Kunstschätze im Wert von 7,6 Millionen vielleicht weg, vielleicht auch nicht, man weiß es nicht so genau
Aktuelles aus der Klapsmühle (Deutschland).
Es wird immer absurder.
Die Frankfurter Rundschau (ich weiß, wenn ein Blogartikel schon damit anfängt, muss er eine Groteske werden, aber ich liebe groteske Blogartikel) meldet: Verschwundene Kunstschätze aus dem Landesmuseum Darmstadt
Die Vorwürfe lesen sich dramatisch: Kunstobjekte seien nicht auffindbar, ein Provisorium verschlinge Millionen, und bei Exponaten im Wert von 7,6 Millionen Euro sei der Verbleib unklar. Das schreibt der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2021, der am Freitag in Wiesbaden vorgestellt wurde. […]
Der hessische Rechnungshof, der den sorgsamen Umgang mit Steuergeldern überprüft, hatte das Landesmuseum gerügt, es gehe nicht angemessen mit den hessischen Kunstschätzen um. Das Darmstädter Museum verwahrt rund ein Drittel aller Kulturobjekte des Landes.
Laut Landesrechnungshof ist beim Teilkonzernabschluss 2020 in einer Zufallsstichprobe festgestellt worden, dass die Existenz von Kunstschätzen mit einem Wert von 7,6 Millionen Euro nicht ausreichend belegt werden konnte.
Auf deutsch: Die haben Kunstschätze für 7,6 Millionen Euro in den Büchern, die man nicht findet.
Nun ist das so eine Sache, mit „weg“. Es gibt nämlich zwei Sorten von „weg“, wie wir anhand der Wirecard-Milliarden gelernt haben: Weg im Sinne von „nicht mehr da“ (war mal da, ist jetzt aber woanders) und weg im Sinne von „gab es nie, war nie da“ (wie auch damals beim FlowTex-Skandal in Karlsruhe).
Das ist eine hochinteressante Frage, ob diese Kunstschätze nun verschwunden sind, oder ob es sie einfach nie gab (und stattdessen das Geld dafür mal da war und jetzt woanders ist).
Richtig fetzig ist aber die Antwort des Museusdirektors:
Nun verwahrt sich Martin Faass, der Direktor des Landesmuseums, gegen diese Vorwürfe. Der Rechnungshof, der ein unabhängiges staatliches Organ der Finanzkontrolle ist, habe Fakten verkürzt dargestellt, sagt er. Das werfe auf sein Museum unverdientermaßen ein schlechtes Licht. […]
Diesen Hinweis findet Direktor Faass „mehr als unglücklich“. Sein Museum habe nämlich immer wieder darauf hingewiesen, dass dieser Betrag auf fehlerhafte Datensätze bei der Vollinventur 2012/13 zurückgehe. Die Daten aus den hessischen Landesmuseen seien damals zusammengetragen und in SAP übertragen worden. Dabei sei es zu Fehlern gekommen. Mit dem Rechnungshof habe es Absprachen gegeben, dass diese Fehler bei der nächsten Vollinventur 2023/24 behoben werden. Das habe der Rechnungshof der Presse jedoch so nicht mitgeteilt.
SAP-Fehler.
Würde ich wohl glauben, wenn es um nicht individualisierbare Lagerbestände ginge. Soundsoviel Sack Mehl, soundsoviel Schrauben, x Paletten Bohnensuppe, soundsoviel Tonnen Briketts. Da kann man sich schon mal verrechnen oder Datenbankfehler erzeugen.
Aber Kunstschätze sind normalerweise einmalige, individuell erfasste Gegenstände. Das ist ja nicht so, dass die da einfach 10 Kilo Klunkern und 70 Gemälde (bunt) in den Büchern stehen haben, sondern die werden ja einzeln erfasst. Deshalb kann ich mir schwer vorstellen, wie es da zu Übertragungsfehlern in SAP kommen kann. Denn während Zahlenangaben leicht mal falsch sind, kann sich eine fehlerhafte Software oder ein Übertragungsfehler ja nicht einfach mal ausdenken, dass da ein Bild mit einer Blume drauf da gewesen sei (obwohl die KI davon nicht mehr weit entfernt ist, SAP aber schon).
Gut, gehen wir also mal davon aus, dass es eine harmlosere Erklärung dafür gibt, nämlich das unheimliche „weg“ der dritten Art: Schon noch irgendwie da, wir finde es aber nur gerade nicht. Könnte also sein, dass die Kunstwerke existieren und auch nicht gestohlen oder sonstwie außerhalb des Museums sind, sondern nur irgendwo im Archiv, und man weiß nicht, wo.
Seit 15 Jahren werden nun die als Übergangslösung gedachten Lagerhallen als Depots und Werkstätten genutzt. Für hinzukommende Kunstobjekte mussten weitere Depotflächen angemietet werden. Allein die Mietkosten belaufen sich mittlerweile auf mehr als 13 Millionen Euro.
Außerdem kam es mittlerweile zu Schäden an den eingelagerten Objekten – beispielsweise zu Schädlingsbefall bei zoologischen Präparaten. Verpackung und Lagerung des Kunst- und Kulturguts seien nicht in allen Fällen werterhaltend gewesen, teilt der Landesrechnungshof öffentlich mit. Auch das ärgert den Museumsdirektor. Es sei nicht die Rede davon, dass es eine politische Entscheidung war, die provisorische Depotsituation fortzusetzen, „und dass wir als Museumsteam alles dafür getan haben, was unter diesen Umständen möglich ist, um gute Lagerbedingungen für die Objekte herzustellen“, so Faass.
Es erweckt den Eindruck, als habe man den ganzen Kram auf politischen Wunsch in irgendwelche Lagerhallen verteilt und gammeln lassen, und wisse jetzt nicht so genau, wo was ist, und finde sie halt eben nicht, wenn der Buchprüfer danach fragt.
Heißt aber auch, dass es auch keiner merkt, wenn das Zeug wirklich geklaut oder von Motten gefressen wird.