Warum der Plural von Kran Kräne und nicht Krane heißt
Ich habe nochmal darüber nachgedacht und komme zu dem Ergebnis, dass der Plural „Krane“ falsch ist, wenn es um die Dinger geht, die etwas anheben. Zumindest komme ich zu dem Ergebnis, „Krane“ abzulehnen.
Wörter zu deklinieren oder zu konjugieren heißt im Deutschen auch Beugung oder Flexion. Beugung kommt von Biegen. Es heißt, dass die Wörter verändert, verformt, geknetet werden, und der Zweck ist immer, das Verständnis zu erleichtern, dem Hirn beim Hören oder Lesen frühzeitig anzukündigen, was kommt, und die Sache weniger mehrdeutig zu machen, etwa den Plural vom Dativ Singular zu unterscheiden.
Je älter ein Wort innerhalb der deutschen Sprache ist, desto eher unterliegt es dieser deutschen Beugung, und je mehr es Fremdwort ist, also aus einer anderen Sprache stammt, desto „steifer“, unbeugsamer ist das Wort. Lehnworte sind eine Grauzone. Ein Beispiel, was mir dazu einfällt, wäre der Imam. Das ist ein Fremdwort, aus dem Arabischen, und kann daher nicht deutsch gebeugt werden. Es ist steif. Deshalb lautet der Plural Imame und nicht Imäme.
Bei Lehnworten wird die Sache schwierig.
Das würde beispielsweise erklären, warum man von Generälen, nur selten aber von Admirälen und eher von Admiralen redet. Denn der General kommt aus dem Lateinischen (generalis = allgemein, gemein, über das Kirchenlatein zur Rangbeschreibung geworden), einer unserer Ursprungssprachen, während der Admiral aus dem Arabischen kommt (amir al-rahl = Befehlshaber der Flotte, verwandt mit Emir).
Die Frage ist nun, was für ein Wort „Kran“ ist, woher es kommt, wie lange es schon im Deutschen in Gebrauch ist.
Es handelt sich um ein seit dem 14. Jahrhundert[3] bezeugtes Erbwort, dessen spätmittelhochdeutsche (mitteldeutsche) Form krane → gmh[3] lautete (vergleiche mittelniederdeutsch krān → gml[3][4][5], krāne → gml[4][5], mittelniederländisch crane → dum[3], crāne → dum[4][5] sowie altenglisch cran → ang[4][5]). Das alte Wort für den »Kranich«[3][4][5] wird – wohl im Bereich der Hanse[4][5] – im 15. Jahrhundert[3][4][5] auf das Hebewerkzeug[3][4][5] wegen seiner Ähnlichkeit mit Kopf und Hals des Vogels übertragen[4][5]. Die früheste Bezeugung für einen (Hafen-)Kran im deutschen Bereich liegt für die Stadt Utrecht im Jahr 1244 vor.[3] Die mittelwestdeutsche Bedeutung ‚Wasserhahn‘ ist wohl eine Übertragung nach der Form.[3] Im Ostniederdeutschen, Rheinischen und in der Altmark gilt »Kran« auch für ‚Zapfhahn‘.[4][5] Einen ähnlichen Bedeutungsübergang zeigen altgriechisches γέρανος (geranos☆) → grc m, f[3][4][5] ‚Kranich‘ und ‚Hebemaschine‘[4][5], lateinisches grūs → la m, f[3][4][5] ‚Kranich‘[3][4][5], ‚Kran‘[3] und ‚Mauerbrecher‘[3][4][5] sowie russisches журавль (žuravlʹ☆) → ru ‚Kranich‘ und ‚Brunnenschwengel‘[4][5].
Das ist also tatsächlich wegen der langen hohen Form vom Kranich abgeleitet und stimmt im Griechischen und Lateinischen mit dem Wort für Kranich überein oder ist ähnlich.
Und weil das Wort über mehrere hundert Jahre in der deutschen Sprache vorkommt und aus dem Griechischen und Lateinischen übernommen wurde, bin ich der Überzeugung, dass die richtige Deklination ist, das Wort wie ein deutsches Wort und nicht wie ein Fremdwort zu beugen, also Kräne und nicht Krane.
Ob das in irgendwelchen Normen oder Fachsprachen „Krane“ genannt wird, ist mir egal. Denn Normungen sind per se nicht nur unverbindlich, man kann sich dran halten oder es bleiben lassen, sie bestimmen auch nicht darüber, was sprachlich korrekt ist. Es ist deshalb nicht von Überzeugungswert, wenn in der Fachsprache oder der Norm das „Krane“ üblich ist, weil die zwar technisch, aber so wenig sprachnormativ sind, dass sie nicht vorgeben können, was grammatikalisch richtig ist, sondern sich umgekehrt daran messen lassen müssen.
Wenn also einer kommt und sagt, dass es in der Fachsprache oder Norm „Krane“ heißt, dann besteht meine erste Vermutung darin, dass die Norm oder die Fachsprache eben falsch sind, weil von Leuten gemacht und geschrieben, die viel Ahnung von Ingenierwesen, Maschinenbau, Physik und Krantechnik hatten, aber nicht von Sprache. Denn gute Kräne bauen zu können befähigt nicht automatisch auch dazu, sie richtig benennen zu können. Mit der Fähigkeit, eine Nomenklatur und Taxonomie festzulegen geht nicht automatisch auch die Fähigkeit, deren Begriffe grammatikalisch richtig zu behandeln, einher. Insofern zieht das Argument „Fachsprache“ nicht sehr. Wer Normen für Krantechnik schreiben kann, hat nicht notwendigerweise auch Ahnung von Sprache. Was man schon daran erkennt, dass man gar kein Deutsch können muss, um einen ordentlichen Kran zu bauen. Das geht auch auf englisch, russisch, türkisch, indisch, chinesisch. Schöne Kräne zu bauen ist kein Argument, auch sprachlich gut zu sein.
Ich habe noch etwas gefunden.
Eine Schweizer Sprachwebseite hat sich genau dieses Problems angenommen.
Die standardsprachlich korrekte Pluralform von «der Kran» ist: die Kräne. Nur eingeschränkt korrekte Pluralformen von «der Kran» sind: die Krane (nur in der Fachsprache) und die Kranen (nur in bestimmten Regionen und in bestimmter Bedeutung). Eine falsche Pluralformen von der Kran ist: die Kränen.
Mit dem Plural «die Kräne» kann man nichts falsch machen, denn er gilt überall als standardsprachlich korrekt. Auf den zweiten Blick ist die Mehrzahl von «der Kran» etwas komplizierter, weil abhängig von der Bedeutung und der Region weitere Varianten möglich sind: Krane oder Kranen.
Kräne als standardsprachlicher Plural
Beim Substantiv «der Kran» lautet der standardsprachlich korrekte Plural «die Kräne». Diese Mehrzahl wird von allen mir bekannten Wörterbüchern als Standardplural aufgeführt, z. B. vom Duden (hier neusten Duden kaufen*). Ich empfehle deshalb im Normalfall die Pluralvariante «die Kräne».
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Zu finden ist in den Wörterbüchern aber auch die Mehrzahl «die Krane». Dieser Plural wird dann allerdings auf die Fachsprache beschränkt.
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Betrachtet man die Verwendung der Pluralformen «die Krane» und «die Kräne» in der Praxis, zeigt sich, dass in den meisten Regionen die Mehrzahl Kräne tatsächlich häufiger zu beobachten ist als Krane, allerdings in unterschiedlichem Ausmass, wie folgende Grafik der Variantengrammatik des Standarddeutschen zeigt. Die Mehrzahl «die Krane» ist vor allem in der Schweiz und Liechtenstein, in Teilen Süddeutschlands und im Westen von Österreich neben «die Kräne» ebenfalls üblich.
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Bei Wortzusammensetzungen ist logischerweise auch die Mehrzahl -kräne in der Standardsprache zu bevorzugen, ausser es handelt sich um einen Fachtext […].
Allerdings meint die Webseite, dass die – mir bisher nicht bekannte – zweite Bedeutung von Kran, nämlich Wasserhahn, auch von Kranich abgeleitet, den Plural Krane führe:
Primär meint das Substantiv Kran eine Hebevorrichtung zum Heben von schweren Lasten oder sperrigen Gegenständen. Das Wort Kran hat sich aufgrund der Ähnlichkeit dieser Hebevorrichtung mit dem Hals eines Kranichs (einem Vogel) entwickelt. In einigen Regionen des deutschsprachigen Raums kann unter einem Kran laut Duden auch ein Wasser-/Gas- oder Zapfhahn gemeint sein. In dieser Bedeutung ist dann auch die Mehrzahl «die Kranen» möglich:
- Er drehte die Kranen für warmes und kaltes Wasser auf.
- Aus den Kranen floss das Wasser platschend zu Boden.
In der Schweiz kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, dass die Mehrzahl «die Kranen» zudem in der Hauptbedeutung «Hebevorrichtung/Baukran» zu finden ist, wobei ich wie oben erwähnt empfehle, in einem Text die standardsprachliche Variante Kräne zu verwenden.
Bewertung
Nach meinem Sprachgefühl und meiner Überlegung lautet der Plural „Kräne“.
Ich will nicht ausschließen, dass es eine vernünftige und belegbare Begründung für „Krane“ gibt, aber ich erkenne die Fachsprache nicht als Begründung in Sprachangelegenheiten an. Weil nicht die Fachsprache vorgibt, was sprachlich richtig ist, sondern im Zweifel die Fachsprache falsch ist und die von Leuten geprägt wurde, deren Talente und Stärken auf anderen Gebieten als der Sprache lagen. Gerade wenn es um Fachsprachen und Normung geht, ist das Rudelverhalten sehr ausgeprägt, da macht das Rudel nach, was einer vorgibt, ohne eigentlich Ahnung davon zu haben. Nur weil sich ein paar Leute auf ein Sprechweise einigen, ist sie noch lange nicht richtig. Sonst könnte man Kräne ja gendern.
Das Hauptproblem sehe ich aber nicht darin, ob jemand nun Kräne oder Krane sagt. Letzteres widerspricht zwar meinem Sprachgefühl, ist mir aber eigentlich egal. Es stört mich etwas, aber es juckt mich nicht.
Was mich aber stört sind marodierende Besserwisser, die allein daraus, dass eine kleine Minderheit, die sich als thematisch zuständig ansieht, ohne sprachliche Begründung, sondern einfach aufgrund eines Konsenses innerhalb dieser Minderheit, der rein auf Rudelei und nicht auf sprachlicher Sachkunde beruht, Begriffe prägt und dann Leuten vorschreiben will, dass man diese Sprachform zu verwenden hat.
Denn systematisch unterscheidet sich solches Vorgehen nicht von der Gendersprache. Da hat sich auch eine kleine Gruppe, die sich für allen zuständig hält, ohne Sprachkunde willkürlich auf Begriffe geeinigt und meint nun, die Welt belehren und maßregeln zu können, dass nach deren Vorgaben zu reden sei.
Und (erst) aus dieser systematischen Betrachtung heraus lehne ich „Krane“ genauso ab wie „Kranführende“ oder „Kranfahrer*Innen“.
Und die Methode, nur zu belehren statt zu begründen, die lehne ich auch ab.