9:16 statt 16:9?
Mal eine blöde Frage.
Ich habe vor Jahren viel gespottet über die dämlichen Hochkant-Videos, die in Mode kamen, als die Leute angefangen haben, Videos für Youtube und dann andere Social Media mit dem Handy, voran dem iPhone zu drehen, und nicht kapierten, dass man das Handy dazu quer und nicht hochkant hält.
Komischerweise hat nie jemand ein Hand gebaut, dass man hochkant halten und trotzdem damit quer filmen kann. Zumindest wäre mir keines bekannt.
Der Punkt ist einfach, dass die Augen zumindest bei der weit überwiegenden Zahl der Spezies-Genossen neben- und nicht übereinander liegen, oft sogar je eines links und eines rechts von der Nase, und man dadurch zwangsläufig einen horizontalen Bildeindruck gewinnt, obwohl man mit der Aussage in Neudeutschland ja auch schon mit einem Bein im Knast steht, weil es garantiert Leute diskriminiert, die sich als die mit den Augen übereinander, hintereinander oder nebeneinander definieren. Oder wie bei der 360°-Kamera, eins nach vorne und eins nach hinten. Spricht man einen davon falsch an, steht man mit einem Bein im Knast – die Frage wäre: Das obere oder das untere Bein, das vordere oder das hintere?
Zu meinem tiefen Betrüben muss ich schon seit einiger Zeit feststellen, dass die Industrie den Leuten es nicht etwa beibringt oder erleichtert, das Handy quer zu halten, sondern sich auf diesen Trend einlässt. Schon seit einiger Zeit gibt es Software, die Vertikalvideos so in 16:9 einblendet, dass keine scharzen Balken entstehen, sondern der Hintergrund noch einmal verändert wird.
Youtube hat eine eigene Plattform eröffnet, die Youtube Shorts, für solche Vertikalvideos.
Und inzwischen gibt es sogar professionelle Kameras, die auf Vertikalvideos vorbereitet sind und das können, auch die neueren GoPros können das, wenn ich mich recht entsinne. Selbst Kamera-Riggs und -Cages (die Metallgestelle, in die man sie für Videoaufnahmen packt) sind manchmal inzwischen so gebaut, dass man den Griff auch an die Seite machen und das Ding vertikal führen kann.
Als würde mich das noch nicht genug betrüben, gibt es inzwischen Profis, vor allem aus der Werbeszene, die sogar befürworten und empfehlen, Videos hochkant aufzunehmen, weil die meisten Videos heute von Leuten unterwegs auf dem Handy angesehen würden, und die dazu das Handy auch hochkant halten, das also das vorgegebene Bildschirmformat sei.
Nun überlege ich und frage mich, wieso etwas so eigentlich phsyiologisch widersinniges zustandekommt. Denn wofür taugen Vertikalvideos? Klar, Dokumentationsfilme über Kirchtürme, Zeitraffer über abbrennende Kerzen und wachsende Pflanzen, und ganz klar, natürlich für Pornos. Da gibt es ja reichlich vertikale Aspekte.
Aber sonst?
Mir geht eine Frage durch den Kopf.
Könnte es sein, dass unser Visus, unser Blickfeld, zwar entsprechend der Anordnung der Augen horizontal ist, und selbiges sogar natürlich vorgegeben ist, weil die Schwerkraft nach unten zeigt und der Horizont für uns quer steht, und damit das, was es zu sehen gibt, ursprünglich eine horizontales Beute- und Bedrohungsspektrum war? Ein Leser schrieb mir mal, dass Jäger nicht nur deshalb auf Hochsitze gehen, um bessere Sicht und besseres Schussfeld zu haben, sondern auch, weil das Wild nur Angreifer auf dem Boden kennt und einen Jäger oben auf dem Hochsitz nicht als Feind erkennen kann, weil zu hoch. Der sitzt quasi im Baum, und Hirsche und Wildschweine werden nicht von Fressfeinden aus Bäumen angegriffen.
Dass aber die Aufmerksamkeit des Gehirnes eine vertikale Angelegenheit ist, weil wir dazu neigen, auf Personen zu achten und sie in einer Umgebung isoliert zu betrachten?
Denn was mir an diesen vielen 9:16-Hochkant-Videos aufgefallen ist, ist, dass sie nur selten Überblicke über Landschaften, Natur und sowas geben, sondern oft eine einzelne handelnde Person in den Blick rücken, die Streit anfängt, dumm ist, tanzt, weiß der Kuckuck.
Könnte es also sein, dass wir zwar ein horizontales Blickfeld haben (foto-englisch landscape), aber ein vertikales Aufmerksamkeitsfeld für das Hirn (foto-englisch portrait), und deshalb dieses Vertikal-Format 9:16 für solche Kurzdistanzerzählungen über eine einzelne Person im Mittelpunkt unmittelbaren Interesses tatsächlich besser ist?