Ansichten eines Informatikers

Die kaputtverdichtete Stadt

Hadmut
8.9.2023 18:50

Aus der Stadtruine Berlin.

*Seufz*

Wieder einen ganzen Nachmittag verbraten.

Eigentlich wollte ich nur zwei Dinge erledigen. Oder drei. Die als Zwischenprodukt meiner Wohnungsentmistung angefallenen mehrere Kisten voller Elektronikschrott, Energiesparlampen (die ich noch im Keller auf Vorrat und längst vergessen hatte), leere Batterien und alte Akkus zum Recyclinghof (oder Wertstoffhof, wie auch immer die offiziell heißen) bringen (Es ist erstaunlich, aber ich bin ein Meister darin, wirklich kistenweise Zeugs rauszuschmeißen, den halben Wertstoffcontainer vor dem Haus allein für mich zu brauchen, und die Wohnung danach trotzdem genauso voll aussehen zu lassen wie vorher. Oder fast.), dann noch ein paar Behälter zu kaufen und noch was Essen zu gehen.

Ich gehöre zu den Menschen, die zwar IKEA verachten und gerne über IKEA schimpfen, trotzdem aber die Wohnung voll von IKEA-Zeugs haben, weil es ordentliche Alternativen hierzulande auch nicht gibt. Ich fühle mich in anderen Möbelhäusern dann auch irgendwie verloren und völlig sachfremd, weil die das, was ich suche, dann auch nicht haben. Schon seit längerer Zeit, aber jetzt wieder im Zuge des Ausmistens, neige ich dazu, dahin, wo vorher Bücher standen oder ein setzkastenartiges Sammelsurium verschiedener Dinge einheitliche weiße Behälter zu stellen, in das der ganze Kleinkram und all das Technik- und Computerzeugs hineinverschwindet. Es ging mir gerade die Tage so durch den Kopf, dass ich damit im Prinzip das wiederholt habe, was man früher als „Apothekerschrank“ bezeichnete: Ein großes Regal mit vielen, gleichartigen, im Querschnitt nahezu quadratischen Schubladen. Sucht man heute nach dem Begriff, trifft man nur noch auf diese neudmodischen Apothekenschränke, bei denen man nicht mehr eine Schublade herauszieht, sondern gleich einen mannshohen Auszug von oben bis unten auf Rollen, mit vielen kleinen, schmalen Regalböden, in die die Medikamentenschächtelchen einsortiert sind. Im Prinzip habe ich aber nichts anderes gemacht, als meine ehemaligen Bücher- und Krempelregale auf einheitlichen Boden-Abstand umzustellen und mit weißen Kunststoffbehältern zu bestücken, also mir ein solches Apothekerregal nach alter Sitte selbst zu bauen. Und zwar leider auch nicht optimal, aber näherungsweise passende, bedauerlicherweise unverschämt überteuerte Behälter in verschiedenen Größen, aber zueinander passendem Stil gibt es eben bei IKEA. (Kuggis heißen die Dinger, falls jemand fragt.)

Und weil der Recyclinghof Fischerstraße eigentlich ungefähr auf dem Weg von hier zu IKEA liegt, und ich das häufig mache, dass ich auf dem Weg in die Gegend am Recylinghof vorbeifahre, wenn ich was abzugeben habe, dachte ich mir, schnell erledigt. Im Recylinghof Zeugs abgeben und von dort weiter zu IKEA, Behälter kaufen.

Aber, ach.

Ich wusste, kam im Radio und so weiter, dass die Stralauer Allee, über die ich dabei muss, seit langem total gesperrt ist. Da ist mal ein altes, über 100 Jahre altes Wasserrohr geborsten und hat beim Auslaufen großen Schaden angerichtet, die ganze Straße längs unterspült. Deshalb mussten sie die ganze Straße aufreißen und von ganz unten herauf komplett neu aufbauen. Bei der Gelegenheit hat man alte Straßenbahnschienen gefunden und verblüfft festgestellt, dass da früher mal eine Straßenbahn fuhr, man die Schienen aber einfach überasphaltiert hatte.

Nun, dachte ich mir, kein Problem. Fährst’e halt über die Frankfurter Allee, lass mir dann die Einzelheiten vom Navi suchen.

Hatte ich mir so gedacht.

Normalerweise dauert der Umweg zum Wertstoffhof so vielleicht 15 Minuten, weil es zwar geometrisch/-graphisch auf der Strecke liegt, aber kleinere und oft verstopfte Straßen, das kostet Zeit.

Der Umweg über die Frankfurter ging schief. Ständig irgendwo irgendeine Straße blockiert, weil Baustellen oder irgendwelche Sondernutzungen oder Umzungsfahrzeuge, oder unendlicher Stau. Nichts hat funktioniert. Ich bin da wie bekloppt in irgendwelchen Seitenstraßen unterwegs gewesen, „Victoriastadt“ laut Google, lauter enge Gassen, zwischendrin Kopfsteinpflaster und so holprig, dass es mir vom Geschüttel die Batterien aus dem Behälter geworfen und im ganzen Kofferraum verteilt hatte. Ständig ist irgendwo irgendetwas zu, gesperrt, blockiert, Durchfahrt verboten, oder einfach vom Stau auf Dauer verstopft.

Kein Durchkommen.

Am Ende war ich einmal quer durch und um den Stadtteil herumgefahren, um dann von hinten aus der entgegengesetzten Richtung endlich dort anzukommen. Nicht auf die Uhr gesehen, aber mindestens eine Stunde länger als sonst habe ich gebraucht.

Und mittendrin, wie zum Hohn, in den Radionachrichten die Meldung, dass man Einweg-E-Zigaretten verbieten will, weil sie abfalltechnisch in den Recycling-Müll für Elektrogeräte gehören, die Leute sie aber in den normalen Müll werfen. Kunststück, dachte ich, wenn sie es einem so schwer machen, zum Wertstoffhof zu gelangen …

Und wie ich da also so eine (mindestens gefühlte) Stunde rumgekurvt bin und nach einem gangbaren Weg gesucht habe, habe ich natürlich darüber nachgedacht.

Haben wir zuviele Autos?

Und mein Denkergebnis: Eigentlich nein.

Wir haben zuviele Menschen.

Denn viele Autos waren gar nicht mal Privat-PKW, sondern enorm viele Versorgungsfahrzeuge. LKW. Kühlfahrzeuge. Post- und Paketlieferfahrzeuge. Handwerker. Polizei. Omnibusse. Die meisten PKW, die ich gesehen habe, waren geparkt. Würde man sich die wegdenken, sähe es zwar etwas schöner aus, aber wesentlich schneller wäre ich auch nicht vorangekommen.

Man tut immer so, als bestündige der Platzbedarf eines Menschen nur aus Wohnraum und Autoparkplatz, und man könne die Probleme lösen, indem man ersteres reduziert und letzteres verbietet.

Das ist aber einfach nicht so.

Auch ein Mensch, der gerade gar nicht vor Ort ist, braucht viel Platz. Durch seine Stellvertreter.

Also beispielsweise den Paketboten, der fahren und sein Fahrzeug auf der Straße abstellen muss.

Durch den Supermarkt und die LKW, die ihn befüllen müssen.

Durch die Baustellenfahrzeuge, die seine Wasserleitung reparieren. Es ist ja schön, dass die Wasserleitung an der Stralauer über 100 Jahre gehalten hat, famose Qualität. Trotzdem: Dass die ganze Straße auf Wochen und Monate gesperrt ist, ist im Prinzip ein Platzverbrauch der Anwohner, die an der Wasserleitung hängen.

Und so weiter und so fort.

Mir fiel auf, wie unglaublich viele Menschen da in manchen Straßen unterwegs sind.

Mir fiel auf, dass ein Radfahrer und ein Fußgänger, zumal, wenn er unachtsam oder rücksichtslos über die Straße geht, weitaus mehr Platz braucht und Abgase wie CO2 verursacht als das Auto, denn die Autos befinden sich halbwegs im Fluss. Geht aber einer einfach so über die Straße und die Abbieger können deshalb nicht fahren (mehrfach erlebt) oder ein Radfahrer drängelt sich in den Verkehr, weshalb die dann alle langsam und vorsichtig fahren müssen, halten die den ganzen Verkehr auf und verursachen, obwohl sie sich gerade so klimafreundlich fühlen, einen enormen Rückstau, eine Störung des Verkehrsflusses. Wollte man die Umwelt schützen, müsste man Radfahrer verbieten. Weil der Radfahrer durch die Verkehrsstörung, die er verursacht, weit mehr CO2 ausstößt als ein Auto.

Der Punkt ist nämlich ein beachtlicher: Ab einer bestimmten Dichte beruht Verkehr auf Homogenität. Dichter Verkehr funktioniert nur auf Grundlage von Gleichartigkeit, wenn sich alle gleich bewegen. Wenn etwa alle ungefähr gleich beschleunigen, alle dasselbe Fahrverhalten haben, alle diesen Abstände halten, dasselbe Tempo fahren. Im Prinzip nichts anderes, als wenn Soldaten im Gleichschritt laufen, um auf wenig Platz und eng beisammen gehen zu können, ohne sich gegenseitig auf die Füße zu treten.

Ab einer gewissen Dichte des Verkehrs ist Diversität der Teilnehmer einfach Gift für den Verkehrsfluss. (Wie Diversität eben sehr oft „toxisch“ ist, oder besser gesagt, negativ statt positiv wirkt, abträglich ist.) Nämlich dann, wenn sich das Verkehrsverhalten von Teilnehmern signifikant auf andere auswirkt. Wenn der Linksabbieger nicht links abbiegen kann, weil die Radfahrer, die entgegenkommen, auf ihre Durchfahrt bestehen und ihn nicht durchlassen, und deshalb hinter ihm ein Stau entsteht. Radfahrer kommen sich unglaublich umwelt- und klimafreundlich vor, kapieren aber nicht einmal das, was sie unmittelbar sehen könnten, wenn sie überhaupt noch irgendwas zur Kenntnis nähmen. Wer das Klima schonen wollte, würde Autos Vorfahrt vor Radfahrern geben. Damit Autos nicht stehen müssen.

Das ist aber nicht das eigentliche Problem.

Das eigentliche Problem ist, dass es da einfach viel zu viele Menschen pro Fläche gibt.

Wie oben schon angesprochen braucht ein Mensch mehr Fläche als nur seine Wohnfläche und den Autoparkplatz. Das ganze Versorgungszeugs außenrum braucht Platz. Und zwar Platz, der in der rot-grünen Ideologie nicht vorkommt.

Die Rede ist da gern von der „15-Minuten-Stadt“, in der alles in einem Bewegungsradius von 15 Minuten zu finden ist. Man könnte es auch 3-km-Getto nennen. Wie das Zeug da aber hinkommen soll, sagen sie nicht.

Berlin verstopft nicht an Autos.

Berlin verstopft an Menschen. Schon zu viele Menschen pro Fläche. Die Fläche reicht nicht mehr für den Versorgungsbedarf an Fläche pro Mensch.

Und trotzdem wollen sie immer noch „nachverdichten“, die grenzenlose Zuwanderung, die Packungsdichte immer noch weiter erhöhen.

Mein Eindruck ist aber, dass Berlin schon längst an Eigenvergiftung stirbt. Dass wir bereits an dem Punkt sind, an dem normales Leben nicht mehr funktioniert, weil zu viele Menschen pro Fläche hier wohnen, als dass noch gesundes und normales Leben mit eben seinem zwangsläufigen Flächenbedarf jenseits von Wohn- und Parkplatz möglich wäre.

Paradoxerweise schimpfen rot-grüne Ideologen ständig auf die Autos und ihren Flächenbedarf beim Parken.

Womöglich ist genau das aber das letzte, was uns noch am Leben erhält. Denn wo ein Auto steht, da wohnt schon keiner, ist damit eine Begrenzung für die Zahl der Personen pro Fläche gegeben. Sind die Autos erst weg, kommen da noch mehr Menschen hin.

Und für jedes Auto, das da nicht mehr steht, ist eine Ersatzmobilität erforderlich.

Fahrrad?

Es ist verblüffend, achtet mal darauf: In vielen Situationen braucht ein Radfahrer mehr Platz als ein fahrendes Auto.

Zwar ist natürlich die abgedeckte Fläche und der unmittelbare Sicherheitsabstand geringer, aber wenn man die mittelbaren Folgen mit berücksichtigt, etwas dass der Radfahrer Stau verursacht, Leute am Abbiegen hindert oder dafür sorgt, dass sie langsamer oder mit Sicherheitsabstand fahren müssen, ist der Platzbedarf eines Radfahrers tatsächlich riesig, weil er als Sondernutzung aus dem Verkehrsfluss ausschert.

Berlin stirbt an Überverdichtung.