Feindliche Übernahme: Wer genau ist eigentlich „wir alle“?
Da stellen sich semantische Fragen.
Der heutige Tag ist eine Ermahnung: niemals dürfen wir vergessen! Wir alle haben den Auftrag, jeden Tag gegen Antisemitismus zu kämpfen. Wir wollen in diesem Land keine Judenhasser, keine Rassisten, keine Muslimhasser. Wir sind stärker- egal, wie laut ihr seid. #WeRemember pic.twitter.com/c2bGSWcoNL
— Sawsan Chebli (@SawsanChebli) January 27, 2023
Erst redet sie von „Wir alle“, widerspricht sich dann aber – was würde man von der großen Denkerin und Buchautorin Chebli auch sonst erwarten – noch im selben Satz selbst, indem sie schreibt, dass „wir“ eben doch nicht „alle“ ist, sondern „Judenhasser, Rassisten, Muslimhasser“ nicht in dieses Land gehören.
Man könnte daraus nun schon semantisch schlussfolgern, dass Chebli islamophob ist und Palästinenser, Syrer und Iraner loswerden will, weil sie doch gegen Judenhasser ist, sich das also schon inhaltlich widerspricht, aber meine Frage bezieht sich auf das „wir“.
Wer ist „wir alle“, wenn Judenhasser, Rassisten, Muslimhasser nicht zu „alle“ gehören? Was ist das für ein „alle“, wenn nicht alle dazugehören?
Es kulminiert in
Wir sind stärker- egal, wie laut ihr seid.
Wenn „wir“ aber „alle“ sind, wer seid dann „ihr“?
Und wenn dann schon so viele Leute nicht zum „wir alle“ mit dazugehören, würde mich dann schon mal interessieren, wen genau sie da mit „wir“ meint. Denn diese Aussage, dass da irgendein „wior“ kommt, das nicht einmal behauptet, eine demokratische Mehrheit, sondern nur stärker zu sein, ist das die Ansage einer gewaltsamen Übernahme und im übrigen identisch mit der Herangehensweise der Bolschewisten.
Die bringt es fertig, innerhalb nur eines Tweets von „wir alle“ zu reden und eine Front zwischen zwei Gruppen aufzumachen. Wo die Länge eines Tweets den intellektuellen Horizont spätestens seit Twitter die Länge von 140 auf 280 Zeichen hochgesetzt hat, überschreitet, und das beim Tweetende schon den eigenen Anfang nicht mehr begreift, wenn überhaupt.
Umso erstaunlicher, dass diese Frau, die schon diesen Tweet nicht selbstwiderspruchsfrei hinbekommt, behauptet, ein Buch geschrieben zu haben:
Aus einem Traum wurde Realität. Mein Buch, kommt am 29.3. Musste immer wieder dahin gehen, wo’s wehtut. Es geht um Hass im Netz u. unsere Demokratie, um meine Shitstorms u. was sie mit Euch allen zu tun haben. Danke, Miriam Stein, für deine Unterstützung. https://t.co/7rZ5iUnmCz pic.twitter.com/ZSPx1yR4wq
— Sawsan Chebli (@SawsanChebli) January 26, 2023
Einerseits behauptet sie, dass da irgendein „wir“ stärker sei und ihren Gegnern deren Meinung und Ansicht nicht erlauben wolle, also das Gewaltprinzip einer aggressiven Minderheit, und dann schreibt sie von „unsere Demokratie“. Und wirft anderen Hass im Netz vor. Ist denn der obige Tweet etwa kein Hass-Posting? Ist sowas kein Hate-Speech? Hass gegen alle, die nicht ihrer Meinung sind und deshalb nicht bei „alle“ mitmachen dürfen?
Immerhin sagt sie „Danke, Miriam Stein, für deine Unterstützung.“
Auf der Amazonseite zu diesem Buch heißt es „Über den Autor und weitere Mitwirkende“.
Miriam Yung Min Stein ist Journalistin und Buchautorin und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie wurde 1977 in Südkorea geboren und wuchs in einer deutschen Familie als Adoptivkind auf. Sie hat mit Christoph Schlingensief und Rimini Protokoll Theater gemacht und ist eine profilierte deutsche Kulturjournalistin.
Oh. Sie hat Theater gemacht, ist Kulturjournalistin, Na, dann muss sie ja wissen, wie die Gesellschaft aussieht, wenn sie Theater gemacht hat und „Kulturjournalistin“ ist. Keine Ahnung, was das sein soll, es hört sich wie Rennfahrer im HomeOffice an. Und die soll „unterstützt“ haben, ohne selbst Autor zu sein.
Das würde mich dann mal interessieren, wie dieses Buch zustandegekommen ist, wenn ein konsistenter verständlicher Tweet schon so schwer fällt.