Von der Energieerhaltung beim Zusammenprall
Ich hätte nicht gedacht, dass das Crash-Thema so viele Fragen aufwirft.
Heute: Die Theorie des Doppelwumms.
Ein Leser:
Hallo Herr Danisch.
Ich habe selbst noch einmal bezüglich des Beispiels zweier Flugzeuge identischer Masse und Geschwindigkeit, die aufeinander prallen, überlegt.
– Beide Flugzeuge haben die kinetische Energie E_kin = 0,5*m*v².
– Die Summe der kinetischen Energien dieses Systems aus beiden Flugzeugen hat insgesamt 2*0,5*m*v² = m*v².
– Diese Energiesumme des Systems ist auch im Moment des Zusammenprallens konstant.
– Würde man mit einer Summengeschwindgkeit von 2*v für die kinetische Energie rechnen, dann käme aber beim Zusammenprall die vierfache kinetische Energie anstatt der zweifachen heraus.
– Dies würde die Energieerhaltung verletzen.Ich würde hier einfach mit Energieerhaltung arbeiten. Stimmen Sie der Rechnung bzw. Begründung (Verletzung der Energieerhaltung) zu?
Schöne Grüße
Ich danke für die Grüße, aber nein, ich stimme nicht zu.
(Ich werde im Folgenden das Unicode-Zeichen ½ für 1/2 oder 0,5 verwenden, um die Sache lesbarer zu machen. Wer also „½“ in seinem Browser nicht sehen kann, sieht jetzt falsche Formeln.)
Warum uns der Energierhaltungssatz hier nichts nutzt
Sorry, aber mit dem Energieerhaltungssatz gewinnen wir hier keinen Blumentopf. Und zwar aus folgenden zwei Grünen.
Zwei Experimente
Der Energieerhaltungssatz gilt natürlich innerhalb eines Systems, und nicht für übergreifend für zwei verschiedene Experimente mit der Erwartung, dass zwei unterschiedliche Experimente dasselbe Ergebnis liefern müssten. Ich erkläre es mal so:
Geastoan hoat mia dea Alois a Watsch’n geabn. Deshoalb hoab I eam hoat oane z’rück geabn.
Nun ist der Alois aber viel größer und stärker als ich, kann fester und schneller schlagen, hat größere und schwerere Hände als ich. Deshalb steckt in dessen Watsch’n mehr Energie als in meiner. Trotzdem bringt die Frage nach der Energieerhaltung und wo die Energiedifferenz hin ist, nichts, weil es einfach zwei getrennte Experimente mit verschiedenem Energieniveau sind, von denen ich deshalb nicht erwarten kann, dass sie zum selben Ergebnis führen.
Der subtile Unterschied zwischen Impuls und Energie
Impuls ist hier das Mittel, um den Verlauf zu berechnen. Denn erstens bezieht sich Impuls immer auf Bewegung von Masse, und kann nichts anderes sein als Bewegung. Und zweitens ist Impuls eine Vektorgröße, berücksichtigt also die Richtung. Deshalb kann ich sagen, dass wenn zwei Flugzeuge mit gleicher Masse und exakt entgegengesetzter Geschwindigkeit zusammenkrachen, der Gesamtimpuls vorher und nachher gleich Null ist und es den Impuls eigentlich nicht interessiert, ob sie sich überhaupt treffen oder nicht. Deshalb kann ich Aussagen treffen, dass auch nach dem Aufprall der Gesamtimpuls bei Null bleibt (praktisch müsste ich aber berücksichtigen, dass dabei durch den veränderten Luftwiderstand der Trümmer gegenüber einem glatten Flugzeug der Impuls an die umgebende Luft abgegeben wird), und zwar auch dann, wenn ich nicht weiß, ob ein Klumpen oder viele Trümmerteile entstehen, die wie im Pistolenkugelvideo in alle Richtungen davonfliegen, und wie schnell, weil ich weiß, dass die sich – Vektorrechnung – über die verschiedenen Richtungen ausgleichen, und damit gegenseitig neutralisieren können.
Bei der Energie ist beides anders. Erstens ist die Energie eine skalare Größe, die keine Richtung hat (was mir wieder jede Menge Zuschriften von Lesern einbringen wird, die das nicht glauben und sich nicht vorstellen können, weil sie Bewegung und Bewegungsenergie nicht auseinander halten). Die Energie zweier Fragmente können sich nicht aufheben, sondern die addieren sich immer. Wenn als beide Flugobjekte zu einem Klumpen zusammendonnern und sich dann nicht mehr bewegen, kann ich sagen, dass es keine kinetische Energie mehr gibt, aber so läuft es eben nicht. Es fliegen immer irgendwelche Trümmerteile in andere Richtungen weg, und die haben damit noch Bewegungsenergie. Und weil die skalar und nicht vektorartig ist, können die sich nicht gegenseitig aufheben. Also wird die Bewegungsenergie, die kinetische Energie der beiden Flugzeuge, die ich vor dem Aufprall ziemlich genau berechnen kann, nämlich über deren Masse und Geschwindigkeit, also ½mv2, nicht völlig aufgezehrt, sondern ein Teil dieser Energie, den ich leider weder vorhersagen noch praktisch messen kann, geht in die Fragmente über, die durch die Gegend fliegen. Das heißt, ich kann nicht sagen, welcher Teil der Energie in noch bewegte Teile übergeht.
Etwas abstrakter theoretischer formuliert: Man unterscheidet in der Physik zwei Idealformen des Stoßes: Den elastischen Stoß, bei dem Impuls und Energie zwar ausgetauscht werden, aber die kinetische Energie völlig als solche erhalten bleibt, und die Summe der kinetischen Energie der Teile gleich bleibt, die nach dem Stoß wieder getrennter Wege gehen. Und den unelastischen Stoß, bei dem aus zwei Teilen im Ergebnis eines wird, die Teile also zusammenpappen, und sich dann den Impuls als Summe der beiden Impulse zusammen haben, aber mit mehr Masse und weniger Geschwindigkeit, trotz Impulserhaltung an kinetischer Energie verlieren (die Energieerhaltung gilt trotzdem, und wo die hingeht, sage ich gleich). Bei unelastischen Stoß geht kinetische Energie verloren. Und das Problem ist nun, dass wir das weder vorhersagen, noch brauchbar beobachten und messen können, zu welchen Anteilen der Zusammenstoß zweier Flugzeuge elastisch und unelastisch verläuft. Das entspricht keiner der beiden Idealformen, sondern liegt irgendwo dazwischen, und wir wissen nicht genau, wo.
Der zweite Grund ist, dass Energie umgewandelt werden kann. Es gibt nicht nur kinetische Energie, es gibt auch chemische Energie oder Wärmeenergie, Licht, Strom und so weiter. Der Energieerhaltungssatz gilt zwar natürlich auch im Falle der Flugzeugkollision, aber er gilt nicht pro Energieform, sondern nur für die Summe aus allen. Deshalb gibt es keinen Energieerhaltungssatz bezüglich der kinetischen Energie, und deshalb kann beim unelastischen Stoß auch kinetische Energie verloren gehen, weil sie in andere Energie umgewandelt werden kann. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass sich so ein Flugzeug erwärmt, wenn man es gegen die Wand haut. Schon mal Metallteile gebogen? Die werden auch spürbar warm. Auch bei Zerreißen von festen Stoffen wird Energie in das Material umgesetzt, weil Molekülgitter reißen. Konnte man früher in der Dunkelkammer wunderbar sehen: Wenn man in völliger Dunkelheit den Film von der Patrone auf die Entwicklungsspule gewickelt hat, konnte man, wenn man genau drauf achtete, einen leichten Lichtblitz, ein kurzes Leuchten sehen. Nämlich dann, wenn man den Filmstreifen von der Spule der Filmpatrone abgerissen hat, wo er mit einem Stück Klebestreifen befestigt war. Und das Abreißen des Klebestreifens vom Plastik führt dazu, dass der Klebstoff Licht abgibt, weil er durch das Abreißen interne Risse bekommt. Die Arbeit, die man beim Abreißen aufwendet, also in etwas Wärme und sogar ein kleines bisschen Licht umgewandelt wird. Es ist also damit zu rechnen, dass zwei kollidierende Flugzeuge in irgendwelchen Frequenzbereichen eine Art Lichtblitz abstrahlen, warm werden, chemische Bindungen reißen, sich Material chemisch und physikalisch verändert, Strukturen unter Energieaufwand aufgerissen werden. Und das hat mit Energie zu tun. Kennt Ihr die Wärmekissen mit der Salzlösung, die man aktiviert, indem man innen einen Knackfrosch knacken lässt und die dann kristalisieren? Um die aus ihrer Kristallstruktur wieder herauszuholen, muss man Wärmenergie zuführen. Ach ja, und scheppern wird man es auch hören. Und die Bewegungsenergie der Triebwerksschaufeln blubbert uns auch noch dazwischen.
Es gibt also ganz viele Wege, auf denen bei einem Zusammenstoß die ehemals kinetische Energie „verbraucht“ wird, indem sie umgewandelt wird und andere Wege geht, die sich unserer quantitativen Erfassung entziehen. Die Energieerhaltung gilt zwar auch hier, aber sie nutzt uns nicht viel, weil die Energie in so viele Formen umgewandelt und letztlich alle Energie an die Umgebungsluft abgegeben wird, sofern sie sich nicht in chemischen Veränderungen des Schrotts niederschlägt.
Wir können damit über die zur Verfügung stehende kinetische Energie das Ausmaß der Zerstörung abschätzen, und damit, wenn man so will, den Unterhaltungswert, den Schepperfaktor und den Nachrichtensendungenimpact abschätzen, aber viel mehr auch nicht. Die Energie reicht, das Flugzeug in kleinste Stückchen zu zerreißen, aber zu irgendwelchen quantitativen Aussagen reicht das nicht. Schon gar nichts gewinnen wir mit dem Energieerhaltungssatz.
Zwei Experimente
Um die Frage des Lesers aber trotzdem zu beantworten, weil sie zwar nicht direkt mit der Energieerhaltung zu tun hat, aber mit der doch sehr interessanten Frage, wieviele Energie zum Scheppern zur Verfügung steht, und der Relativität des Beobachters, zwei Fälle.
Frontalzusammenstoß zweier Flugzeuge gleicher Masse und Geschwindigkeit
Bleiben wir mal beim Beispiel mit den 900 km/h, auch wenn mir Haarspalter schrieben, dass es in Wirklichkeit nur etwas über 800 km/h seien, was für das physikalische Erklärung einfach gar nichts zur Sache tut, denn auch wenn zwei Mäuse gegeneinander rennen oder zwei Fliegen kollidieren, oder auch zwei Planeten, passiert im Prinzip dasselbe.
Beide Flugzeuge fliegen also mit gleicher Geschwindigkeit v (aber entgegensetzter Richtung) und gleicher Masse m aufeinander zu. Vorher haben also beide jeweils die Bewegungenergie ½mv2, zusammen also 2·½mv2 = mv2, die zur Zerstörung und zum Scheppern zur Verfügung steht. Aus oben beschriebenen Gründen können wir nicht genau sagen, wieviel davon wieder in Bewergungsnergie durch wegfliegende Teile, in Wärme, Schall, Licht, Chemie usw. umgewandelt wird, aber das ist der Rumms, der zur Verfügung steht.
Ein stehendes Flugzeug gegenüber einem mit doppelter Geschwindkeit
Der Leser wirft nun die Frage auf, was denn passiert, wenn ein Flugzeug still steht, während das andere mit doppelter Geschwindigkeit 1800 km/h, reinscheppert. Aus Sicht der Piloten passiere doch genau dasselbe, denn die Flugzeuge nähern sich subjektiv einander mit 1800 km/h. Damit aber hätte das eine Flugzeug gar keine Bewegungsenergie, während das andere mit doppelter Geschwindkeit, also 2v fliegende, somit ½m(2v)2 = 4·½mv2 = 2mv2 Energie habe, mithin doppelt soviel, obwohl doch aus Sicht der beiden Flugzeuge dasselbe passiere.
Nein. Das ist ein sogenannter Olaf’scher Doppelwumms, der ist auch nur eingebildet und hält der Nachprüfung nicht stand.
Nehmen wir also mal an, dass ein Flugzeug bewegungslos (aber beweglich, nicht festgenagelt, sonst wäre das Modell mit dem Berg anzuwenden) still stehe und das andere eben doppelt so schnell reindonnere, weil
- wir es schaffen ein Flugzeug wie eine Christbaumkugel am Bindfaden in die Luft zu hängen, vielleicht am Seil am Kran, oder wir statt Flugzeugen Hubschrauber oder Senkrechtstarter verwenden, die in der Luft stehen können,
- oder wir das ganze einfach auf Rädern spielen mit ausgefahrenem Fahrwerk auf der Startbahn, mit Autos oder – auch hübsch – Dieselloks auf Bahngleisen,
- für Feiglinge mit Billard-Kugeln,
- oder aber, und das ist jetzt der besonders interessante Fall, das erste Experiment mit zwei Flugzeugen mit jeweils Geschwindigkeit v durchführen, dabei aber mit einem dritten Flugzeug, das nicht an der Kollision teilnimmt, ebenfalls mit Geschwindigkeit v neben dem ersten herfliegen und uns den Crash aus dem Fenster anschauen, und das auf uns nur so wirkt, als würde das eine Flugzeug still stehen und das andere doppelt so schnell fliegen, genau so, wie ich gerade das vorbeirauschende Flugzeug mit 2v gesehen hatte, obwohl es nur v hatte und ich selbst v in die entgegengesetzte Richtung.
Besonders die letzte Frage ist hochinteressant, denn es wirft die Frage auf, ob die freigesetzte Energie von der Geschwindigkeit des Beobachters abhängt, ob also der im dritten Flugzeug mitfliegende Beobachter eine doppelt so große Wirkung sieht wie ein SPD-Mitglied beim Doppelwumms. Wie aber sollte das gehen? Was, wenn wir ein und denselben Zusammenstoß mit zwei Kameras filmen, eine fest auf dem Boden, die zwei Flugzeuge mit jeweils v sieht, und eine im mitfliegenden Flugzeug, die eines stillstehen und das andere mit 2v sieht. Nimmt die zweite Kamera dann größere Zerstörung auf als die erste, obwohl es doch derselbe Vorgang ist?
Nein, natürlich nicht. Man ist einem Denkfehler aufgesessen.
Der Schlüssel zum Verständnis ist, wie schon erwähnt, der Impuls und dessen Erhaltung.
Knallen zwei Flugzeuge mit je v zusammen, bleibt der resultierende Schrotthaufen im Ergebnis quasi in der Luft stehen, hat im wesentlichen keine Bewegungsenergie mehr und setzt, wie oben berechnet, mv2 an Energie frei, denn mehr war ja nicht da.
Was passiert aber, wenn ein Flugzeug still steht und das andere mit 2v reindonnert?
Der resultierende Schrotthaufen der Masse 2m bleibt mitnichten stehen, sondern er bewegt sich mit Geschwindigkeit v in derselben Richtung wie das bewegte Flugzeug und auch mit dessen Impuls, aber jetzt doppelte Masse, halbe Geschwindigkeit. Vorher m·0 + m·2v, jetzt 2m·v. Wenn also ein fahrendes Auto auf ein stehendes knallt, bewegt sich der gemeinsame Schrotthaufen nach in die gleiche Richtung weiter.
Und genau so sieht das auch aus dem mitfliegenden dritten Flugzeug aus: Obwohl eigentlich, gegenüber der Erde, ja beide Flugzeuge v hatten und danach still stehen, sieht es aus, als hätte eines vorher 0 und das andere 2v gehabt, und danach würden sich beide zusammen mit v nach hinten bewegen, denn nach dem Zusammenstoß sehen wir ja die Trümmer nicht stehend vor dem Fenster, sondern wir sehen, wie das – relativ zu uns als Beobachter – nach hinten wegflitzt.
Das heißt, dass wir in diesem Fall über die Impulserhaltung die quantitativ präzise Aussage treffen können, dass sich der resultierende Gesamtschrotthaufen, quasi die Koalition aus den Regierungsfliegern, zusammen mit v in der gleichen Richtung fliegt, wie vorher das eine bewegte Flugzeug. Und diese Energie müssen wir natürlich abziehen, weil diese ja erhalten bleibt, also nicht zur Zerstörung verzehrt werden kann.
Also:
- Vor dem Zusammenstoß ein Flugzeug ohne kinetische Energie und das andere mit 2v und damit der Energie ½m(2v)2 = 2mv2
- danach ein Schrotthaufen mit der Masse 2m und der Geschwindigkeit v, mithin der kinetischen Energie ½(2m)v2 = mv2
und weil ja nur die Differenz daraus an Energie frei wird, müssen wir die Differenz bilden, also 2mv2 – mv2 = mv2.
Es wird also in beiden Fällen die gleiche Schepperenergie freigesetzt, und deshalb sehen auch beide Kameras das gleiche Ausmaß an Schrottwerdung, nur dass es für den Beobachter am Boden bzw. im Experiment mit den zwei bewegten Flugzeugen so aussieht, als würde die Energie von mv2 auf 0 runtergescheppert, während es im Experiment mit dem mitbewegten Beobachter oder mit einem stehenden und einen dopppelt schnellen Flugzeug so aussieht, als würde die Energie von 2mv2 auf mv2 runtergescheppert. Selbes Resultat.
Deshalb funktioniert das mit dem Doppelwumms auch nicht, selbst wenn man SPD-Mitglied ist und sich mit dem Kanzler mitbewegt, am Ende bleibt dasselbe Ausmaß an Schrott. Die Regierung sieht nicht besser aus, wenn man in die SPD eintritt, und die Flugzeuge scheppern nicht anders zusammen, wenn man nebenher mitfliegt. (Blauverschiebungen, wenn der Unglücksflieger sehr schnell auf einen zurast, berücksichtigen wir hier deshalb nicht.)
Letzlich ist das dann mit dem Geld in der Koalition wie mit der Energie beim Crash: Es gilt zwar der Erhaltungssatz und es kann nicht mehr dabei herauskommen, als man vorher reingesteckt hat. Aber hinterher weiß man nicht, wo es hin ist, weil es sich in so viele verschiedene Formen umwandelt und in alle Richtungen davonfliegt, dabei Lärm und heiße Luft entstehen, und man hinterher immer nur die Trümmer zusammenkehren und den Schaden bezahlen darf. Es führt nicht zum Doppelwumms.