Ansichten eines Informatikers

Vom Zusammenhang zwischen Amygdala und Kleinhirn

Hadmut
18.10.2022 17:01

Neues von den Gehirnfunktionen.

Ich fange mal mit einer schrägen Frage an:

Wisst Ihr noch, wo Ihr wart, als Ihr erfahren habt, dass Lady Diana gestorben ist? Oder auch Michael Jackson?

Ich weiß es noch. Ich lag in beiden Fällen im Bett, weil ich es morgens im Radio hörte. Ich kann mich aber noch daran erinnern, wie und wo ich im Bett lag und wie ich das gehört habe. Es ist eine Frage, die schon öfter mal im Radio und Fernsehen, auch in Texten gestellt wurde: Fast alle Leute erinnern sich, wo sie waren, als sie hörten, dass Lady Diana tot ist, obwohl sie mit der gar nichts zu schaffen hatten und die nicht persönlich kannten. Aber warum? Warum erinnert man sich daran?

Szenenwechsel.

Ich habe in meinem letzten Job ungefähr acht Jahre lang Sicherheitssensibiliserungen und -vorträge gehalten. Und die Leute haben sich regelmäßig darüber amüsiert, dass ich meine Vorträge mit dramatischen Kurzvideos und dramatisch erzählten Anekdoten aus meinem Berufsleben angereichert habe. Sie waren aber sehr erstaunt, als das Gespräch darauf kam, warum ich das so Danisch-typisch mache, und ich ihnen erklärte, dass ich das nicht mache, weil ich so ein Schwätzbruder oder eine Dramatante bin, sondern weil sich die Leute auf diese Weise besser, jahrlang merken, was ich ihnen sage. Ich habe das so erklärt, dass ich damit meine Belehrungen im sogenannten „anekdotischen Gedächtnis“ verankere, was sehr, sehr lange hält, wie der Drang zu Erzählungen, Gerüchten und Vorurteilen beweist. Erzähle ich den Leuten rein sachlich etwas, haben sie das am nächsten Tag oder spätestens in der nächsten Woche wieder völlig vergessen. Erzähle ich ihnen das aber in Zusammenhang mit einer Anekdote oder zeige ein Überwachungskameravideo eines dreisten Diebstahls, dann amüsieren sich die Leute noch drei Jahre später über die Danisch-Belehrung, vor allem, wenn neue Kollegen dann berichten, dieselbe Anekdote oder dasselbe Video vorgesetzt bekommen zu haben. Der Punkt daran ist: Wenn sie sich drei Jahre später noch darüber amüsieren, dann heißt das, dass sie sich das drei Jahre lang gemerkt haben, sich noch daran erinnern können. Und das ist genau das Ziel. Und das Ziel, jemandem in einem so drögen, nervigen Vorgang wie einer Sicherheitsbelehrung etwas so zu erzählen, dass dem das drei Jahre später noch im Gedächtnis und präsent ist, als ob der die Situation wiedererkennt, ist gar nicht so einfach zu erreichen. Befragt, konnten sich die Leute an keinen einzigen anderen, ähnlich lange zurückliegeden Vortrag erinnern, obwohl es davon reichlich gab.

Und auf einem rein sachlichen, rationalen Weg funktioniert das nicht, vor allem dann nicht, wenn es die Leute persönlich eigentlich nicht interessiert und sie da als Pflichttermin drinsitzen. Man muss sich einen Weg zu den Teilen im Gehirn suchen, die aufnahmefähig sind und etwas über Jahre aufbewahren können. Und ein Weg, den ich gefunden habe, ist über erzählte oder im Video gezeigte dramatische Vorfälle. Von einem Kurzschluss in einer Steckdose so erzählen, dass die Leute drüber nachdenken, sich in die Gefahrensituation reindenken, darüber nachdenken müssen, und sich bewusst machen, dass daraus ein Brand werden kann. Wie kann es passieren, dass mehrere Leute übereinstimmend sagen, einen großen Lichtbogen gesehen zu haben, obwohl auf der Dose nur 230 Volt sind? Wie kann eine profane Steckdose, nur Metall und Plastik, explodieren? Spurensuche! Drama! Jeder mal den verbrannten Stecker angucken, den ich abgeschnitten habe und rumgehen lasse.

Besonders wirksam: Vorgänge, die als Angriffe auf das Rudel wahrgenommen werden. Einen Vorgang dramatisch erzählt, bei dem sich ein Junkie in Bürouniform (Anzug, Krawatte) so gut und oft zu den Rauchern nach der Mittagspause gestellt hat, dass er regelmäßig mit denen zusammen reingegangen ist und so ins Gebäude kam, dort dann Bargeld aus Handtaschen usw. klaute. So gut, dass, mit dem Foto des Ertappten konfrontiert, viele Leute ihn überrascht für einen Kollegen hielten, obwohl er das nicht war. Und es für unverdächtig hielten, wenn der auf dem Gang vorbeilief. Fremdling im Rudel. Ganz bitter.

Und dann merken die Leute sich das. Sie finden es zwar lustig, weil sie noch nie so eine Belehrung bekommen haben. Aber sie merken es sich. Und verbinden es mit Gefahr. Manchmal bin ich Drama-Queen.

Warum funktioniert das?

Die Uni Basel berichtet von neuen Erkenntnissen zur Amygdala, einem meiner Lieblingsthemen: Neue Funktion des Kleinhirns entdeckt

Das Kleinhirn ist vorwiegend dafür bekannt, Bewegungen zu steuern. Nun haben Forschende der Universität Basel herausgefunden, dass das Kleinhirn auch beim Erinnern von emotionalen Erlebnissen eine wichtige Rolle spielt. Die Studie erscheint im Fachjournal PNAS.

Sowohl positive als auch negative emotionale Erlebnisse bleiben besonders gut im Gedächtnis abgespeichert. Dieses Phänomen ist überlebenswichtig, weil wir uns beispielsweise an Gefahrensituationen erinnern müssen, um sie künftig zu vermeiden. Aus bisherigen Studien wusste man, dass eine Hirnstruktur namens Amygdala, die für die Verarbeitung von Emotionen wichtig ist, eine zentrale Rolle bei diesem Phänomen spielt. Gefühle aktivieren die Amygdala, welche ihrerseits die Abspeicherung von Informationen in verschiedenen Bereichen des Grosshirns begünstigt.

In der aktuellen Arbeit untersuchten Forschende um Prof. Dr. Dominique de Quervain und Prof. Dr. Andreas Papassotiropoulos von der Universität Basel die Rolle des Kleinhirns beim Abspeichern emotionaler Erlebnisse. In einer grossangelegten Studie zeigten die Forschenden 1418 Studienteilnehmenden emotionale und neutrale Bilder. Währenddessen zeichneten sie die Hirnaktivität der Probanden mittels Magnetresonanztomographie auf.

Sowohl an positive als auch an negative Bilder erinnerten sich die Studienteilnehmenden in einem späteren Gedächtnistest viel besser als an neutrale Bilder. Das verbesserte Abspeichern von emotionalen Bildern war mit einer erhöhten Hirnaktivität in den bereits bekannten Bereichen des Grosshirns verbunden. Zusätzlich identifizierten das Forschungsteam eine starke Aktivierung im Kleinhirn.

Die Amygdala nimmt also wohl eine emotionale Bewertung des Erlebten vor, man könnte sagen, den Drama-Faktor, und steuert, wie stark das im Gedächtnis abgespeichert wird.

Bei Lady Diana könnte dann noch der Effekt dazukommen, den ich von Nachrichtensprechern beschrieben habe: Der parasoziale Effekt. Obwohl wir die Leute gar nicht kennen, nicht persönlich, nehmen wir sie als Rudelmitglied wahr, weil wir sie ja ständig im Privatesten, in der eigenen Wohnung sehen. Mir ist das mal auf einer Journalistenkonferenz in einer Rundfunkanstalt, passiert: Ich stand an einem Stehtisch und unterhielt mich angeregt mit jemandem, als ein „guter Bekannter“ direkt an mir vorbeilief und ich ich so aus der Gesprächssituation kurz als Gruß zunickte und mich noch wunderte, warum der nicht zurückgrüßt, bis mir mit ein paar hundert Millisekunden Verzögerung einfiel, dass ich den nicht persönlich, sondern nur aus dem Fernsehen kenne und der mich natürlich gar nicht kennt. So dieser „Ich kenne ihn, aber woher?“-Effekt. Es könnte also gut sein, dass man den Tod Lady Dianas auf Amygdala-Ebene als Tod eines hohen Rudelmitglieds falscherlebt hat, und das Gehirn sich so etwas merkt, um den Ort künftig zu meiden oder sich vorsichtig zu verhalten. Quasi der Effekt, dass man im Bett lag, als Lady Diana starb, und man sich das merkt, damit man sich nicht wieder ins Bett legt, damit nicht noch einer stirbt. Hört sich bescheuert an, so könnte es aber in Urzeiten gelaufen sein, und das sicherlich erfolgreich. Überlebensstrategie.

Das nun könnte den Effekt erklären, den ich schon oft angesprochen habe: Zeitschwund.

Es gibt diesen Effekt, den ich selbst immer wieder intensiv erlebe, dass man sich manchmal fragt, wo eigentlich das ganze Jahr geblieben ist. Etwa, wenn wieder Silvester ist, und man sich denkt, verdammt, das war doch eben erst. Und dann geht man in Urlaub, und zwei Wochen kommen einem wie eine Ewigkeit vor.

Es gibt Untersuchungen, wonach sich das Zeitgefühl nicht in Echtzeit, sondern nur im Nachhinein, rückblickend dehnt oder verkürzt, nämlich je nachdem, wieviel wir uns – auch emotional – gemerkt haben. Da bin ich mit dem Bungee gesprungen, dort habe ich einen Fisch gefangen. Da hatte ich den heißen Flirt. Das macht viel Erlebnis. Fahren wir aber jeden Tag denselben Weg zur Arbeit, ist die Zeit danach einfach weg wie die Wohnungsmiete, weil es nichts zu merken gab. Alles immer gleich, kein Neuigkeitswert. Rudel as usual.

Es gab ja aber auch diesen Bericht über eine Frau, die an einer Krankheit leidet, die die Amygdala außer Funktion setzt (Kalkablagerungen). Die hatte die Drogendealer vor ihrem Haus wiederholt bei der Polizei angezeigt, worauf die ihr drohten und die Pistole an den Kopf hielten. Und dann irritiert waren, weil die überhaupt keine Anzeichen von Angst zeigte und sich davon überhaupt nicht beeindrucken ließ. Erst später erfuhr sie von der Polizei, dass es eine Gefahrensituation ist, wenn einem erboste Drogendealer die entsicherte Pistole an den Kopf halten. Sie konnte das selbst nicht mehr als gefährlich einstufen oder wahrnehmen.

Es scheint also so zu sein, dass die Amygdala Situationen nach Rudel, Drama, Gefahr bewertet und dann steuert, wie stark wir uns das merken, wie hoch der Nachrichtenwert ist.

Und es könnte gut sein, dass die Grünen, die Klima-Spinner genau so funktionieren. Dass die sich irgendwo auf die Straße kleben, dann an Konfrontationssituationen beteiligt sind, und sich der Klimawahn damit immer höher steigert.