Ansichten eines Informatikers

Die Psychologie der Ordnung und des Aufräumens

Hadmut
17.9.2023 17:19

Wisst Ihr, was ich wunderbar finde? [Nachtrag 2]

Die Psychologie des Aufräumens.

Ich hatte doch schon mal erzählt, dass ich damals in meiner Karlsruher Wohnung (das ist aber schon vier Umzüge her) ein großes Büro, rundherum mit ganz hohen Regalen (IKEA Ivar, 226cm hoch), komplett voll mit Büchern hatte. Stellt man die Bücher normal rein, sieht das sehr unordentlich und zerklüftet aus, außerdem verstaubt es übel, weil man auf dem rohen, rauen, unbehandelten Kiefernholz nur schwer staub wischen kann. Irgendwann kam ich mal auf die Idee, alle Bücher so weit nach vorne zu ziehen, dass sie etwas über die Vorderkante hinausstehen, und sie dann mit einer langen Holzleiste (länger als die Regalböden breit sind) wieder zurückzuschieben, so dass die Bücher alle ganz exakt mit der Regalbrettkante abschließen. Dadurch entsteht über die ganzen Regale eine ganz seltsam „glatte“, plane Abschlussfront, und das sind total gut und ultimativ aufgeräumt aus, obwohl dieselben Bücher in derselben Reihenfolge auf denselben Regalböden stehen.

Ich hatte hier nun in meinen Regalen die Unendlichkeit allen möglichen Kleimkrams jedweder Art und Beschaffenheit, was sich eben über 30 Jahre Berufsleben und vor-sich-hin-Wohnen so ansammelt. Und eine „bunte“ Mischung „diverser“ Behältnisse, mal dies, mal jenes gekauft. Vor allem in meiner Münchner Zeit hatte ich mir die damals in den Discountern angebotenen Pappschachteln gekauft, die eigentlich für Fotos (10×15, 13×18 und solche Größen) oder DVD-Hüllen gedacht waren, und schön bunt, in allen Farben. Man bekommt das aber einfach nicht aufgeräumt. Egal, wie man die anordnet, durch das farbliche Durcheinander sieht das immer völlig durcheinander aus.

An anderer Stelle hatte ich im Laufe der Jahre günstige Behälter verwendet, mal diese, mal jene, was halt gerade irgendwo im Angebot war. Sieht auch gruselig aus.

Kauft man aber, wie ich das in letzter Zeit getan habe, ordentliche, geschlossene – und vor allem: gleiche, also form- und farbgleiche, neutral weiße – Behälter, hat man, sachlich-nüchtern betrachtet, nicht mehr und nicht weniger Durcheinander als vorher, weil dieselben Dinge in denselben Regalen stehen, nach wie vor in Behälter mit Beschriftung, was drin ist, als rein objektiv keine Ordnung gewonnen ist, eigentlich alles wie vorher, aber auf einmal sieht das sowas von ordentlich und aufgeräumt aus. Weil Struktur, Gleichheit, Wiederholung, Uniformität. Und: Deckel drauf. Ich hatte vorher einen Teil oben offener Behälter. Sieht fürchterlich aus, obwohl es im Regel drin eigentlich egal ist.

Wie kommt’s?

Ordnung, Sauberkeit, Aufgeräumtheit ist keine rein objektive Sache. Es hat auch etwas damit zu tun, wie das optische Erscheinungsbild auf das Gehirn wirkt.

Gerade hatte doch der König von Schweden sein 50-jähriges Thronjubiläum, und sie sagten dazu, dass die Matrosen, die ihn in der Schaluppe ruderten, vorher viel geübt haben, weil das nur dann hübsch und adrett aussieht, wenn das genau synchron passiert.

Es erinnert mich an einen meiner frühesten Blogartikel, Was genau sind eigentlich “Ordnung” und Sortieralgorithmen?, von 2007. Da hatte ich die Frage auch schon betrachtet.

Offenbar bevorzugt das Gehirn eine gewisse Homogenität, Ordnung, Übersichtlichkeit, die auf Wiederholung von Gleichem, auf gedanklicher Einfachkeit beruht. Informationstechnisch gesprochen, auf möglichst geringer Entropie. Einen möglichst geringen Informationsgehalt, eine Regalwand, die einen nicht anschreit, die für das Hirn einfach zu behandeln ist.

Wie kommt das? Und wie ist das evolutionär zu erklären?

Könnte es, nur als erster Gedanke, könnte es sein, dass wir in regelmäßigen, leicht zu überblickenden Umgebungen leichter einen Freßfeind, einen Angriffsgegner, einen Konkurrenten entdecken, als in großem Durcheinander? Es gibt doch immer wieder diese Suchbilder. Finde den Bären. Finde die Giraffe. Finde den Scharfschützen.

Oder ist das für den visuellen Teil einfach leichter zu beschreiben, weil sich da einfach selbstkorrelierend Muster wiederholen?

Hat es etwas mit der Amygdala zu tun, weil die eher Ruhe gibt, wenn die Mustererkennungen was finden?

Nachtrag: Oder könnte es etwas mit der Erkennung von „Gesundheit“ zu tun haben? Wir finden ja einen symmetrischen Gesichts- und Körperbau schöner, weil ein asymmetrischer Körper auf Krankheiten, Erbschäden oder Mangelerscheinungen schließen lässt.

Nachtrag 2: Wenn ich so darüber nachdenke, dann geht es auch darum, Sauberkeit darzustellen, es nicht als gesundheitsgefährdend darzustellen. Möglicherweise vermitteln zerklüftete, unübersichtliche Regallandschaften oder generell Zimmer den Eindruck, als kännten da Schmutzecken mit Bakterien lauern. Ordnung soll zweifellos auch einen gewisses hygienisches Niveau vermitteln.