Ansichten eines Informatikers

Eine Frage zum Wohnungsbau

Hadmut
18.3.2024 21:27

Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.

Da hat sie erstaunlich sehr recht. Äh – fast.

Eine Leserin:

Hallo Herr Danisch,

wenn man für unsere 40 Millionen Wohnungen mal 100 Jahre Standzeit annimmt, dann müssten jährlich 400.000 Wohnungen ersetzt werden, ohne dass eine einzige neue Wohnung zusätzlich dazukäme.

Das ist ein verdammt guter Punkt.

Im Durchschnitt müssten wir 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen, allein um Zahl und Bestand zu erhalten. Da wir im Moment nicht mal mehr 200.000 Wohnungen im Jahr hinbekommen, würde das bedeuten, dass die Zahl der Wohnungen effektiv sinkt, während wir unbegrenzt Leute ins Land holen.

Die Sache hat einen Haken. Oder sogar zwei. Oder drei.

  1. Wir hatten einen Weltkrieg, der uns bis 1945 in vielen Bereichen in Schutt und Asche gelegt hat. Viel Bausubstanz ist deshalb aus den 1950er, 1960er, 1970er Jahren. Zu erkennen an den trostlosen grauen Blocks der 50er und den Betonwüsten der 70er. Die sind renovierungsbedürftig, aber noch nicht unbedingt ersetzungsbedürftig.
  2. Die Standzeit von 100 Jahren ist – naja, ich weiß nicht. Manche kürzer, manche länger, aber vielleicht durch unsere Umweltschutzauflagen vielleicht eigentlich noch brauchbar, aber nicht mehr renovierungsfähig, weil der Aufwand zur Modernisierung den Restwert übersteigt.

    Es ist aber richtig, das als eine Art Obergrenze anzusehen, denn wenn man sich umschaut, gibt es relativ wenige Wohngebäude aus Zeiten vor den 1920ern. Was allerdings nicht unbedingt heißt, dass man das vorher nicht dauerhaft konnte, sondern dass man in den 1920ern erstmals so modern war, mit LKW und Maschinen statt Pferden, dass man massenhaft, ordentlich und in die Höhe bauen konnte. Deshalb stammt viel Bausubstanz aus den 1920ern.

  3. Gerade viele Häuser aus den 1920er Jahren, die jetzt 100 Jahre alt sind, wurden damals in ziemlich guter Qualität gebaut. Ich kann mich noch erinnern, dass in Dresden irgendwo alte Herrenhäuser aus den 1920ern stehen, die sehr teuer und sehr begehrt sind. Auch in Berlin sind alte Häuser mit den sehr hohen Wohnungen, die man damals hatte, sehr viel wert. Da dürften die Leute, die sie sich leisten können, auch relativ viel Erhaltungsaufwand reinstecken, weil man solche Wohnungen heute wohl nicht mehr genehmigt bekäme.

    Umgekehrt aber sind viele Plattenbauten und die 70er-Betonburgen hoffnungslos marode, obwohl noch keine 100 Jahre alt.

Will sagen: Es ist sehr schwer, abzuschätzen, wieviele Wohnungen wir allein zum Erhalt des Bestandes neu bauen müssen. Vor allem ist das wohl kein gleichmäßig verteilter Vorgang, sondern hängt vom Alterungsverhalten der jeweils in ihrer Bauzeit verwendeten Technik ab. Die Pyramiden in Ägypten sind von der Substanz her nicht schlecht. Weltkriegsbunker auch nicht. Der 70er Jahre-Mist aber schon.

Neulich hat mir jemand geschrieben, warum sich Beton so seltsam verhält, dass man einerseits Betonbauten hat, die nach 100 Jahren noch sehr stabil sind, und andererseits jede Menge jüngeren Betonmüll. Das liegt daran, dass man früher reinen Beton verwendet hat, der auch gut zu recyclen ist, man dann aber immer mehr Additive reingegeben hat, die den Beton leichter zu verarbeiten machen, schöner glattzustreichen und sowas alles, und diese Additive seien wohl verheerend für die Langzeitstabilität, und würden diesen Beton zu Sondermüll machen, den man nicht wieder recyclen kann. Es ist deshalb sehr schwer vorherzusagen, was wie lange hält.

Denkt mal an Asbest: Lange galt das als guter und langlebiger Baustoff. Ist er ja im Prinzip auch. Eigentlich ein sehr gutes Material. Aber man fand heraus, dass die Fasern in die Lunge gehen und sie kaputt machen. Und mit einem Schlag galt alles, was Asbest enthielt, als unbewohnbar und sanierungs- oder abrissbedürftig.

Das ist sehr schwer vorherzusagen, wie lange Bausubstanz hält, und gerade die Betonbauweise und die heutigen hohen Umweltanforderungen dürfte dazu führen, dass viele Bauten deutlich weniger als 100 Jahre halten.

Im Prinzip ist das Argument wohl sehr gut, und noch unterschätzt, weil eben viel Gebäude wohl gar nicht erst 100 Jahre alt werden (wir also mehr Wohnungen pro Jahr bauen müssten), aber unsere meiste Bausubstanz aus der Zeit ab den 1950er Jahren stammt.

Das heißt dann wohl, dass der Effekt derzeit noch nicht so zum Tragen kommt, es dann aber in den 2030er, 2040er, 2050er Jahren bedeuten könnte, dass man weit mehr als 400.000 neue Wohnungen pro Jahr braucht, weil dann viel Bausubstanz am Ende ist.

Dazu kommt, dass dann die Boomer weg sind und eine Mischung aus der Heulsusen-Generation Z und Migranten hier lebt. Die werden keine Häuser bauen können.

Mit Glück hat man bis dahin genug Roboter, die Häuser maschinell bauen.

Oder vielleicht noch eine Seuche, die genug Bevölkerung dahinrafft, dass die verbleibenden Wohnungen reichen.

Es ist aber gut möglich, sogar sehr wahrscheinlich, dass das Problem in 20, 30 Jahren so richtig hochploppt, und das alles dann einfach so zusammenfällt, weil die Lebensdauer der Gebäude überschritten ist. Vielleicht wohnen wir bis dahin sowieso alle in Zelten.

Das wird sicher lustig.