Flugzeug-Crash in Japan
So ganz aufgeklärt ist der noch nicht, aber etwas finde ich an dem Crash eines Airbus 350 in Tokyo überaus bemerkenswert.
Wie schon so oft beschrieben, habe ich beim Fliegen weit weniger Angst vor technischem oder Piloten-Versagen (obwohl ich auch da in den letzten Tagen üble Dinge gelesen habe, in denen sich Piloten plötzlich völlig unsinnig und irrational verhalten und gegen alle Regeln Blödsinn getrieben haben), als vor dem Verhalten der anderen Passagiere.
Der Crash in Tokyo oder auch die Situation bei der Notwasserung im Hudson in New York sind ja genau solche Situationen, vor denen ich Angst habe, weil man plötzlich in einer Menge von emotionalen Bekloppten steckt, die durchdrehen. Ich sehe das ja schon immer, wie die Leute schon im Straßenverkehr die Eigenkontrolle verlieren und sich querstellen, wenn bloß von hinten irgendwas mit Blaulicht kommt.
Ich sehe das mit Sorge, dass in immer mehr Sicherheitsbelehrungen, die man beim Start bekommt, gesagt wird, dass man im Evakuierungsfall sein Bordgepäck nicht mitnehmen soll. Das gab es ja schon oft, dass Evakuierungen gescheitert sind, weil die Leute ihren Mist unbedingt einpacken und mitnehmen wollen, als würden sie am Zielflughafen aussteigen wollen. Es gab ja schon Fotos von Leuten, die bei der Evakuierung eines havarierten (und ich glaube sogar brennenden, weiß es nicht mehr genau) Flugzeugs über die Notausgänge auf die Tragflächen ausgestiegen sind und dann mit zwei Koffern in der Hand auf der Tragfläche standen.
Es ist doch neulich schon mal ein Flugzeug bei der Landung in Brand geraten (war das nicht in Moskau?), wo es viele Tote gab, weil die Maschine von hinten her brannte, man also hinten nicht mehr rauskam, die vorne sitzenden Passagiere der ersten Klasse aber darauf bestanden, ihr Edel-Gepäck auszuladen, und deshalb die Evakuierung viel zu langsam verlief.
Und dann kommen noch Rudelmechanik und Massenpanik dazu. Nach vorne kommt man nicht raus und von hinten wird man zu Tode getrampelt.
Und genau so eine Situation wie die in Tokyo ist es, vor der ich hier große Angst habe. Nicht vor der Situation an sich, sondern vor den Menschen.
Es gab ja schon Stimmen, die sagten, dass das Flugzeug – obwohl völlig ab- und ausgebrannt – sehr gute Sicherheitseigenschaften gezeigt habe, weil es, obwohl aus Carbon, den Brand zwar nicht verhindert (Kerosin ist schwer entzündlich, aber wenn es erst einmal brennt, dann geht’s los), aber so lange verzögert, dass man das Flugzeug evakuieren konnte.
Und es gibt bereits Kommentare, dass hier sowohl die Cockpit-, als auch die Cabin Crew vorbildlich und perfekt agiert hätten, nämlich das längst brennende Flugzeug noch kontrolliert zum Stand gebracht und in höchster Geschwindigkeit evakuiert haben. Es gab keine Toten. Es bleibe deshalb dabei, dass noch kein Mensch in einem Airbus A350 zu Tode gekommen sei. Das Ding sei auf die 90-Sekunden-Regel gebaut, wonach auch mit nur der Hälfte der Notausgänge das Flugzeug innerhalb von 90 Sekunden zu evakuieren sein muss. Normalerweise allerdings machen sie solche Tests in sicheren Hallen mit körperlich fitten Studenten, die nur dafür an Bord kommen und genau wissen, was sie tun sollen, nicht unter Stress stehen, kein Feuer, kein Rauch, keine Panik, keine Koffer, keine Kinder.
Hier hat das mit „Normalpassagieren“ und unmittelbarer Bedrohung funktioniert, weil schon während des Abbremsens auf der Piste Rauch und Feuer in die Kabine drangen.
Es wurde aber auch gesagt, dass das nur deshalb funktioniert habe, weil die Passagiere dort so hochdiszipliniert sind. Japaner eben.
Keine Panik, kein Vordrängeln, kein Blockieren, hocheffiziente Evakuierung.
Wie hoch ist es allerdings bei uns noch mit der Disziplin?
Wenn dann gleich die Schlägereien anfangen, weil der eine natürlich seiner Freundin Vorrang verschaffen will? Oder deren Handy noch in Sicherheit bringen, das ihr runtergefallen ist?
Oder jemand beleidigt ist, weil mit dem falschen Geschlecht oder Pronomen angesprochen?
Oder die typischen Leute, die schon aus Prinzip blockieren und alles aufhalten, weil sie von anderen keine Anweisungen entgegennehmen?
Die Belehrer und Besserwisser? „Nicht in diesem Ton mit mir!“ „Du hast mich zu respektieren!“
Die Insistierer: „Das ist meine Tasche“ – „Sie sind auf die Brille meiner Frau getreten, was fällt Ihnen ein!“ – „Ich brauche meine Earpods!“
Und was ist mit den Analphabeten? Leute, die Sicherheitsanweisungen und Schilder schon nicht mehr lesen können?
Wenn ich mir dieselbe Situation hier in Europa oder den USA vorstelle, gar in Berlin, kommt mir das kalte Grausen. Käme da überhaupt noch die Feuerwehr in weniger als zwei Stunden?
Könnt Ihr Euch noch an die Befreiung der Landshut durch die GSG-9 in Mogadisch erinnern?
Die saßen ja tagelang, unter katatrophalen Bedingungen in dieser Maschine, die Toiletten schon nicht mehr brauchbar, mit Leichen, in der Hitze. GSG-9-Leute, die damals teilgenommen hatten, berichteten, dass ihnen schon beim Anschleichen an das Flugzeug ein unerträglicher Gestank aus dem Flugzeug entgegengeschlagen war. In diesem Flugzeug zu sitzen war ja der blanke Horror, dir wurden ja ständig bedroht, mit brennbaren Flüssigkeiten übergossen, vor ihren Augen einer erschossen und so weiter. Und als man die Geiselnehmer erschossen (die eine festgenommen) hatte und die Geiseln dort endlich aus dem Flugzeug konnten, endlich Freiheit und frische Luft, ist ein Mann tatsächlich von draußen sofort wieder in das Flugzeug geeilt, weil in der ganzen Panik und dem Tohuwabohu sein Toupet an einem Sitz hängen geblieben ist, und er keinesfalls ohne Toupet fotografiert werden wollte. Das ist eine Stressreaktion, aber genau das sind die Probleme, die dann auftreten.
Bei der Notwasserung in New York ist das Flugzeug zu früh eingesunken. Man hat zwar, wie man das soll, nur die vorderen Notausgänge geöffnet, weil die hinteren bei einer Wasserung nicht über der Wasseroberfläche liegen, und deshalb durch das Öffnen der Türen Wasser eindringt. Es wurde aber berichtet, dass eine Passagierin in Panik nicht davon abzuhalten war, doch eine Tür zu öffnen, und deshalb Wasser reingelaufen und das Flugzeug vorzeitig gesunken ist.
Die Cabin Crews leisten da normalerweise sehr gute Arbeit.
Man muss aber auch sehen, dass die das vorher und regelmäßig trainieren. Die haben Übungshallen für Brände und Wasserungen, in denen das simuliert wird. Und so etwas nur ein paar Mal geübt zu haben, bringt schon unglaublich viel.
Ich habe vor vielen Jahren mal den Brandschutz mit übernommen, weil ich sowieso eine monatliche 90-minütige Sicherheitsbelehrung und -sensibilisierung für die Neuen gemacht und dabei gleich noch was zum Brandschutz erzählt habe, um keinen zweiten Termin ansetzen zu müssen. Deshalb hatte ich auch eine Brandschutzübung angekündigt, aber ohne den Termin zu nennen, und die unangekündigt an einem Freitag um 11:00 Uhr durchgeführt. Lief alles wunderbar, Lob vom Brandschutzbeauftragten.
Allerdings wohl hatte die Probealarmauslösung durch die Hausverwaltung, die ich bestellt hatte, irgendeine Nebenwirkung (und ich habe den Verdacht, dass die dabei die Rauchmelder erst eingeschaltet haben, danach kamen sie nämlich auch zum Testen). Am darauffolgenden Dienstag nämlich, gegen 20:00, ich war schon zuhause, gab es einen Fehlalarm. Ein defekter Rauchmelder hatte ausgelöst, wie sich später herausstellte. Es riefen aber Kollegen dann bei mir zuhause an, die sich auch erst einmal meine Telefonnummer beschafft hatte, die sagten, dass es einen Feueralarm gebe, was sie machen sollten. Ich habe am Telefon die Sirene im Hintergrund schrillen gehört. 5 Anrufe an diesem Abend. Ich so: „Feueralarm, mach, dass Du raus kommst!“
Eben noch geübt und belehrt. Und dann gibt es einen nicht angekündigten Fehlalarm außerhalb der normalen Bürozeiten, den sie nicht einordnen konnten, weil der Übungsalarm schon gelaufen war – und sie stehen da und rufen an, um zu fragen, was sie machen sollten.
Der Brüller: Einen habe ich dann kurz gar nicht verstanden. Ich: „Du warst gerade ganz weg, ich habe Dich nicht gehört!“ Er: „Ja, ich war gerade im Aufzug“. Vorher ausführlich belehrt: Im Brandfall nicht in den Aufzug!
Am nächsten Tag beschwerte sich einer bei mir, ob man den Feueralarm nicht leiser stellen könne – bei dem Krach könne man ja nicht arbeiten.
Die zeitgeistigen Universalignoranten
Am schlimmsten finde ich, das wir die Unfähigkeit, auf eine Alarmsituation noch zu reagieren, geradezu züchten.
Gerade nach der Corona-Epidemie haben wir das noch vertieft, aber es ist eine generelle Haltung in unserer Gesellschaft, „cool“ zu bleiben und Gefahren schlicht zu ignorieren oder sogar den, der darauf reagiert, sozial auszuschließen, ihm Panik oder Unerfahrenheit oder Aktionismus vorzuwerfen. Und ich merke das auch ganz übel, mit welcher Intensität auch heute noch Impfgegner auf jeden einhauen, der sich hat impfen lassen.
In asiatischen Hochhäusern gibt es Hinweisschilder (selbst schon gesehen), die belehren, dass man im Brandfall zuerst raus rennen und erst danach twittern soll. Hatte ich auch als Thema in meinen Sicherheitsbelehrungen: Uns geht es zu gut. Wir kennen Gefahr nur noch aus dem Fernsehen und von Youtube. Das Thema hatte ich ja auch im Blog, am prominentesten zur „schönen Tugce“, die ja zur Gefahr hin-, statt weggelaufen ist.
Die Elterngeneration über mir hatte den zweiten Weltkrieg noch miterlebt.
Migranten, Flüchtlinge aus Kriegs- oder Erdbebengebieten wissen das noch, die bringen sich in Sicherheit, wenn es knallt oder wackelt.
Wir dagegen kennen die Gefahr nicht mehr, und halten es für normal, vom Weltuntergang zu faseln und uns im laufenden Verkehr auf die Straße zu kleben.
Wir züchten gerade diese „Coolen“, die gar keine Gefahr mehr ernst nehmen und sich für unbesiegbar und überlegen halten, auf diese „habe ich doch gleich gesagt“-Situation spekulieren, und sich für überlegen halten, obwohl sie eigentlich nur dumm und ignorant sind, und jede Warnung für eine Verschwörung halten, und wir züchten auf der anderen Seite die mit der völlig verschobenen Wahrnehmung: „Raus hier, das Flugzeug/Haus brennt!“ – Antwort: „Wir werden alle sterben, das Klima erwärmt sich, wir müssen hier gegen die Klimakiller demonstrieren!“ Ich stelle mir das ganz schlimm vor, so einen Ignoranten im brennenden Flugzeug vor mir zu haben.
Als ich Kind war, hatten wir noch kalten Krieg und jeden Monat einen Sirenenalarm, und die Lehrerin sagte uns, was man dann machen soll. Was erstaunlicherweise gar nicht so klar war, und letztlich auf „Radio einschalten und hören“ hinausläuft. Beim heutigen Zustand unseres Rundfunks bringt das aber auch nichts, wie die Hochwasserkatastrophe von neulich zeigte. Aber immerhin gab es so etwas noch in der Realität und nicht nur im Fernsehen.
Eigentlich müsste man mindestens 4 bis 6 Mal im Jahr an irgendeiner Katastrophenübung teilnehmen, bei der irgendetwas geübt wird, worauf man vorher nicht vorbereitet wird, ob es mal um Hochwasser, mal um Feuer, mal um brennendes Haus oder Flugzeug geht, um zu trainieren, mit dem Überraschenden umgehen zu können. Und eigentlich müsste auch jeder irgendeinen Katastrophendienst erlernen, Feuerwehrhelfer, Krankenhaushelfer, weiß der Kuckuck, was, um sich mal aus der TikTok-Welt herauszuholen und einfach damit auseinanderzusetzen, dass es Notsituationen, Blaulichtsituationen gibt.
Vielleicht hätten wir dann auch weniger Gaffer.
Fazit
Wenn ich in Deutschland in die Innenstadt einkaufen gehe und den Leuten beim Einkaufen, in der Kassenschlange, oder im Straßenverkehr, wenn irgendwas mit Blaulicht kommt, zusehe, kann ich mir nicht vorstellen, dass so eine Evakuierung hier in Deutschland funktionieren könnte.
Der einzige Effekt wäre, dass man hinterher bei Überlebenden und Toten die Hautfarben und Geschlechter zählt und dann dem Flugzeughersteller Sexismus und Rassismus vorwirft, weil die Notrutsche frauendiskriminierend, weil von Männern für Männer gemacht wäre, irgendein Queer nicht wusste, ob er nun links oder rechts aus dem Flugzeug muss und irgendeine Dicke nicht durch kam.
Last, but not least
Es ist eine beeindruckende Ingenieurleistung, so ein Flugzeug so zu bauen, dass alle Passagiere raus kamen.