Ansichten eines Informatikers

Von der vergessenen Kunst, es bleiben zu lassen

Hadmut
26.3.2023 19:12

Über die schiere Entsetzlichkeit brachialer Belanglosigkeit.

Ich habe es wieder getan. Ich habe – obwohl Informatiker – das Haus verlassen.

Um die Abstimmung über die Berliner Klimaentscheidung mit dem Besuch an einer weiteren, in der Nähe des Wahllokals gelegenen Verrichtungsstätte des Berliner European Month of Photography zu kombinieren.

„Drängende Gegenwart“ – so der bereits hilflose Name der Ausstellung.

Eigentlich hatte es Gutes versprochen, denn nicht nur sollte es eine Gemeinschaftsausstellung der „Ausbildungsorte“ (wenn man schon die Ausbildungsstätte für „Orte“ hält) Berlins und Potsdams mit den Fotos ihrer „Schüler*innen und Studierenden“ sein, sondern auch eine Chance für junge Fotografen. Nun, dachte ich, wenn das nicht irgendwelche Freaks sind, sondern Leute, die das lernen, kann es wohl so schlecht nicht sein. Dachte ich.

Dann allerdings in der Ausstellungsbroschüre diese Ansage:

DRÄNGENDE GEGENWART reflektiert die massiven gesellschaftlichen und sozialen Umbrüche und Hausausforderungen, die durch das Zusammentreffen vielfältiger Krisen geprägt werden, zuvorderst vom Angriffskireg Russlands gegen die Ukraine und den weitreichenden Folgen in Europa und weltweit, über die sich verschärfende Klimakrise, die anhaltende Pandemie bis hin zum Wiedererstarken (rechts)nationaler und identitärer Bewegungen. […]

Wobei ich anmerken möchte, dass ich das ganz bewusst vor dem Besuch der Ausstellung nicht gelesen hatte, um nicht voreingenommen zu sein, sondern diese Broschüre nur eingesteckt und sie erst eben beim Bloggen gelesen hatte. Es erklärt aber, warum man dort fast keine Fotografie, sondern eher so eine – ich nenne es mal so – medienelektronisch begleitete Zeitgeistscheiße sieht.

Ich stehe in dieser Ausstellung, schaue mir die Bilder an und denke „Warum hängt man sowas an eine Wand?“. Schade um den schönen Beton. Die meisten der Leute können überhaupt nicht fotografieren, wissen gar nicht, was das ist. Es mag sein, dass sie da richtige Kameras verwendet haben, aber die Bilder sehen aus, wie mit dem Handy gemacht. Da ist keine Kameraeinstellung gewählt, keine Brennweite, kein Ausschnitt, kein Motiv, sondern einfach anlässlich eines bedrückten Seelenzustandes der Auslöser gedrückt und der Rest der Elektronik überlassen.

Schon oft hatte ich beschrieben, dass der gute Fotograf nicht unbedingt und oft sogar eben nicht besser fotografiert als andere Leute. Aber mehr fotografiert und dann eine Auswahl trifft. Es gibt Profifotografen, die machen 500 Bilder und verwenden dann eines davon. Oder 5000. In einer Fotozeitschrift zeigte man mal ein wahnsinnig gutes Foto – hat auch viele Preise gewonnen – einer Brücke. Endgeil. In der Beschreibung stand, dass der einen Monat da an dieser Brücke verbracht hat, und am Ende ganz wenige, eigentlich dieses eine gute Foto herauskam. In Neuseeland war ich in einer Buchhandlung und sah einen sündhaft teuren Fotobildband von Neuseeland. Und dachte mir, ich fotografiere nicht schlecht und habe eine ganze Latte schöner Bilder, aber warum kann ich nicht so fotografieren wie der? Die Inhaberin des Ladens kannte den Fotografen persönlich und erzählte mir, warum das so ist. Der hat Zeit. Und wohnt da, lebt da. Und macht seit Jahren nichts anderes, als alles zu fotografieren. Und 99% seiner Bilder seien auch nicht besser als die anderer. Das in diesem Buch, das seien eben nur die allerbesten. Der fotografiert Dinge das ganze Jahr lang, zwei, drei Jahre lang, und nimmt dann das Foto, auf dem Licht, Wetter, Zustand am besten stimmen. Ein australisches Model hat mal den Job hingeworfen, Schnauze voll, und dazu ein Foto von sich im Bikini gezeigt, das Spitzenklasse war. Alles bestens, tadellos. 400 Fotos habe man von ihr in dieser einen Pose machen müssen, bis ein einziges „Gutes“ darunter war. Vor Jahren war ich in einer Berliner Ausstellung eines angeblichen Top-Fotografen, der die Top-Models fotografiere und groß gemacht habe. Ich stehe in der Ausstellung und denke mir, der Typ kann eigentlich nicht fotografieren. Der rettet sich, indem alle Bilder riesengroß gedruckt werden, drei, vier Meter hoch, und dann von der Wirkung der Riesigkeit lebt und davon, dass man bei der Größe nicht so merkt, dass das Bild an sich unscharf ist, weil man es auf die starke Vergrößerung zurückführt. Zu einem bekannten Foto hatten sie nebendran seinen Arbeitstisch aufgestellt und da hingen Diastreifen, auf die er das fotografiert hatte. Guckte man schräg gegen die Deckenbeleuchtung, konnte man die Bilder sehen. Der hatte da drei, vier Filme Schrott fotografiert, und zwischendrin einen Treffer gelandet, aber die Fähigkeit gehabt, dieses eine halbwegs gelungene Bild herauszuschneiden.

Fotografie ist auch die Kunst der Auswahl. Die Kunst, das nicht rauszutun, was nicht gelungen ist. Und dann auch einzusehen, wenn gar nichts gelungen ist. Irgendein Fotograf sagte mal, dass wenn man zu einem Bild noch erklären muss, warum das jetzt so und so ist oder jenen Bildfehler habe, dann ist es eben nichts. Dann gibt man es nicht raus.

Das heißt, dass man es auch mal bleiben lässt, wenn man abends nichts Gescheites in der Kamera hat.

Fotografie ist, was beim Betrachter im Kopf passiert, wenn er das Bild sieht. Und wenn da nichts passiert, ist es keine Fotografie.

Die dagegen durchleben irgendwelche Zeitgeistkrisen, drücken dabei einfach auf den Apparat, als wäre es ein Handy, und meinen, es wäre Fotografie, weil der Apparat anwesend war, als bei ihnen irgendwas im Kopf passierte. Der Effekt ist mir bekannt. Kennt man von der Aktfotografie. Man denkt sich bei der Aufnahme, oh, wie geil, ich bin der Fotograf des Jahrhunderts. Und eine Weile später am Leuchttisch: … hmmm … nee, weg, is nix. Weil das Gehirn zum Zeitpunkt der Aufnahme nur schwer seine allgemeinen Eindrücke der Situation von dem unterscheiden kann, was im Rechteck zu sehen ist. Das Foto ist später aber eben nur dieses Rechteck. Deshalb hilft es, einen Sucher zu benutzen. Das Fotografieren nur über einen Bildschirm, die Methode „point and shoot“, verstärkt dieses Problem enorm. Man nimmt seine Umgebung war, hält das Ding irgendwohin, drückt drauf und meint, das müsse doch was sein, weil man die Situation in Erinnerung hat. Es funktioniert so aber nicht.

Die elektronische Fotografie hat uns die Fotografie versaut. Nicht, weil sie elektronisch ist, sondern weil sie billig, verfügbar, kostenlos, belanglos, mühlelos ist, und vor allem: Weil sie LCD-Bildschirme hat. Man schaut nicht mehr durch den Sucher. Man hält die Kamera am gestreckten Arm und nimmt das Bild nur noch als einen Klecks in der Gesamtwahrnehmung wahr.

Leute die meinen, sie haben tagsüber irgendwas erlebt, und dabei auf den Knopf gedrückt, also müsse das, was abends in der Kamera ist, folglich Fotografie sein, die sich andere gefälligst anzuschauen haben.

Offenbar fehlt es aber an der Lehrbefähigung, den Leuten zu sagen, dass es nicht reicht, einfach irgendein Gerät irgendwohin zu halten, irgendwas zu schießen, irgendeine dämliche Situation, ohne jegliche Bildgestaltung, und dann zu meinen, das wäre etwas. Weil es sie selbst an die Situation erinnert, das aber nicht bei denen funktioniert, die nicht dabei waren. Das Bild selbst muss die Information in sich tragen, und der Schrott dort hat kein Information, ist belanglos. Fast nichts, wo man stehenbleibt und sich etwas anschauen möchte.

Doch, es gab auch welche, die das so hinbekommen habe, dass ein paar interessante Portraits entstanden sind. Aber das waren Ausnahmen.

Der Punkt ist nicht, dass sie nicht fotografieren können.

Der Punkt ist, dass sie es nicht mehr lehren können.

Von da ging ich dann weiter zum Wahllokal zur Abstimmung. Nicht in der benachbarten Schule, wo sonst die Wahlen stattfinden, sondern an einer Schule, bei der ich dann fassungslos davor stand ob des maroden heruntergekommenen Gesamtzustandes. Schrecklich.

Nach der Wahl habe ich mir an einem Fressstand, den da einer betrieb, um von den Wählern zu profitieren, einen „Leberkas im Brötschen“ gekauft, mit s. Weil der „Grillkäse im Brötschen“ ausverkauft war. Ein erwachsener, deutscher, deutschstämmiger, eingeborener Berliner, der Brötchen verkauft und nicht weiß, dass man Brötchen nicht mit s schreibt. Vor einer heruntergekommenen, maroden, gammeligen Schule, an der die Farbe von der Decke fällt, und von der ich schon beim einmaligen Kurzbesuch merke, wie die depressive Stimmung des Ortes jeden zu verschlingen versucht. Google zeigt mir, dass sich in dieser Schule neulich eine Lehrerin mit Sprung zur Seite retten konnte, weil ihr beim Öffnen eines Fensters gleich das ganze Fenster entgegenkam, weshalb es dann verboten wurde, in dieser Schule noch ein Fenster zu öffnen. DDR-Plattenbau 70er Jahre, was die gruselige Ornamentfassade erklären würde.

Nun dürfen auch an dieser Schule in Mitte keine Fenster mehr geöffnet werden. Die Kinder sollen sich nicht in deren Nähe aufhalten, bis alle Fenster gesichert sind. In jedem Klassenraum werden zudem alle bis auf ein Fenster vernagelt.

Während man abstimmt, ob wir im Klimakrampf zwei Gänge hochschalten wollen.