Korea, Vietnam, Grenada, Libyen, Irak, Syrien
Ein Leser macht mir Vorwürfe.
Weil ich es gewagt habe, die russische Feierpraxis kritisch zu sehen, weil man dort nationalistisch feiert, vor allem ausgelassene Frauen, während in der Ukraine massenhaft Leute sterben. Vorhin habe ich auf Twitter ein Drohnenvideo gesehen, das von oben beobachtet, wie ukrainische Soldaten, die in ein Minenfeld geraten sind, dort feststecken, andere versuchen, sie mit dem Panzer da rauszuholen, und ab und zu eine Mine hochgeht und ihnen Beine abreißt.
Ich bringe das hier jetzt mal nicht, weil das schon derb ist, und manchen Leuten als Vorwand für Strafanzeigen dienen könnte, Filmaufnahmen von Leuten in hilfloser Situation und so.
Vielleicht bin ich da sehr altmodisch und nicht zeitgeistig genug, aber mir geht das gewaltig gegen den Strich, wenn man in St. Petersburg tanzt und in der Ukraine mit Personenminen Leuten die Beine abreißt.
Und ich habe überhaupt kein Verständnis für Leute, die das auch noch toll und gut finden und gegen jedes Wort der Kritik verteidigen.
Besonders übel finde ich dann aber solche Zuschriften:
Und dann frage ich mich, vielleicht irre ich mich, weil ich Ihren Blog erst seit einigen Jahren verfolge, wo denn die Empörungen waren als die USA Korea bombardierten, Vietnam, Grenada, Libyen und Herrn Gaddafi und Herrn Hussein im Irak meuchelten, als sie ihnen lästig wurden.
Syrien wollen wir dann nicht vergessen und all die ungenannten Kriege der USA, der Nato in Jugoslawien und in Afrika.
Das ist eine Argumentationsweise, die mir völlig gegen den Strich geht. Ich habe das schon oft angesprochen, normalerweise bei Kritik von links: Kein Wort darf man gegen den Islam sagen, wenn man nicht sofort dasselbe gleich auch gegen Christen und Juden sagt, weil man keinen einzelnen separat, sondern immer nur alle kollektiv kritisieren dürfen soll. Auf Männer einzudreschen ist in Ordnung, aber niemals darf man Frauen kritisieren, ohne sofort dasselbe auch über Männer zu sagen. Gab es ja auch schon einige Male im Fernsehen, neulich bei „Hart aber fair“ oder auch schon im ZDF heute journal: Wehe jeder Frau, die irgendwas über die Kölner Silvesternacht oder sexuelle Belästigung durch Migranten sagt, ohne sofort zu sagen, dass man auf dem Oktoberfest genauso belästigt würde (was obendrein um mehrere Größenordnungen falsch und deshalb gelogen ist).
Ich will aber auf etwas anderes hinaus: Ich bin Jahrgang 1966.
- Korea-Krieg
- Das war 1950 bis 1953. Wie hätte ich das kommentieren sollen?
- Vietnam-Krieg
- 1955 bis 1975. Das meiste habe ich auch durch Abwesenheit auf dieser Erde verpasst, und in der Grundschule war das damals leider noch nicht dran. Als ich davon erfahren habe, war er schon vorbei.
Außerdem habe ich mich dazu geäußert, zum Beispiel hier.
- US-Invasion in Grenada
- Das war am 25. Oktober 1983 und endete 4 Tage später.
Als ich davon gehört habe, war es schon vorbei. Außerdem war ich 17, Internet gab es noch nicht, und keine Sau hat damals auf mich gehört.
- Libyen
- Es stimmt nicht, dass die USA Libyen überfallen hätten. Damals gab es Resolutionen des Weltsicherheitsrats, UN-Sicherheitsrats, der Vereinten Nationen, es waren sehr viele Länder daran beteiligt. Da wurden Flugverbotszonen durchgesetzt.
Mir wäre aber nicht bekannt, dass die USA in Libyen die zivile Infrastruktur zerstört hätte, Zivilisten bombardiert oder das Land vermint.
Im Februar 2011 wäre es außerdem völlig belanglos gewesen, was ich geschrieben hätte, da war mein Blog nämlich noch ziemlich unbekannt.
- Irak
- 2003 bis 2011. Ähnlich wie Libyen.
- Syrien
- Ist meines Wissens ein Intra-islamischer Krieg. Und dass ich die deutsche Regierung unter Merkel im Verdacht habe, da die Finger drin zu haben, habe ich gesagt.
Ich bin auch kein Weltrichter. Und ich bin nicht der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk.
Ich nehme mir im Rahmen der Meinungsfreiheit auch heraus, mich zu den Themen zu äußern, zu denen mir was einfällt und ich mich äußern will, und die mich irgendwie betreffen, und zu anderen die Klappe zu halten. Zumal mein Tag nur 24 Stunden hat und ich an der Grenze meiner Kapazität arbeite, ich keine Zeitungs- oder Nachrichtenredaktion mit 150 Mitarbeitern habe. Die Forderungen an mich sind schon quantitativ nicht zu erfüllen.
Ich finde es zwar schmeichelhaft, aber irgendwie auch seltsam, dass mich manche Leute für so eine Art Superman halten, der sich auf Zuruf mal eben zum Klimaexperten einliest, dann zum Virenexperten, so nebenbei macht, wozu andere 10 Jahre brauchen, um sich dann sofort zum Ukraine-Experten und Russland-Kenner fortzubilden, um dann Vorwürfe zu bekommen, warum ich nicht gleich auch noch Korea-, Vietnam-, Irak-, Libyen-, Syrien- und sonstwas-Experte bin. Ein Phänomen, das ich schon oft beschrieben habe: Man muss nur die richtigen drei Webseiten lesen, die richtigen drei Youtube-Videos gucken, und natürlich die richtigen drei Twitter-Accounts kennen, schon weiß man alles besser und kann auch gleich neue Krankheiten heilen und behandeln.
Wobei die Wahrheit immer sein muss, dass die USA die Bösen sind und hinter einfach allem stecken müssen. Was ich noch nicht mal für unrichtig oder unwahr halte, die sind wirklich überall mit drin. Aber das Problem der geistigen Grenze, nur einen einzigen Bösen, nur einen Teufel oder Satan erfassen zu können und daraus zu folgern, dass alle anderen gut sein müssen, weil es keinen zweiten Bösen geben kann, habe ich schon beschrieben. Sicherlich sind die Amerikaner in vielerlei Hinsicht bösartig. Das kann aber nicht bedeuten, dass man zu jedem Thema X nur lesen muss, bis man bei „USA sind schuld“ vorbeikommt und dann die Expertenbildung abgeschlossen ist. Das ist ein Effekt, den ich schon oft beobachtet habe: Man legitimiert alles, indem man sich irgendwas Schlimmeres sucht und dann die Schlimmwahrnehmung auf das Schlimmste reduziert, schon das Zweitschlimmste aus dem Blick nimmt.
Mir gehen diese Pseudo-Vergleiche auf den Wecker. Man kann die Ukraine nicht mit Kuba vergleichen. Die USA sind in Kuba nicht einmarschiert, sie haben es nicht bombardiert, und am Ende der Kuba-Krise sogar zugesagt (und eingehalten), dass Kuba unabhängig bleibt. Mir wäre nicht bekannt, dass die USA in der Kuba-Krise irgendwelche Leute auf Kuba umgebracht oder da irgendwas vermint oder zerstört hätten, und es ist dokumentiert, dass die Amerikaner sich russischen und nicht kubanischen Schiffen in den Weg gestellt haben. Die Kuba-Krise dauerte 14 Tage. Es gab, bis auf den Abschuss eines US-Aufklärungsflugzeuges, keine Kampfhandlungen.
Russland hatte 64 nukleare Mittelstreckenrakten und 42.000 Soldaten nach Kuba gebracht. Gab es irgendetwas dieser Art von den Amerikanern in der Ukraine? Gerade eben läuft im Fernsehen, dass es in der Ukraine bisher 200.000 Tote gab. Und Russland tanzt.
Ich halte es für wirklich schwachsinnig, Kuba und die USA auf eine Ebene zu stellen.
Mir geht diese Herangehensweise so auf die Nerven, dass man zu unerwünschten Kritiken immer vorgehalten bekommt, dass man nicht alle anderen genauso kritisiert, damit nur ja keiner negativ heraussteht.
Vor allem stört mich das dann, wenn ich damals noch gar nicht geboren oder Kind war, oder es noch kein Internet gab, ich das Blog noch nicht hatte.
Am meisten stört mich aber diese brachiale Dummheit, die hinter diesem Ansatz steckt: Wozu ich mich nicht schon nachweislich als Fünfjähriger positioniert und es so publiziert habe, dass es auch 50 Jahre später noch auffindbar und nachweisbar ist, soll ich mich für den Rest meines Lebens nie wieder äußern dürfen. Als gäbe es kein Denken, kein Entwickeln, kein Lernen, kein Überlegen, kein Betrachten, kein Überdenken, keine Meinungsbildung und -änderung. Als dürfte man mit Mitte 50 nicht schlauer sein, als man es mit 5 schon war. Als gäbe es nur ein lebenslängliches Gesinnungsbekenntnis, an das man für alle Zeit gebunden ist, als wäre man auf eine bestimmte Meinung getauft worden. Als gehörte man unwiderruflich zu einem bestimmten Rudel.
Ich verachte Leute dieser Herangehensweise. Es ist massiv Meinungsfreiheitswidrig. Als würde man in ein Meinungskataster eingetragen.
Was mich besonders ankotzt, ist die Verlogenheit dahinter.
Denn dieses ganze Blog ist ja nur aus der Situation des Krieges um mein Promotionsverfahren und den Kryptokrieg entstanden. Und ich schreibe ja nun seit Jahren unentwegt kritisch über die USA, auch Gender und Niedergang, Software und Waffen. Mir vorzuwerfen, ich würde hier einseitig nur gegen die Russen schreiben, die ich in den ersten 20 Jahren des Daseins meiner Webseite so gut wie gar nicht erwähnt habe, ist von einer Verlogenheit, die gänzlich ungeeignet ist, meine Meinung über Russland im Ukrainekrieg auch nur im Geringsten zu verbessern.
Und wenn dann einer damit kommt, dass er mein Blog erst seit einigen Jahren liest, aber vermisst, dass ich mich damals nicht kritisch über den Korea- und den Vietnamkrieg geäußert habe …
Ja, dann hätte er meine Webseite eben damals schon lesen müssen. Woher will er überhaupt wissen, dass ich diese Kriege nicht damals schon kritisiert habe, wenn er mein Blog nicht auch damals schon gelesen hat?
Meine damaligen Webseiten vor 2006 sind schließlich nicht mehr online.
Und keiner der genannten Kriege hat mich je unmittelbar so betroffen. Ich könnte mich auch nicht erinnern, dass die USA je gedroht hätten, mich zu bombardieren.
Außerdem beruht der Vorwurf auch auf enormer Unkenntnis. Denn der Korea- und der Vietnamkrieg sind nur Spätauswüchse das Kampfes Westen gegen Kommunismus. Und darüber schreibe ich mir bekanntlich die Finger wund und eine Tastatur nach der anderen durch.
Irgendwie erinnern mich die Russland-Verteidiger und Putin-Versteher an die Klimakleber. Die nämlich sind so doof und abstoßend, dass man nicht einmal dann mit ihnen einer Meinung sein wollte, wenn sie recht hätten.
Es sind heute erstaunlich viele Leute unterwegs, bei denen ich tatsächlich lieber wissentlich einer falschen Meinung wäre als mit ihnen einer zu sein. Ich hätte nicht geglaubt, jemals so etwas zu sagen, weil es zutiefst meiner rationalen, wissenschaftlichen, analytischen Überzeugung widerspricht, wonach es weder positiv noch negativ beeinflusst, ob etwas richtig oder falsch ist, wer dafür oder dagegen ist. Genauso wenig wie es einen Konsens zugunsten einer Meinung gibt, darf es einen Abstoßungseffekt gegen, gegen eine Meinung zu sein, weil sie von anderen belegt ist. Aber irgendwann wird es selbst mir zu blöd.