Was „sich ehrlich machen“ eigentlich bedeutet
Mehrere Leser schrieben mir, woher sie die Phrase „sich ehrlich machen“ kennen – ehrenwert ist es nicht, das zu gebrauchen.
Mehrere Leser schrieben, dass „sich ehrlich machen“ eigentlich bedeute, offenstehende Schulden zu bezahlen. Es geht nicht darum, die Wahrheit zu sagen, sondern eher in die Richtung „ehrbar“, wie in „ehrbarer Kaufmann“.
Einer davon schreibt
Das ist hier in Westfalen gebräuchlich. Zumindest war es das bei älteren Leuten.
Das bedeutet „Seine Schulden bezahlen“.
Den Deckel in der Kneipe oder den Schuldschein beim Kaufmann, den Handwerker, die gelieferten Schweine. Schulden ohne Vertrag. Schulden per Handschlag. Wenn die bezahlt wurden, hat man sich ehrlich gemacht. Die Ehre wieder hergestellt.Die Politiker benutzen das natürlich in der Art von „jetzt mal ehrlich“. „Bis jetzt habe ich gelogen, aber ab jetzt rede ich nur die reinste Wahrheit“
Das meint „sich ehrlich machen“ aber nicht.
Ein anderer
Ich kenne das
„Sich ehrlich machen“noch als seine Schulden bezahlen.
So wird dies auch häufig von meinen Kunden genutzt, welche genau dies sagen.
Jeglicher anderer Gebrauch ist mir fremd und enspricht, meiner bescheidenen Meinung nach, auch nicht der dem Sinn der herkömmlichen Redewendung.
Eine Leserin
ehrlich machen – lohnenswert
Hallo,
dieses “sich ehrlich machen” kam mir meiner Erinnerung nach zuerst in der Gastronomie in den 2010er Jahren unter, als Begehren von Gästen, “sich ehrlich zu machen”, d.h. ausstehende (auch angeschriebene) Rechnungen zahlen zu wollen.
Gut möglich, daß das über das Fernsehen nun weiter in Umlauf kam.Was mich vor 5 oder 7 Jahren mal gehörig nervte, war eine Inflation des kaum je für irgendwas passenden Wortes “lohnenswert”. Es gehört mE genauso wie das “ehrlich machen” zum Zechprellerjargon, denn etwas ist entweder lohnend, lohnt sich oder wird belohnt, aber lohnenswert kann nur etwas sein, daß belohnt gehört, wo man aber von vornherein weiß, daß man es nicht belohnen kann (mangels Mitteln oder Zahlungswillen).
So gibt es halt immer wieder mal Wörter- und Redensarten-Moden.
Nachdem diese und andere Leser diese Redewendung überhaupt nicht im Sinne von „ehrlich sein, Wahrheit sagen“ kennen, sondern übereinstimmend als „seine Schulden begleichen“, kann man den Gebrauch dieser Redewendung in Politik und Talkshows wohl getrost unter der Kategorie dummes leeres Geschwätz verbuchen. Irgendwie ist das in das allgemeine Geschwätz eingesickert, und die plappern das alle nach.
Bei vielen krummen Redewendungen wie „das macht Sinn“, „ich bin fein damit“, oder „in 2018 war ich in Rom“ lässt sich das Geschwätz noch auf Anglizismen, auf pseudomodernes Denglisch zurückführen, aber hier nicht.
Wenn wir gerade dabei sind: Niemand scheint mehr zu wissen, dass der Infinitiv im Deutschen mit „zu“ steht. Hört man aber kaum noch, „zu“ gibt es fast nicht mehr. Bei uns hieß es noch „Wer brauchen nicht mit zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen“. Kommt heute aber fast nicht mehr vor, wir haben eine massive Degeneration der Sprache in Grammatik, Wortschatz und Semantik. Und es ist keine Verbesserung oder Effizienzsteigerung. Der Zerfall der Sprache geht analog zu entsprechender Verblödung einher.
Ich hatte neulich mal erwähnt, dass mir am Englischen gefällt, dass sie manchmal sehr direkt und schnörkellos kompakte Aussagen treffen können. „Walk the dog“ ist ein schönes Beispiel. Eigentlich fehlt die Hälfte, aber es genügt. Und manchmal grüble ich, ob wir nicht zuviel Redundanz schwätzen, nämlich wenn ich Texte auf dem Handy oder dem Tablet eingebe, und in der Tastaturanzeige immer die wahrscheinlichsten vier oder fünf Worte angezeigt werden, die zu den bisher eingegebenen Buchstaben passen. Und wenn da schon nach dem ersten oder gleich ohne eingegebenen Buchstaben schon das nächste Wort auftaucht, was ich schreiben will, frage ich mich manchmal, wozu ich es überhaupt noch schreibe, wenn das Handy es doch raten kann. Es zeigt für mich, dass ich mich gerade einer zu einfachen, simplen, vorhersehbaren, platten Sprache bediene. Es geht auch anders, man kann auch aus dem Vollen schöpfen.
Viele Leser schrieben mir danach, und da haben sie recht, dass es im Englischen viel zu wenige Ausdrucksmöglichkeiten gebe, dass man da auf zu wenige Ausdrucksmöglichkeiten festgelegt sei. Das ist die Kehrseite der kurzen Wege. Nicht wenige Migranten sagen ja, manchmal kritisch, manchmal erfreut, dass Deutsch zu lernen sehr lange dauere, weil Deutsch eine „große“ Sprache sei mit einer unüberschaubaren Fülle an Ausdrucksmöglichkeiten.
Ich fürchte aber, dass wir gerade in einem schleichenden – und womöglich absichtlich betriebenen – Prozess der Verblödung durch Simplifizierung des Deutschen sind, dass man ganz absichtlich die Komplexität des Deutschen absenkt, und auch der Gender-Quatsch, der augenscheinlich eine Verkomplizierung ist, in Wirklichkeit eine Zertrümmerung von Regeln der Grammatik ist, weil die Praxis, ein beliebiges Pronomen des Gegenübers zu verwenden und ständig des Gendergehopse zu ändern ja vor allem ein Angriff auf Regeln und Grammatik ist.
Mir fällt schon lange auf, dass wir eine drastische Reduktion des Wortschatzes und eine Aufweichung der Bedeutungen erleben. Beispielsweise sind Journalisten und Politiker nicht mehr in der Lage, Hass von Verachtung zu unterscheiden. „Hass“ wird ein immer größeres, immer weiter reichendes, völlig struktur- und differenzierungsloses Kategoriewort, wie George Orwell das in 1984 schon beschrieben hatte: Man nimmt den Leuten die Ausdrucksfähigkeit, indem man die Sprache demoliert.
Es gab mal vor einiger Zeit eine Diskussion, dass etwa Eskimos Dutzende Begriffe für Schnee haben, während manche afrikanische Sprachen so simpel sind, dass es keine Ausdrucksmöglichkeiten gibt zu unterscheiden, ob jemand einen Baum nur halb oder ganz hoch geklettert ist. Es gibt nur ein „oben“ und sonst nichts.
Und so haben wir gerade eine Art „Legoifizierung“ der Sprache, die auf einfache Kategorien heruntergebrochen und der Grammatik enthoben wird, in der Algebra würde man auch sagen „orthogonalisiert“, man einfache Aussagen zusammensteckt wie Legobausteine. Auch damit wird ein charakteristisches Merkmal der Deutschen zerstört: Die einzigartige Tiefe und Komplexität der Sprache. Nebensätze sind Nazi. Viele Substantive braucht man nicht mehr, weil sie durch Partizipien ersetzt werden: Gehende stand Fußgänger, Gebärende statt Frauen. Futur ist abgeschafft, denn er wird nicht morgen einkaufen gehen, sondern er geht morgen einkaufen. Geh ich Aldi. Für die Vergangenheitsform reicht Perfekt. Konjunktiv gibt es auch nicht mehr, Genitiv ist rassischtisch. Und so weiter.
Wir sollten uns „ehrlich machen“ und zugeben, dass die meisten Leute inzwischen zu blöd sind, noch deutsch zu sprechen. Vor allem Politiker und Journalisten.
Es gab mal eine Zeit, in der galten Journalisten und Germanisten als Sprachexperten. Heute sind sie nur noch Sprachkrüppel. Vielleicht kann die KI daraus noch etwas machen, wenn wir sie auf die gesamte alte Literatur trainieren. So, wie man aus Leuten, die nicht singen können, Sänger macht, indem man sie durch ein Melodyne dreht, das ihnen die Töne geradezieht, könnte es bald (oder gibt es wohl schon) KI-Systeme geben, die aus Honks Schreiberlinge machen, indem sie dieses Unterschichten-Deutsch in richtiges Deutsch übersetzen.