Ansichten eines Informatikers

Sechs auf einen Streich

Hadmut
5.7.2023 16:42

Der nächste Evolutionsschritt des Videoproduktionswahnsinns.

Ich hatte vor einiger Zeit mal Blogartikel darüber geschrieben, dass es in der Videotechnik einen großen Schub gab: Man hat die Green-Screen-Technik, bei der die Schauspieler vor einer grünen Wand spielen, und bei der man in der Postproduction-Arbeit das Grüne durch irgendeinen Hintergrund ersetzt, durch eine neue, bessere Technik substituiert: Die Schauspieler stehen in einer Halle vor einer riesigen LED-Wand, auf der in Echtzeit und passend zur Position der beweglichen Kamera immer exakt der Hintergrund gezeigt wird, wie er aus Sicht der Kamera aussehen würde, und damit deutlich realistischere Filme möglich sind, außerdem keine Nachbarbeitung nötig ist, weil der Film gleich fertig aus der Kamera kommt, und auch das lästige Problem des Green Spill, des grünen Saums auf Haaren und Kleidung, einfach entfällt.

Bekannt wurde die Technik vor allem durch „The Mandalorean“, wo man das systematisch und durchgehend eingesetzt hat. Fremde Planeten, sagenhafte Landschaften, selbst finstere Räumlichkeiten – sieht echt aus, ist es aber alles nicht mehr, nicht mal Kulisse, nur ein paar Accessoires, wie der Tisch, an dem sie sitzen, sind noch echt.

Das hat man nun verbessert.

Inzwischen können diese Leinwände 120fps, also 120 Bilder pro Sekunde zeigen, und wenn man dann zwei Kameras verwendet, die die Schauspieler aus verschiedenen Winkeln zeigen, was normalerweise schief gehen würde, weil die LED-Wand ja nur eine Perspektive zeigen kann, und eine immer falsch sein müsste, können die jede ihre eigene Perspektive „sehen“, wenn die genau synchronisiert sind, 60fps aufnehmen und das exakt abwechselnd. (Wer sich etwas auskennt, wird wissen, dass dann die Belichtungszeit bzw. der Blendenwinkel unter 180° liegen muss.)

Man kann also mit zweien – oder je nach Einstellung bis zu sechs – Kameras dieselbe Szene gleichzeitig drehen lassen, und obwohl jede Kamera aus einem anderen Blickwinkel schaut, haben alle den für ihren Blickwinkel richtigen Hintergrund. Und es besteht sogar die Möglichkeit, den Schauspielern Hinweise oder Markierungen, oder sogar ihren Text groß anzuzeigen, und die Kamera kann ihn nicht sehen.

In einer Hinsicht sind diese Aufnahmen aber doch immer verräterisch: Sie können zwar den Hintergrund perfekt perspektivisch ausrichten, damit der zeigt, was man sehen würde, wenn man wirklich auf diesem Planeten wäre, nur der Boden nicht. Den Boden können sie entweder nicht zeigen, oder müssen ihn mit Sand, Erde, Teppich, was auch immer, auslegen und drapieren. Man hat einen phantastischen Hintergrund, aber eine Boden wie im Studio.

Trotzdem: Sagenhaft. Und gleichzeitig immer illusorischer, weniger glaubwürdig.

Ich bin ja mal gespannt, wann sie das für Privatleute anbieten, statt Urlaub. Guckt mal, ich war in Venedig. Und auf dem Mount Everest.