Die Truthahn-Illusion
Die kannte ich unter diesem Namen auch noch nicht, aber sie muss in den Katalog der Denkfehler.
Ein Leser:
Hallo Hadmut,
offenbar schreiben Dir viele Leser, daß Rußland immer pünktlich und ausreichend geliefert habe – bis jetzt. Bei dieser Leser-Meinung könnte es sich durchaus um die Truthahn-Illusion handeln.
https://de.wikipedia.org/wiki/Truthahn-Illusion
Freundliche Grüße
Die Truthahn-Illusion ist ein Begriff aus der Verhaltensökonomik und beschreibt die Risikointelligenz. Überraschende Trendbrüche sind vorhersehbar, wenn man die Ursachen bzw. die Rahmenbedingungen für diesen Trend kennt. Dies verdeutlicht die Truthahn-Illusion.
Bis zu seiner Schlachtung wird der Truthahn jeden Tag gefüttert und umsorgt. Mit jeder Fütterung steigt seine Gewissheit bzw. sein Vertrauen darauf, dass ihm nichts passiert, basierend auf den Erfahrungen aus der Vergangenheit. Aus Sicht des Truthahns ist ausgerechnet am Abend vor seinem Tod die Gewissheit, dass er am nächsten Tag auch wieder gefüttert und umsorgt wird, am größten. Trotzdem wird er an dem Tag geschlachtet, genau von jener Person, die ihn umsorgte.[1]
Die Schlachtung kommt für den Truthahn völlig überraschend, da dieser – in anthropomorpher Formulierung – „nur einen Trend extrapoliert“ und „den bevorstehenden Trendbruch nicht erkennt“.
Um diesen Trendbruch zu erkennen, hätte der Truthahn die Ursachen des Trends herausfinden müssen. Dadurch hätte er über die Motivationslage des Menschen, der ihn täglich füttert, Bescheid gewusst. Um über den Tellerrand hinauszublicken und bekannte oder vertraute Denkmuster zu verlassen, sind Kreativität und die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel notwendig. Doch das war dem Truthahn aufgrund unzureichender Information nicht möglich.
Das gab es mal irgendwo als Cartoon, in dem sich zwei Schweine unterhalten, wie schön das sei, kostenloses Essen in Hülle und Fülle zu bekommen. Ich glaube, das war diese Cartoon-Serie, in der immer nur ein großes schwarzes Rechteck und dann darin nur minimalistisch das Thema gezeichnet.
Möglicherweise ist das im Hirn fest verdrahtet, dass wir Kontinuitäten annehmen und stur extrapolieren, ohne über den Hintergrund nachzudenken. Vielleicht ist es so, dass die Diskontinuitäten das Misstrauen erwecken. Das könnte irgendwo ganz tief drin liegen und aus der frühen Urzeit des Gehirns stammen. Man trainiert die Wahrnehmung auf das, was passiert, und hält die Erregung flach, wenn alles ist, wie immer. Solche Auswirkungen haben wir ja auch im Zeitempfinden. Wenn wir jeden Tag denselben Ablauf haben, fliegt die Zeit dahin, wissen wir hinterher nicht, wo das Jahr geblieben ist, weil nichts im Gedächtnis hängen bleibt. Es gibt ja die Überlegung, dass unsere Intelligenz nichts anderes als die Fähigkeit ist, sich an neue Sachverhalte anzupassen und nicht zu handeln wie immer. Es könnte sein, dass das erst mit der Wahrnehmung einer Veränderung eingeschaltet wird. Was auch mit dem Rudel- und Einzelgängermodus zusammenhängen könnte.
(Nebenbemerkung: Ich habe ja schon oft erwähnt, dass es mir immer wieder passiert, dass ich beim Schreiben zwar den richtigen Text denke und ihn auch handschriftlich richtig schreiben würde, mir aber durch das jahrelange schnelle Maschinenschreiben immer wieder passiert, dass die Finger den falschen Bewegungsablauf wählen, weil ich im 10-Finger-System nicht mehr einzelne Buchstaben, sondern die Abläufe für Silben gespeichert habe, ähnlich wie beim Stenografieren, und die Finger häufig eine ähnlich klingende, aber womöglich ganz anders geschriebene Silbe schreiben, was ich nicht immer merke, weil ich oft auch beim Schreiben nicht mitlese, was ich schreibe. Ein seltsamer Nebeneffekt ist, dass ich auf einer abgenutzten Tastatur, auf der die Buchstaben auf den Tasten nicht mehr erkennbar sind, einzelne Buchstaben auch nicht unbedingt blind finde und spontan nicht weiß, wo sie sind, aber trotzdem problemlos ganze Texte darauf schreiben kann, weil ich zwar dann nicht weiß, wo beispielsweise das K ist, aber die Bewegungsabläufe aller Silben mit k drauf habe, und zum Schreiben weder auf Tastatur noch Bildschirm gucken muss. Bei der Überschrift „Die Truthahn-Illusion habe ich selbstverständlich „Illusion“ gedacht und das auch auf Wikipedia nachgelesen, gedanktlich voll bei Illusion, und war gerade selbst verblüfft darüber, dass ich „Truthahn-Diskussion“ geschrieben hatte, ohne auch nur im Geringsten an „Diskussion“ gedacht zu haben. Möglicherweise ist das ein ähnlicher Effekt wie in den Kampfsportarten, in denen man durch ständige, jahrelange Wiederholung Kampfbewegungen eintrainiert, die man dann ausführt, ohne noch darüber nachzudenken, weil man damit auch zu langsam wäre. Möglicherweise kann man nur auf diese Art schnell maschinenschreiben, unter eben diesem Fehlereffekt.)