Ansichten eines Informatikers

Das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes Berlin, Paragraph 16 und 38.

Hadmut
13.12.2022 15:20

Eine archäologische Ausgrabung im Wahnsinn.

§§ 16 und 38 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetze des Landes Berlin besagt

§ 16 Inanspruchnahme von nicht verantwortlichen und nicht verdächtigen Personen

(1) Die Ordnungsbehörden und die Polizei können Maßnahmen auch gegen andere Personen als die nach den §§ 13 oder 14 Verantwortlichen richten, wenn

1. eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist,
2. Maßnahmen gegen die nach den §§ 13 oder 14 Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen,
3. sie die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren können und
4. die Personen ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden können.

(2) Die Maßnahmen nach Absatz 1 dürfen nur aufrecht erhalten werden, solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist.

(3) Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, insbesondere die Verarbeitung personenbezogener Daten, sind grundsätzlich nur gegen Personen zu richten, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten begehen werden; zu berücksichtigen ist dabei vor allem der Verdacht, dass sie bereits Straftaten begangen haben sowie die Art und Begehensweise dieser Straftaten.

(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, soweit andere Vorschriften dieses Gesetzes oder andere Rechtsvorschriften abschließend bestimmen, gegen wen eine Maßnahme zu richten ist.

§ 38 Sicherstellung

Die Ordnungsbehörden und die Polizei können eine Sache sicherstellen,

1. um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren,
2. um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung einer Sache zu schützen,
3. wenn sie von einer Person mitgeführt wird, die nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehalten wird, vorgeführt oder zur Durchführung einer Maßnahme an einen anderen Ort gebracht werden soll und die Sache verwendet werden kann, um

a) sich zu töten oder zu verletzen,
b) Leben oder Gesundheit anderer zu schädigen,
c) fremde Sachen zu beschädigen,
d) die Flucht zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Wenn ich das so unbedarft lese, scheint mir das erst mal relativ harmlos zu sein und der Polizei zu ermöglichen, in unmittelbaren Not- und Gefahrensituationen zu handeln. Das ist so erst einmal nicht auffällig, weil es solche Gesetze auch in anderen Bundesländern und Staaten gibt, und sowas eben erforderlich ist, um normale Polizeiarbeit machen zu können.

Vor allem würde ich § 38 so lesen, dass es darum geht, Dinge sicherzustellen, von denen einen Gefahr ausgeht, sie also gefährlich sind, um beispielsweise jemandem einen gefährlichen Gegenstand abzunehmen, Brechstangen, Hammer, oder was auch immer, Klimaklebern den Klebstoff, oder Dinge sicherzustellen, wenn für sie eine Gefahr besteht, also wenn beispielsweise jemand sein Handy verloren hat oder ein Auto aufgebrochen wurde oder irgendsowas.

Ich hätte da, wenn ich das isoliert und bösen Gedanken gelesen hätte, nichts Groteskes dahinter vermutet.

Insbesondere hätte ich jetzt nicht vermutet oder das nicht so verstanden, dass die Polizei Gegenstände beschlagnahmen und verwenden darf, die mit der Gefahr nichts zu tun haben, von denen also weder eine Gefahr ausgeht noch eine Gefahr für sie besteht, weil da eben „sicherstellen“ und nicht „beschlagnahmen“ oder „verwenden“ steht. Sicherstellen heißt, Dinge in Gewahrsam zu nehmen, damit keine Veränderung in der Sache eintritt. Es heißt nicht, dass die Polizei sie für andere Zwecke einsetzen kann, die sie gerade braucht.

Darüber kann man sich, zugegebenermaßen, streiten. Der Klassiker ist ja, wie man das aus Fernsehkrimis kennt, dass sich der Polizist ein Fahrrad schnappt, um den Räuber zu verfolgen. Aber das ist keine Sicherstellung. Das wäre eine Beschlagnahme.

Eine Leserin machte mich nun auf einen Artikel im Deutschlandfunk aufmerksam, aber mir ist gerade noch so aufgefallen, dass der Artikel von 2015, also aus der Zeit der Flüchtlingswelle ist.

Der Deutschlandfunk berichtet nun, dass man diese Regel in Berlin jetzt so auslegen will, dass man Gebäude und Wohnungen „sicherstellt“, um Flüchtlinge unterzubringen.

Der Staat darf in Notsituationen Gebäude beschlagnahmen

„Wir reden nicht davon, dass es doppelglasige Fenster sein müssen, wir reden nicht davon, dass eine Immobilie pinselsaniert sein soll, wir reden nicht mal davon, dass eine Immobilie über ausreichend Duschen verfügen muss. Sondern wir reden von rudimentären Toiletten, die da sein müssen, ein Dach über dem Kopf, Strom und Wasseranschluss.“ Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. „Durchaus.“ (lacht) Und so kamen findige Beamte auf das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes Berlin, Paragraph 16 und 38. Diese besagen, dass der Staat Sachen, also auch Gebäude beschlagnahmen kann, wenn Sicherheit und Ordnung gefährdet sind.

„Wenn Obdachlosigkeit droht, dann kann ich auf Grundlage dieses Gesetzes eingreifen. Das können die Ordnungsbehörden tun. Das kann auch das Landesamt tun, was für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig ist.“ Gesagt, getan. Beschlagnahmt wurde ein zehnstöckiges früheres Bankgebäude im Stadtteil Wilmersdorf, formal war es Teil der Konkursmasse der Hypo Real Estate. In Kürze soll es die erste Anlaufstelle für Flüchtlinge in der Stadt sein, die Erstaufnahmestelle.

Und da fällt mir sofort auf, dass hier dann plötzlich die Rede von „Beschlagnahmen“ und nicht von „Sicherstellen“ ist.

Nun ist der Artikel aber eben von 2015.

Die Frage ist also:

Gibt es dazu inzwischen Gerichtsentscheidungen, ob das zulässig war oder nicht?