Industrialisierung – Deindustrialisierung
120 Jahre.
Ich hatte das zwar schon mal, aber weil’s so schön ist, noch einmal, ein digital aufgemöbelter Film aus der Wuppertaler Schwebebahn von 1902 (!).
Can watch this over and over again.120 yr old clip of the Wuppertal Suspension Railway in Germany, 1902. The footage is colorized and speed adjusted. The "Wuppertaler Schwebebahn" opened in 1901. It is still in use, moving 25 million passengers annually.pic.twitter.com/bqxVcpPBv6
— ArtNouveauDeco (@NouveauDeco) September 24, 2022
Immer wieder erstaunlich, wie groß der Sprung in der historischen Überlieferung von Zeitfakten mit der Erfindung der Fotographie und des Bewegtbildes ist. Plötzlich keine Interpretationen mehr (außer bei den Farben beim Nachkolorieren), sondern authentische Informationen. Ich befürchte allerdings, dass das nur eine kurze Episode ist, weil wir gerade noch am hinteren Ende der Lagerfähigkeit des alten Filmmaterials sind, und es uns weder quantitativ, noch qualitativ gelingen wird, unsere eigenen Filme ähnlich lange zu bewahren, geschweige denn über tausende Jahre. Nehmt Euch mal ein Handy oder eine ActionCam und fahrt mal mit irgendeiner Bahn und nehmt das auf. Und dann überlegt Euch mal, wie lange sich wohl irgendwer anderes darum scheren wird oder es auch nur wird sehen können. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass wir gerade unendlich viel Schrott und Müll auf den großen Digitalhaufen werfen.
Faktisch sind wir aber nicht mal in der Lage, alle Datenformate für uns selbst nachvollziehbar zu beschreiben. Fragt mal die Bundesregierung, welche Videoformate sie nutzt und welche davon sie komplett bis ins letzte Bit beschreiben kann.
Aber ich will eigentlich auf etwas anderes hinaus.
Auf das famose 19. Jahrhundert. Gut, nicht alle werden es so famos finden, weil es auch viel Elend brachte und historisch viel Ärger in der Luft war, aber es war das Zeitalter der Eisenkonstruktionen und der Dampfmaschine. Die Sternstunde des Maschinenbaus, alle diese Dinge, die wir heute nur noch in Museen oder in Form von Bauwerken wie Brücken oder etwa des Eiffeltums bewundern können, sofern sie überlebt haben. Alles schien möglich, Technik und Wissenschaft hatten einen großen Run, Autoren wie Jules Verne oder Mary Shelley, und indirekt sogar Karl May nutzten diesen Technikschub, inhaltlich über ihre phantastischen Geschichten (und sei es nur die Möglichkeit, überhaupt in andere Kontinente zu reisen), Entdeckung der großen Themen der Elektrizität, Erfindung der Fotographie, alles schien möglich, allerdings auch die Arroganz unendlich – irgendwer, war es nicht die Royal Society, hatte damals behauptet, die Physik sei fertig, man habe alles entdeckt und wisse nun einfach alles. Tatsächlich aber hatte man ein zunächst erst mal in sich abgeschlossenes Weltbild der Mechanik und Thermodynamik. Erst die Elektrizität warf dann wieder neue Fragen und Möglichkeiten auf. Westinghouse gegen Edison. Zwar ist die Erfindung des Flugzeuges erst ab etwa 1900 gelaufen, aber noch dem 19. Jahrhundert zuzurechnen, weil dessen Konsequenz und Folge dessen Naturwissenschaftsdrangs. Allerdings muss man dann auch den ersten Weltkrieg als ersten Maschinen- und Chemiekrieg noch als ein Produkt der Entwicklung im 19. Jahrhundert ansehen. Panzer, Flugzeuge, Maschinengewehre, Telefonie, Telegraphie waren zentrale Elemente und Produkt des 19. Jahrhunderts.
Das Zeitalter war phantastisch, nicht umsonst gibt es die „Steampunks“ und Filme wie „Wild Wild West“. Selten, oder eigentlich nie, hat die Gesellschaft einen solchen Schub nach vorne gemacht wie in diesem Jahrhundert. Vergleicht man die Lebensumstände der Menschen von 1900, oder 1920 am oberen Ende mit denen von 2022 der normalen Bevölkerung, dann unterscheiden die sich gar nicht mal so sehr, denn das 20. Jahrhundert hat zwar viel erfunden und entwickelt, weit mehr als das 19. Jahrhundert, aber es war eher evolutionär statt revolutionär. Heute haben wir schönere Lampen, schönere Radios, schönere Waschmaschinen, schönere Telefone, schönere Autos und schönere Eisenbahnen. Aber im Prinzip gab es das auch um 1900 schon. Der Unterschied von 1800 zu 1900 war viel größer, denn die Lebensumstände lassen sich da kaum miteinander vergleichen. 1800 saß man noch beim Kerzenlicht, ritt zu Pferde und verteidigte sich mit der Stichwaffe, kommunzierte und reiste per Postkutsche. Ein Mensch von 1800 hätte den Unterschied zu 1700 als viel geringer erachtet als den zu 1900.
Es ist zwar bedauerlich, aber auch unsere Politik und Gesellschaftsform, selbst unser Grundgesetz, sind Produkte des 19. Jahrhunderts. Leider auch der Globalschwachsinn der Marxistensekte.
Und heute?
Deindustrialisierung.
Es fühlt sich an, als wäre das einzige, was heute noch erfunden würde, neue Geschlechter, neue Unterdrückungsempfindungen und neue Steuern.
Der Glaube, dass alles gut werde, wenn wir nur genug Windräder aufstellen, so wie die Kirche glaubte, Gott werde uns schon erretten, wenn wir nur genug Kreuze aufstellen.
Das charakteristische Merkmal unserer Zeit ist die Dekadanz. Mit ihr geht die Deindustrialisierung einher.