Ansichten eines Informatikers

Der Kartoffel-, nein der Gurkenkönig

Hadmut
27.2.2023 0:07

Wenn wir gerade bei Kinderbüchern sind.

Weil mir gerade jemand geschrieben hatte, dass das Buch, an das ich mich so dumpf erinnern konnte, „Die grüne Wolke“ heißt, ist mir noch ein anderes Buch eingefallen, das ich auch gerne gelesen habe. Es ging darin darum, dass ein Kind entdeckt, dass sie unten im Keller in der Wand ein Loch haben, und dahinter der „Kartoffelkönig“ mit seinem Hofstaat haust, und das so ein richtig fieser Mistbock ist. Es geht darum, sich ständig mit diesem arroganten Kartoffelkönig herumzustreiten. Und das noch irgendwie – weiß nicht mehr – vor den Eltern geheim zu halten. Irgendwas war noch mit den Eltern.

Gerade mal gesucht, aber nicht auf Anhieb gefunden, weil es jede Menge Bücher über Kartoffelkönige gibt, aber alles andere Stories, und alles so weichgespült.

Da fiel mir irgendwann ein: Verdammt, es war keine Kartoffel. Es war die Gurke. Der Gurkenkönig war es: Wir pfeifen auf den Gurkenkönig Hatte ich aus derselben Werksbibliothek.

Wir pfeifen auf den Gurkenkönig ist ein phantastischer Kinderroman aus dem Jahr 1972. Die Autorin Christine Nöstlinger gewann für dieses Buch den Deutschen Jugendliteraturpreis.

Der zwölfjährige Wolfgang erzählt, wie am Ostersonntag in seiner Familie der gurkenförmige König der Kumi-Ori auftaucht, den die Untertanen aus seinem Reich im Keller vertrieben haben. Während der Vater entscheidet, dem „Gurkinger“ Asyl zu gewähren und diesen in seinem Zimmer unterzubringen und auch der jüngste Sohn Niki sich mit ihm anfreundet, findet der Rest der Familie schnell heraus, dass der arrogante König lügt und stiehlt, um seine Umgebung zu manipulieren. Als Wolfgang die anderen Kumi-Ori kennenlernt und von den Racheplänen des Königs erfährt, in denen der Vater eine entscheidende Rolle übernehmen soll, müssen die Kinder sich gegen ihren Vater stellen.

Ich fand das damals einfach nur eine gut zu lesende Geschichte, in der es darum geht, dass sich so eine Familie mit diesem Kotzbrocken von einem Mistbock herumschlagen muss, der auf einmal da ist. Das Grundthema gab es ja später als Alf im Fernsehen. Mir hat das ja gefallen, dass nicht alles so gut und im Wunderbar-Erzählstil kam, und der Gute gegen die Bösen gewinnt, sondern der Protagonist so ein richtig intriganter und verlogener Drecksack ist.

Was ich aber bis vor ein paar Minuten, als ich das bei Wikipedia nachgelesen hatte, nicht entfernt geahnt hätte:

Das Buch ist nur vordergründig eine Geschichte, in der der Gurkenkönig Auslöser für viele Turbulenzen ist. Vielmehr befindet sich Familie Hogelmann in einer Krise, die angesichts des Streits um den Kumi-Ori nur offen zu Tage tritt. Der Vater ist von der finanziellen Verantwortung überfordert und deshalb anfällig für die falschen Versprechungen des Königs. Er hat kaum Zeit für seine Familie und muss feststellen, dass diese ihr eigenes Lebensbild entwickelt, zu dem er keinen Zugang mehr findet. Deshalb legt er das Verhalten der Kinder, aber auch die politischen Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vater und die Vermittlungsversuche seiner Frau als Illoyalität und Respektlosigkeit aus.

Der Literaturwissenschaftler und Autor Lothar Quinkenstein machte darauf aufmerksam, dass der Name des Gurkenkönigs der jüdischen Tradition entliehen ist: Die Worte „kumi ori“ (zwei Imperative des Hebräischen) stammen aus dem Buch Jesaja; sie bedeuten „erhebe dich!“ – „leuchte!“ und beziehen sich – als Verheißung zukünftiger Herrlichkeit – auf Jerusalem (Jes. 60,1). Im Mittelpunkt einer Relektüre des Romans müsse die Zwiespältigkeit des Konzepts stehen, einen zentralen Inhalt des Judentums als Namen zu verwenden für eine zutiefst unsympathische Figur, die schließlich „abserviert“ wird.[1][2]

Christine Nöstlinger erklärte, den Namen in Paul Celans Gedicht „Du sei wie du“ entdeckt zu haben, das mit den Worten „kumi / ori“ ende. Daraufhin habe sie die 1995 verstorbene jüdische Kinderbuchautorin Mira Lobe um eine Übersetzung gebeten. „Es war schwarzer Humor, ganz privat für mich, diesen fürchterlich konservativen Menschen, gegen den da revoltiert wird, ‚Erhebet euch‘ zu nennen“, so Nöstlinger, „Dass das Jerusalem ist, das sich da erheben soll, habe ich überhaupt nicht gewusst.“ Auf die Frage, ob ein hebräischer Name die Titelfigur zu einem Juden mache, sagte sie: „Der ist eine Gurke, bitte!“ Antisemitismus liege ihr fern, wie ihr Buch „Maikäfer, flieg“ zeige.[3]

War also wohl nicht antisemitisch, weil die Autorin die Worte nur schön fand und nicht wusste, was sie bedeuten, den Hintergrund ja gar nicht kannte. Heute würde man daraus ein Riesen-Zinnober machen und sie öffentlich hinrichten.

Hätte ich geahnt, dass heute praktisch jedes Buch Gefahr läuft, auf politisch korrekt umgeschrieben zu werden, hätte ich mir die Bücher meiner Jugend vor Jahren gekauft und auf Archiv gelegt.