Vom Sterben der Blasmusik
Noch ein Kulturgut auf dem Abstieg.
Ich hatte doch über das Fehlen der Blasinstrumente in einem Berliner Musikgeschäft geschrieben.
Dazu schreibt mir ein Leser aus der Schweiz:
Heutiger Artikel in der bz (Basellandschaftliche Zeitung), s. Anhang:
Eine Studie des Max-Planck-Instituts entlarvt die damalige Schweizer Coronamassnahmen gegen die Blasmusik als übertrieben und falsch. Doch der Schaden ist angerichtet. Kommt es zu einem Sterben der Blasmusikvereine?
Eine Untersuchung der Hochschule Luzern vom Sept 2021 bei rund 400 Musikschulen hat ergeben, dass während Corona rund 10
Prozent weniger Kinder und Jugendliche ein Instrument erlernen wollten. Dramatisch war der Rückgang bei den Blasinstrumenten. Trompete, Saxofon und Co. waren nicht mehr gefragt. Fritz Renold, Saxofonlehrer an der Alten Kantonsschule Aarau, spricht von einem Einbruch bei Neueinsteigern von rund 30 Prozent bei allen Blasinstrumenten.«Wir haben überraschenderweise festgestellt, dass Blasinstrumente weniger riskant sind als Sprechen oder Singen», sagt Mohsen Bagheri, einer der Studienautoren und Leiter der
Forschungsgruppe.
Beim Singen und Sprechen bringen infizierte Personen über 500-mal mehr virenbelastete Partikel in Umlauf als beim ruhigen Atmen. Bei Blasinstrumenten sind es nur fünf- bis fünfzigmal mehr.
Fakt ist: Den Blasmusikvereinen fehlen zwei Jahrgänge. Noch spricht niemand von einem Vereinssterben. Doch das volle Ausmass der Massnahmen ist erst in einigen Jahren ersichtlich. Kollegger befürchtet, dass das Ausbildungsloch in rund vier Jahren, also dann, wenn die jugendlichen Blasmusikanten vereinsfähig sind, sich dramatisch auf die Vereine auswirken könnte.
Und das Alphorn?
(Gibt es davon eigentlich eine elektronische e-Version mit Midi-Schnittstelle, die man geräuschlos zuhause spielen kann?)
Ich kann mich erinnern, dass wir vor ungefähr 20 Jahren mal eine richtig fetzige Firmenfeier hatten, tagsüber mit Wandern, abends dann mit Einkehr ein eine Hütte mit lecker Essen und einer Musikgruppe, die Pop und Schlager und sowas zum Mitsingen spielten, eigentlich sehr modern, aber so richtig gut und richtige Stimmungskanonen, es war super, und als die Bude am Kochen war und sich schon nach außen ausbeulte, spielten die „Swiss Lady“, und ich dachte noch, das geht eigentlich gar nicht ohne Alphorn, aber die hatten dann tatsächlich eines rausgeholt und damit aber so richtig fetzig gespielt. Ich kannte die Dinger bis dahin immer als so etwas langsam und altmodisch, schon schön, aber so gähn, so behäbig und langsam, und der legte da so richtig wild und gut los, wie ich so vorher noch nicht gehört hatte. Stimmung am Kochen. Habe ich nie wieder so gut gehört.
Schade, dass die Schweizer aus dem Ding nicht mehr machen, denn der hatte damals gezeigt, dass da noch mehr ging, ich weiß aber nicht mehr, ob der auch Schweizer war und wo wir da wandern waren. Der beste Didgeridoo-Spieler (man sagte mir, das einzige Blasinstrument, dass mit nicht angespannten Lippen gespielt wird), den ich je gehört habe, war auch kein Aborigine, sondern ein Weißer, der allerdings auch mit einem Gestellt mit fünf verschiedenen Instrumenten unterschiedlicher Stimmung auf einem Stativ spielte.
Dabei dachte ich schon, die Schweizer spielten vielleicht nicht alle sehr schön, aber zumindest sehr gerne Blasmusik, denn auf einer meiner Reisen hatte ich mal eine Schweizerin in der Gruppe, die sehr lang und ausführlich davon erzählt hat, wie gern und oft und lang sie in ihrem Verein „Guggenmusik“ spielt. Ich konnte mir darunter damals nichts vorstellen und aus der Beschreibung allein wird man nicht schlau, aber als ich es dann später mal auf Youtube gehört habe, kam ich zu der Überzeugung, dass die Schweizer sehr begeisterte Blasmusikspieler sein müssen, weil bei einigen der Stücke zweifelsfrei klar war, dass man sie viel lieber spielt als hört, und mir wurde klar, was die Schweizerin damit gemeint hat, dass es nicht so darauf ankommt, ob das dann auch alles stimmt. (Wobei mir in dem Zusammenhang einfällt, dass ich vorhin in einem Supermarkt einkaufen war, und draußen vor dem Supermarkt ein Akkordenspieler in der Hoffnung auf Spenden in den Hut spielte, aber in einer Endloseschleife Jingle Bells spielte, als könne er nur diese eine Passage aus diesem Lied. Das an sich wäre nicht so schlimm, denn eigentlich konnte der ordentlich spielen, aber der kannte die Melodie nicht richtig und hat sie falsch an zwei Stellen falsch gespielt. Besonders grässlich: An der Stelle „in a one-horse open sleigh” geht es normalerweise von “a” zu “one” hoch und das horse hat die gleiche Note wie one, erst dann geht es runter, er spielte aber von “in” bis “sleigh” einfach die Tonleiter runter, und in der Zeit, in der ich meinen Kram vom Einkaufswagen in den Kofferraum umlud, kam der mindestens fünfmal an der Stelle vorbei, und ich dachte, ich drehe schier durch, nur weil der Jingle Bells falsch spielte, und das nicht einmal versehentlich falsch, sondern immer wieder exakt gleich falsch.)
Jedenfalls hinterließ der Vortrag der Reisegefährtin und die anschließend auf Youtube gefundenen Proben von Guggenmusik bei mir damals den bleibenden Eindruck, dass vielleicht nicht alle Schweizer gut, aber alle Schweizer gern Blasmusik betrieben, auch wenn ich auf derselben Reise einen Schweizer in der Gruppe hatte, der diesen Verdacht weit von sich wies.
Wenn sich nun aber herausstellt, dass die Schweizer es nicht mehr so mit dem Blasen haben, was wird dann aus deren Kulturgütern Alphorn und Guggenmusik?