdings auch nicht sehr lange gesucht). Ich halte das nicht für richtig.
Das wollte die Leserin nich gelten lassen, weil es ja hier um England und nicht Frankreich gehe. Ich habe dann auch Quellen und Belege für die Kontinuität und den Bezug auf den neuen König von englischen Schlauwebseiten vorgelegt.
Als Hauptargument würde ich aber ansehen: Bezöge sich der Spruch auf den ersten (phyischen) und zweiten (transzendenten) Körper des alten Königs, hätten sie ja weiterhin „God save the Queen“ rufen müssen. Sie haben aber „God save the King“ gerufen. Und Queen Elizabeth II wäre so ziemlich die letzte auf Erden, die ich in Verdacht hätte, queer zu sein. Queen ja, aber nicht queer. Schon gar nicht posthum. Deshalb würde ich zu wasserdichten 100% unterstellen, dass sie alle und ausnahmslos Charles damit meinten.
Ich würde die Theorie deshalb verwerfen.