Kaufdurchfall?
Meine Sorge um mich selbst war unbegründet. Es war kein Durchfall. Es war Lebenserfahrung.
Gewöhnliches vom Gehirn.
Als ich mir die Wohnung hier aussuchte, war sie im Prinzip schon möbliert, aber nur sehr reduziert, weil bisher als gelegentliche Ferienwohnung eines älteren britischen Ehepaars genutzt, entsprechend kitschig von der Dame des Hauses eingerichtet. Unmengen an Handtüchern, Duftwimpeln, Kerzenständern, Zierkissen, Kissen mit eingesticktem Kätzchengesicht, Kunstblumen, so versilberter Zierkram, und so ein mannsgroßer Kunstbaum. Lauter so Staubfänger, mit denen ich nichts anfangen konnte und die mir nur im Weg rumstehen. Den Kunstbaum wollte ich verkaufen, das ist aber dann doch ausgefallen, weil sich herausgestellt hat, dass der Kunststoff gealtert war oder zuviel UV-Licht abbekommen hatte und bei jeder Berührung irgendein Blatt oder Zweig abbrach und ich dann im Wohnzimmer das Plastiklaub auf dem Boden liegen hatte, als wäre es Herbst. Ab in den Müll, das ganze Ding.
Es fehlten also noch gewisse Dinge, ein paar Möbel, und was man halt so braucht um zu leben und zu arbeiten.
Ich hatte mir noch überlegt, ob ich es, wie bei früheren Umzügen, langsam angehen lasse, oder ob ich das jetzt schnell erledige, damit ich es hinter mir habe, kam aber zu dem Schluss, dass langsam nichts bringt, weil es dadurch auch nicht billiger wird, weil Sonderangebote hier eher selten sind, die Preise also nur wenig schwanken, und es mir nichts nutzt, die Dinge erst mal eine Weile zu entbehren, bevor ich sie dann irgendwann doch kaufe.
Und dann kam ich mir selbst komisch vor.
Als würde ich neben mir selbst herlaufen und mich darüber wundern, was ich gerade mache. (Scheinbar) Ohne Plan kaufte ich dies und das, einkaufswagenweise Zeugs, Fernseher, Radio, Drucker, und so weiter und so fort. Als ob es nicht genug wäre, auch noch Sachen in Deutschland, die man hier nicht bekommt, und die ich dann per Post habe liefern lassen oder per Fluggepäck selbst herangeschleppt habe. Oder Sachen, die ich in Berlin überzählig hatte.
An der Sicherheitskontrolle am Flughafen BER guckten sie mich schon komisch an. Ich hatte einen Rucksack voller Steckdosenleisten dabei. Weil es hier (fast) nur die englischen Gibt. Die Wände haben englische Steckdosen, die Läden haben englische Vielfachsteckdosen. Die meisten Geräte haben aber die europäischen Schuko oder die flachen Eurostecker wie in Deutschland. Deshalb gibt es in den Supermärkten Adapter, so ab 1,90 Euro, von denen man sich dann mal einen Eimer voll kauft. Ich habe im Elektronikmarkt mal einen Verkäufer gefragt, warum die Wände englische Steckdosen haben und sie nur Geräte mit Euro-Steckern verkaufen, warum man das nicht vereinheitlicht. Er sagte, das Problem habe man bereits untersucht und sei zu dem Schluss gekommen, dass jede Änderung zu teuer werden. Dabei zu bleiben, wie es ist, und diese Adapter zu verwenden, sei die billigste Lösung. Ich habe einen etwas anderen Ansatz gefahren. Ich kenne zwar einen Laden, der auch deutsche Vielfachsteckdosen hat, aber ich tendiere dazu, nur einen Adapter zu verwenden, an der Wand, und dann eine deutsche Steckdosenleiste zu verwenden, die beides hat, Schuko und Euro. Keine Ahnung, warum niemand auf die Idee kommt, Steckdosenleisten zu bauen, die alle drei Steckdosen haben, englisch, Schuko und Euro.
Also fiel ich an der Sicherheitskontrolle mit einer Menge Steckdosenleisten im Rucksack auf. Ach, der Bekloppte ist wieder da. Der hatte neulich schon drei Notebooks, einen Blurayplayer und einen Flachbettscanner im Bordgepäck, und hat unserer Röntgenscanner zur Verzweiflung gebracht. Lasst ihn durch, spinnt, aber harmlos.
Und so sah ich mir selbst beim Einkaufen zu und fragte mich mitunter, was ich da eigentlich tue. Ob ich jetzt kaufsüchtig wäre oder was. Es kam mir wie so ein Kaufdurchfall vor. Also würde ich manchmal wie ferngesteuert, wie auf Schienen durch die Läden gehen und einkaufen, ohne drüber nachzudenken.
Bis das ebenso schlagartig endete und ich plötzlich nur noch Lebensmittel und Kleinkram kaufte.
Und dann habe ich mal darüber nachgedacht, was ich da eigentlich getan, und viel wichtiger, was ich eigentlich gekauft hatte.
Ich hatte nichts Überflüssiges gekauft. Und es fehlt auch nichts. Ich hatte genau das Richtige gekauft, und das eben in relativ kurzer Zeit.
Ich hatte auch nicht mehr gekauft, als in die Wohnung passt, sondern genau die richtige Menge. Die Wohnung ist nicht sehr groß.
Ich hatte, bei gehöriger Betrachtung, nicht mehr und nicht weniger gekauft als das, was ich brauche und haben will. Zum Leben, zum Arbeiten, zum Wohnen, zum Leben. Ein paar warme Klamotten fehlen vielleicht noch, ich weiß noch nicht, wie kalt hier der Januar und der Februar werden.
Bis mir dann klar wurde, dass das kein Kaufdurchfall, keine Kaufsucht war, sondern die Lebenserfahrung aus 30 Jahre selber wohnen und etlichen Umzügen. Gepaart mit Angewohnheiten aus dem Arbeitsumfeld, Projekte nicht lange vor sich hinblubbern zu lassen, sondern zügig fertigzustellen.
Ich hatte – eher unterbewusst, ohne darüber nachzudenken oder mir dessen bewusst zu werden – seit der ersten Besichtigung der Wohnung ein Bild im Kopf, wie die Wohnung aussehen, wie sie ausgestattet und möbliert sein sollte, damit ich mich darin wohl fühle, leben, wohnen, arbeiten kann. Weil ich das inzwischen weiß, was ich will und was ich brauche. Und ohne, dass ich darüber nachdenken musste oder einen Einkaufszettel brauchte, habe ich so quasi automatisch gekauft, was erforderlich war.
Dann nämlich stellte sich bei mir das „Projekt beendet“-Gefühl ein. Am Dienstag kommt noch eine Lieferung von den Teilen von Büromöbeln, die nicht ins Auto gepasst haben. Und ein paar Pakete sind noch auf dem Postweg, das kann hier, je nachdem, wie man es macht, zwischen 2 und 4 Wochen dauern. Und dann ist es fertig. Dann ist es vorbei mit dem Einkaufen. Dann ist es vollständig.
Ohne drüber nachzudenken habe ich quasi vollautomatisch die Wohnung eingerichtet. Und eigentlich hatte ich auch keinen Kaufrausch und keinen Kaufdurchfall, sondern eher den Drang, Zeitverschwendung zu vermeiden und flott in die Pötte zu kommen.
Und nun geht mir die Frage durch den Kopf, ob das nicht nur mir so geht, sondern ob vieles in der politischen Korruption genauso läuft. Ob die Leute gar nicht mehr darüber nachdenken, was sie tun, sondern wie automatisch das antrainierte Umfeld erstellen, damit dann alles wie gewohnt links, feministisch, woke und so weiter ist. Ob es da so eine Stelle im Gehirn gibt, die für – ich nenne es mal so – Nestbau zuständig ist und das politische Inventar sicherstellt und unerwünschtes rausschmeißt wie ich hier einen alten Plastikbaum.