Hochstapler in Anwaltskanzlei aufgeflogen
Ach.
Da heißt es doch immer so gern, nur Volljuristen mit Staatsexamen könnten Gesetze verstehen, auslegen, sich dazu äußern.
Die Legal Times Online berichtet, dass ein Schwindler vier Jahre lang auf Stellen für Top-Juristen gearbeitet und bis zu 123.000 Euro im Jahr bekommen hat.
Den Weg hatten ihm zwei Spitzenexamen geebnet, 12,48 Punkte in der ersten und 11,64 Punkte in der zweiten Prüfung. Auf dem Papier gleich zweimal Prädikatsergebnisse, nur wenige Prozent der Nachwuchsjuristen eines Jahrgangs – gerade in Bayern – erreichen solche Werte. Nur waren die Examenszeugnisse von G. mit Microsoft-Word zusammengebastelt. Inklusive Tippfehler und einem verhängnisvollen Datum.
Denn G. war nach dem sechsten Semester Jurastudium an der LMU München exmatrikuliert worden. Klausuren hat er, wenn er sich überhaupt zu einer Anmeldung durchringen konnte, nicht bestanden. Es ist die Geschichte eines Mannes, der Anerkennung suchte, ein irgendwie glückliches Leben führen wollte und sich Stück für Stück in seine Lügenkonstruktion verstrickte.
Wenn man sich vor Augen führt, wie G. bei verschiedenen Arbeitgebern als Anwalt arbeiten konnte, dann wirft sein Fall auch strukturelle Fragen auf. Etwa danach, wie sich ein Rechtssystem, das so viel objektive Aussagekraft mit den Examensnoten verbindet, selbst vor Täuschung schützt?
Das haben mir schon viele Juristen gesagt, auch damals die Kollegen, als ich in einer Rechtsabteilung gesessen habe, sogar schon Richter während Gerichtsverhandlungen, dass bei den Juristen die Examensnote das ein und alles ist und darüber entscheidet, ob man den Top-Job bekommt und die ganz großen Verträge macht, oder den Rest seines Lebens als kleiner Dorfanwalt mit Gartenzaunstreitereien fristen muss.
Der war auch schon mal verdonnert worden, das Bayerische Oberste Landesgericht hatte das aber nun aufgehoben und zur Neuverhandlung an eine andere Kammer verwiesen:
Das BayObLG beanstandete das Urteil des LG gleich in mehreren Punkten. So fehlte es den Richtern in den Urteilsgründen an Ausführungen zu den hergestellten Zeugnissen für den Betrug. “Die hierzu getroffenen Feststellungen lassen schon nicht erkennen, ob der Angeklagte unechte Urkunden herstellte”, heißt es in dem Urteil. Die BayObLG-Richter hielten es nicht für selbstverständlich, dass aufgrund der Tippfehler, einer fehlerhaften Notenskala sowie falsch geschriebener Namen die “Examenszeugnisse” überhaupt geeignet waren, eine überzeugende Wirkung auszulösen. Auch ob es sich wirklich um 22 einzelne Betrugshandlungen handelte, sei nicht so vom LG unterlegt worden, als dass der Senat auf Rechtsfehler prüfen könne.
Die Fälschungen seien so schlecht gewesen, dass fraglich sei, ob es Fälschungen waren, weil unklar ist, ob sie überhaupt geeignet waren, jemanden zu überzeugen. (Warum hat man ihn dann eingestellt?)
Nun streiten sie sich noch, wie hoch eigentlich der Schaden ist.
Die einen meinen, dass er als Betrüger den Job nie bekommen hätte, setzen also das gesamte Gehalt als Schadenssumme an.
Die anderen meinen, dass man vom erlangten Gehalt aber den eigenen Aufwand abziehen müsste, also die vom Täter geleistete Arbeit. Weil der Betrüger aber auch nicht schlechter war als die normalen Top-Juristen, entspreche seine Leistung folglich dem Gehalt, die Betrugssumme als Differenz damit Null, läge ein Betrug also folglich gar nicht vor.
Wenn ich das so betrachte, hätte ich auch Top-Jurist werden sollen. Zumindest Top-Juristen verdienen mehr als Informatiker. (Ich hatte allerdings schon geschrieben, dass ich deren Arbeitsalltag entsetzlich finde, das wäre nichts für mich. Damals in der Rechtsabteilung den Juristen beim Arbeiten zuzuschauen war wirklich gruselig.)
Aber gefälschte Zeugnisse mit Word zu drucken hätte ich noch hinbekommen, sogar mit den erforderlichen Schreibfehlern, damit es nicht als Täuschungshandlung gilt, und juristisch daherschwafeln kann ich auch. Zumindest mit einem, der nach dem sechsten Semester exmatrikuliert wurde, weil er die Prüfungen nicht bestanden hatte, nehme ich das juristisch noch auf. Mich haben ja schon manche mal für einen Juristen gehalten, auch Juristen.
Aber sagen wir es mal so: Warum sollte man mit einem gescheiterten Jura-Studium überhaupt noch Anwalt werden wollen, wenn man auch Parteichef werden kann und da viel mehr Geld und viel mehr zu essen bekommt?
Der Brüller ist ja, dass der auch nicht wegen mangelnder Rechtskunde aufgeflogen ist, sondern weil er sein Examensdatum einfach auf irgendeinen Montag gelegt und der Word-Kalender nicht angezeigt hatte, dass er ausgerechnet den Pfingstmontag erwischt hatte, und Juristen an Feiertagen nicht prüfen.