Ansichten eines Informatikers

Die postdeutsche Gesellschaft

Hadmut
20.6.2024 23:19

Vom Umgang mit einem toten Pferd.

Die letzten Tage habe ich mit einigen Lesern gesprochen. In vielem sind die Standpunkte deckungsgleich, in manchen Aspekten aber widersprechen sie sich.

Alle sind sich einig, dass das nicht mehr das Deutschland ist, in dem sie aufgewachsen sind, und dass dieses „Neue Deutschland“ keinen Bestand haben kann, weil es schlicht nicht funktionieren kann, dass der Zusammenbruch unweigerlich kommen wird. Und dass man nichts mehr tun kann, als sich ins Ausland zu verziehen.

Ein Leser meinte dazu (und ich sehe das genauso), dass Deutschland damit zwangsläufig enden wird. Die große Stärke der Deutschen werde ihren Untergang besiegeln. Deutsche nämlich bildeten keine Gettos. Deutsche würden sich sehr schnell überall integrieren, schon nach kurzer Zeit die Landessprache sprechen, ihre Kinder fließend die Landessprache und nur noch gebrochen Deutsch sprechen. Während es zum Beispiel Türken gibt, die seit 40 Jahren in Deutschland leben, und keinen einfachen Satz auf Deutsch zustandebringen, oder sogar welche, die hier geboren sind, und trotzdem nur „Einfachdeutsch“ sprechen. In zwei Generationen ist nichts Deutsches mehr übrig. Er fand es schade.

Eine Leserin sah das anders. Also schon so, dass Deutschland untergehe, und man ins Ausland ins Exil muss, aber sie war der Meinung, dass sie das alles so traurig und schade findet, und dass sie nach Wegen sucht, die Kultur im Ausland irgendwie aufrecht zu erhalten. Irgendwer (ich habe vergessen, wer) hätte neulich gesagt, und auch da stimme ich zu, dass die Einzigen auf der Welt, die überhaupt noch deutsche Kulturgüter wie Musik, Literatur, Dichtung – zumindest noch für gewisse Zeit – bewahren werde, China sei. Stimmt. Oktoberfest mit Bier, Brezel und Sepplhosen feiern sie überall auf der Welt, aber jenseits dessen interessiert sich keine Sau für’s Deutschtum. Ich China haben sie ja irgendwo europäische Kulturstätten nachgebaut, ein Heidelberg-Plagiat haben sie da aufgestellt. Wenn wir Glück haben, wird es noch ein paar Stellen von Deutschland für Virtual Reality-Brillen geben. Schloss Neuschwanstein, Brandenburger Tor und Oktoberfest.

Es wird schwer werden, werden, das zu retten.

Die Leserin sagte, was sie am meisten störe, sei, dass man ihr keinen Lebensraum mehr lasse, dass es für sie keinen Platz mehr gebe, wo sie „unter sich“ sein könne, wo sie in Ruhe gelassen werde. Alle hätten so etwas, nur sie als Deutsche nicht. Stimmt. Es gibt türkische Gemeinden, Moscheen, asiatische Märkte und alles. Aber versuch mal, hier eine „Deutsche Gemeinschaft“ zu gründen. Man gestattet ihr keine Identität mehr.

Was ich beiden sagte: Schade und traurig hilft nicht. Wenn das Pferd tot ist, bin ich auch traurig und finde es schade, es ändert aber überhaupt nichts daran, dass das Pferd tot ist und das mit noch so viel gutem Willen nichts mehr wird mit dem Reiten. Man ist dann an dem Punkt, an dem man einsehen muss, dass alle noch investierte Energie vergeudet ist und einen nur von Neuem abhält.

In den letzten Tage ist mir in Berlin (ich war heute auf einer Veranstaltung) wieder aufgefallen:

  • Man trifft fast niemanden mehr in Berlin, der ordentlich Deutsch spricht. Ich habe seit langer Zeit nichts mehr zu essen bei jemandem bestellt, der ganz normal Deutsch spricht. Und in manchen Gaststätten kann ich nur noch auf englisch bestellen, weil die gar kein Deutsch mehr können. Oder gleich elektronisch per Handy und dem QR-Code auf dem Tisch. Deutsche Sprache wird gerade durch ein primitiv-Pseudodeutsch knapp oberhalb von „Kanak“ ersetzt, die Grammatik reduziert sich auf die ungefähre Windrichtung. Sogar bei Deutschen fällt mir das auf, dass die immer schlechter werden. Deutsch wird durch so ein Pidgin-Deutsch ersetzt. Passenderweise gibt es die Tagesschau jetzt in einfacher Sprache. Wie gemacht für Berlin. (Was heißt „Wie“…)
  • Es gibt fast nur noch Döner zu fressen.

    Versteht mich nicht falsch, ich esse sehr gerne Döner. Mein Lieblingsessen ist aber nach wie vor die Abwechslung, jeden Tag etwas anderes. Früher gab es in Deutschland eine reichhaltige und regional sehr unterschiedliche und ausgeprägte Vielfalt an Speisen, und zwar auch an kleinen Zwischenmahlzeiten zum Mitnehmen. Heute kann man hingehen, wohin man will, es gibt fast nur noch Döner. (Habt Ihr schon mal einen Döner von einer Frau heruntergesäbelt bekommen? Döner gibt es nur von Männern.) Und schmeckt überall immer gleich. Im Zeichen der Vielfalt nur noch Einheitsfraß.

  • Immer öfter wirkt man als Deutscher wie ein Fremdkörper. Immer öfter beobachte ich oder widerfährt mir sogar selbst Rassismus gegen Weiße, gegen Deutsche. Das Ding ist inzwischen übernommen, wir haben hier nichts mehr zu suchen.

    Manchmal sind im LIDL auf Zypern mehr Deutsche als im LIDL an der Grenze zu Kreuzberg. Im Bus oder Bahnabteil kann man durchaus der einzige Deutsche sein.

  • Ich beobachte das zunehmend, dass sich Migranten – auch wenn sie sich gar nicht kennen und aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen sind – ad hoch solidarisieren, zusammenrotten und wie selbstverständlich ausgrenzen, rauswerfen, als seien Deutsche Störelemente im eigenen Land, als sei das schon ausgemachte Sache, dass das Land allen gehöre, nur eben nicht den Deutschen.

    Wir werden noch als Steuerzahler, Geld- und Wohnungsgeber und Rassismusbeschimpflinge angesehen, sollen ansonsten aber komplett von der Bildfläche verschwinden.

  • Ich hatte früher gerne Reiseberichte im Blog.

    Und dabei auch beschrieben, dass ich anfangs dachte, dass die Häuser und alles andere aber in den USA, in Asien, in Australien, in Afrika komisch aussehen, bis ich mal dahintergekommen bin, dass nicht die, sondern wir komisch sind, weil unsere Bautechnik abweicht, wir etwas besonderes sind, weil wir Häuser bauen wie niemand sonst.

    Ich hatte aber auch beschrieben, dass so ab etwa 2000 das Reisen zwar viel einfacher geworden ist, weil alles per Handy und Kreditkarte geht, man alles vorher googeln und auf Streetview angucken, online einkaufen kann und so weiter und so fort, während man früher bestenfalls einen Stadtplan oder einen Reiseführer kaufen konnte und vorher Reiseschecks kaufen und mitnehmen musste. Ich habe mich mal 1990 mit einem Kumpel in Singapur getroffen. Da mussten wir uns vorher noch – ohne je dort gewesen zu sein und zu wissen, wie es aussieht, ohne E-Mail, ohne Mobilfunk, ohne alles, vorher Such- und Findestrategien überlegen: Wie trifft man sich mit jemandem in einer fremden Stadt, die man überhaupt nicht kennt, ohne die Örtlichkeiten zu kennen oder miteinander kommunizieren zu können? Die zeitliche Synchronisation lief darüber ab, dass er mir ein Telegram aus Pakistan geschickt hat, dass er wohl in etwa einem Monat in Singapur sein werde, und ich dann einen Flug gebucht habe, um mich überraschen zu lassen, was ich dort vorfinde. Hat geklappt. Heute ruft man einfach auf dem Handy an und hat Google Maps auf demselben. Alles vereinheitlicht.

    Die Kehrseite ist, dass die Städte längst alle gleich sind. Früher oder später landet man in den immer gleichen Einkaufszentren, die sich nur noch in drei Aspekten unterscheiden:

    • Fährt man draußen links oder rechts?
    • Welche Hautfarbe haben die meisten Verkäufer?
    • Welchen Währungsumrechnungsfaktor muss man im Kopf haben?

    Und das Essen gleicht sich auch an. Ich war mal in Johannesburg in der größten Shopping-Mall des südlichen Afrikas (oder wohl sogar ganz Afrikas), der Mall of Africa. Und habe im Food Court gefragt, wo ich etwas Afrikanisches zu essen bekäme. Verständnislosigkeit. Was ich damit meine, „afrikanisches Essen“? (Im Hotel gab es das übrigens.) Es sei doch alles da: Pizza, Burger, Kebab, Pommes, Indisch, Chinesisch, … Siehe hier. Völlig egal, wo auf der Welt, auf welchem Kontinent man in die Shopping Mall geht, man bekommt immer denselben Fraß.

    Und inzwischen kommt es mir so vor, als ob auch Deutschland, auch Berlin inzwischen in dieses Einheitskorsett gezwängt wird, überall derselbe Fraß, überall dieselbe Menschenmischung, die so gebaut ist, dass sie im Durchschnitt, und dann zunehmend auch individuell, einfach gar keine Eigenschaften mehr hat, ein beliebiger, nur noch von Moden durchzogener Menschenschlamm, dessen Bildungsniveau kaum noch die Anforderungen übersteigt, bei McDonalds zu bestellen, die ein weltweit kompatibles Kauderwelsch spricht, an der einfach alles so beliebig, wie beliebig austauschbar ist. Nur Weiße werden nicht gern gesehen. Als bestünde die Gesellschaft nur noch aus McDonalds-Burgern, die weltweit genormt sind.

Viele glauben, dass Deutschland das nicht überleben kann, dass Deutschland daran sterben wird.

Ich nicht.

Ich glaube, Deutschland ist schon tot.

Das ist schon erledigt, denn heute hat doch fast niemand mehr noch irgendeine Verbindung zu dem, was Deutschland einst war und ausgemacht hat: Bildung, Naturwissenschaft, Verlässlichkeit, Sprache, Literatur, Ingenieurskunst, sowas alles. Das kennt doch heute schon gar niemand mehr. Nur noch Konsumententum.

Wenn das Pferd tot ist, soll man absteigen.

Ich glaube, da ist nichts mehr zu retten, und jede noch reingesteckte Mühe Vergeudung. Wir sollten nur eines noch unbedingt tun: Das Land umbenennen, damit es nicht den Eindruck erweckt, dass das, was da jetzt ist, noch irgendetwas mit Deutschland oder „Made in Germany“ zu tun hätte. So wie bei Flugzeugunglücken in Asien: Wenn dort ein Flugzeug crasht, ist auch alles hin und im Eimer, aber als Erstes und sofort, in erstaunlicher Geschwindigkeit, rücken dort Trupps mit enormen Mengen weißer Farbe an, die das Wrack weiß überpinseln, damit man den Schriftzug der Fluglinie nicht mehr sieht und keine Fotos vom Wrack mit dem Namenszug der Fluglinie machen kann, bringt ja weiteres Unglück und schlägt abergläubische Passagiere in die Flucht. Wir werden viel weiße Farbe brauchen. Alles überpinseln.

Die Frage ist, wie die postdeutsche Gesellschaft aussehen wird – und so wie sein wird. Vielleicht wird sich das im Ausland noch ein bisschen halten, man Trachtenvereine gründen oder Gedichte lesen, sich vielleicht zu einem weltweit verteilten, virtuellen Deutschland in Internetforen zusammenfinden. Vielleicht noch für zwei Generationen.

Die Frage ist: Was kommt nach Deutschland?