Ansichten eines Informatikers

Hubschrauber-Bruchlandung

Hadmut
10.7.2024 14:23

Leser fragen – Danisch weiß es auch nicht. [Update!]

Ein Leser fragt an:

Hallo,
im Clip macht der Heli eine Bruchlandung in Kedarnath Basislager (Höhe: 3582 im indischen Himalaya). Hat der jetzt ein Aufwindproblem oder ist da die Luft zu dünn?
Ich dachte, dass das zum Thema passt! Mfg

„ https://www.youtube.com/watch?v=fihmNfltpbQ“

Weiß ich nicht. Denn ich bin ja Laie, habe keinerlei Ausbildung in Bezug auf Hubschrauber. Ich blubber nur gerne aus meiner Laiensphäre darüber vor mich hin.

Was ich als Laie dazu aber sagen würde:

Nein. Der hat keinen Aufwind und kein Luft-Problem, denn wenn man die ersten Drama-Szenen überspringt, zeigen sie ab 0:13 ja nochmal den Landeanflug, und der sieht eigentlich gesund aus. Der Heli hat offenkundig kein Problem mit der dünnen Luft, und da das ganze auch nach einem Profi-Anflug aussieht, dürften die da schon wissen, was sie tun. Der Heli hat ja bis in etwa 4, 5 Metern einen völlig stabilen Flug. Und wo sollen da auf einer Betonplatte von einer Sekunde auf die andere Aufwinde herkommen?

Selbst wenn es die dünne Luft oder Aufwinde wären: Dann müsste die Probleme ja vorher auftreten und bei Annährung an die Landefläche verschwinden, weil er da ja in den Boden-Effekt kommt und damit viel weniger Motorleistung braucht. Das ist ein bekanntes Phänomen, dass untermotorisierte Hubschrauber, etwa überladen oder in zu großer Höhe, im Bodeneffekt über dem Boden gut fliegen können, aber nicht „hochkommen“. Deshalb müsste es dem da in Bodennähe besser gehen als in der Luft – es ist aber genau umgekehrt.

Es können auch schon deshalb keine Aufwinde sein, weil sich der Heli ja gar nicht nach oben bewegt. Sondern: Der Heli dreht sich plötzlich unkontrolliert um die eigene Vertikalachse. Und das kann eigentlich nur durch den Heckrotor verursacht werden, der ja genau dazu da ist, dem Drehimpuls, den der Rotor als Gegenimpuls auf den Heli ausübt, und der zu einer Gegendrehung führt, auszugleichen (weshalb Hubschrauber mit zwei gegenläufigen Rotoren oder auch Drohnen mit vier oder mehr, paarweise gegenläufigen Rotoren keinen Heckrotor brauchen, weil sich da die Drehmomente ausgeleichen, es gibt aber auch „Notar“-Helis [=No Tail Rotor], die am Heck eine Luftdüse haben und das mit einem Luftstrom ausgleichen). Und dieser Ausgleich ist hier offenbar verloren gegangen.

Im Prinzip könnte man so etwas absichtlich verursachen, indem man voll ins Pedal tritt. Wird der Pilot aber natürlich nicht freiwillig machen. Wenn er sich umbringen wollte, dann gründlicher und nicht auf so eine halbtödliche Weise, die ihn eher ins Krankenhaus bringt.

Deshalb sehe ich da zwei Möglichkeiten:

Entweder ist im Cockpit irgendetwas vorgefallen, was dazu führte, dass der Pilot die Kontrolle über den Heckrotor, also die Pedale verloren hat. Dämliche Passagiere, mechanischer Defekt oder etwas in der Art. Es gab mal einen Fall, in dem die Piloten eines Verkehrsflugzeuges die Kontrolle über ihre Pedale verloren haben, weil der Copilot schöne Fotos vom Landeanflug machen wollte, ihm seine Spiegelreflexkamera runtergefallen ist und sich unter den Pedalen verkeilt hatte, nicht mehr rauszukriegen war. Die Leute machen die verrücktesten Dinge. Irgendwo auf Twitter gibt es ein Video, in dem ein Pilot im Heli mit Mühe und sehr lauten Worten eine Passagierin auf dem Copilotensitz davon abhalten musste, mitten in der Luft die Rotorbremse zu ziehen, weil sie den Hebel über sich so verführerisch fand und einfach dran ziehen musste. Ich bin mal in Australien in einem R44 mitgeflogen, der eine – eigentlich unzulässige – Modifikation hatte, nämlich an dem Mittelsteg unten zwischen den Sitzen ein Stahlseilschlinge angebracht hatte, die der Pilot beim Stehen auf dem Pad und Wechsel der Passagiere über den Pitch ziehen konnte, weil zuviele Deppen einfach mal an dem lustigen Hebel ziehen wollen. Der Heli hat zwar dann nicht die Drehzahl, um abzuheben, aber Probleme macht das schon.

Eher würde ich aber auf einen Getriebeschaden tippen, denn dem scheint da der Heckrotor den Antrieb zu verlieren. Es ist zwar wegen der Interferenz mit der Aufnahmefrequenz der Kamera und dem Stroboskopeffekt überaus schwierig und nicht sicher zu beurteilen, man sieht ja auch, dass der Hauptrotor still zu stehen scheint, aber genau das ist ein Indiz: Es sieht nämlich, Stroboskop hin oder her, so aus, als ob der Heckrotor seine Geschwindigkeit irgendwie ändert. Was im Normalfall aber nicht sein kann, denn man sieht ja, dass der Hauptrotor per Stroboskopeffekt aussieht, als würde er still stehen, woraus man schließen kann, dass der Hauptrotor konstante Drehzahl behält, also kein Motorausfall vorliegt. Haupt- und Heckrotor sind aber normalerweise fest verbunden, auch der Heckrotor wird über den Anstellwinkel der Blätter und nicht die Drehzahl gesteuert. Normalerweise geht das gar nicht, dass der Hauptrotor die Drehzahl stabil hält, und der Heckrotor die Drehzahl ändert. Das kann der Pilot auch nicht mit den Pedalen verursachen, weil er damit den Anstellwinkel und nicht die Drehzahl ändert.

Meine unmaßgebliche Laiendiagnose wäre deshalb: Getriebeschaden oder Bruch der Antriebswelle, wodurch der Heckrotor seinen Antrieb und damit seine Wirkung verliert, und das Drehmoment, das durch den Hauptrotor und seinen Antrieb als actio-reactio auf den Rumpf ausgeübt wird, nicht mehr ausgleichen kann. Das würde auch erklären, warum der, so kurz die Aufnahme ist, sich zunehmend schneller dreht.

Und es passt dazu, dass der vorher schnell und in Vorwärtsbewegung geflogen ist, seine Pedale also kaum oder gar nicht brauchte. Zum Landen hat er den Hubschrauber aber gedreht, also in die Pedale getreten. Damit allerdings den Heckrotor ent- und nicht belastet, denn er dreht den Heli ja zum Landen im Uhrzeigersinn, in dem er sich dann auch unkontrolliert dreht, er hat also der Eigendrehung nachgegeben und nicht entgegengewirkt. Trotzdem: Zum Landeanflug hat er die Pedale gebraucht und offensichtlich zum Steuern und Drehen bedient, und dabei dürfte wohl ein Getriebe- oder Wellenschaden aufgetreten sein.

Kurz: Verlust des Heckrotors mit typischer Symptomatik.

Gegenmittel ist, wenn ich mich recht erinnere, möglichst hohe Vorwärtsgeschwindigkeit beizubezahlten, damit der Fahrtwind über Rumpf und Heckausleger und dessen Seitenleitwerk den Heli gerade hält, sich eine Wiese zu suchen und eine Gleitlandung zu machen, also mit möglichst viel Vorwärtsgeschwindigkeit über das Gras zu rutschen. Das konnte der aber nicht, weil das in 4 Metern Höhe passierte und der weder Reaktionsmöglichkeit noch Vorwärtsgeschwindigkeit hatte, und da auch einfach keinen Platz für eine Gleitlandung. Ich könnte mir vorstellen, dass wenn er das ein paar Sekunden früher bemerkt hätte, als er noch im Landanflug und Vorwärtsflug war, und die Landung abgebrochen hätte, damit sogar noch halbwegs ordentlich hätte ins Tal fliegen und dort rutschlanden können.

Man sollte aber jemanden fragen, der sich mit sowas auskennt.

Update: Ein Leser mit mehr Ahnung als ich schreibt:

Sehr geehrter Herr Danisch,

bei Landungen im Gebirge vor allem in Hot-and-high conditions ist es bei Hubschrauberflügen üblich, vor der eigentlichen Landung in sicherer Entfernung und außerhalb des Bodeneffekts einen Leistungs-Check (im Schwebeflug) vorzunehmen, um herauszufinden, ob die Auftriebsleistung für die Landung an der vorgesehenen Stelle ausreichend ist. Schwebt der Hubschrauber außerhalb des Bodeneffektes, dann ist eine Landung im Bodeneffekt grundsätzlich möglich. Probleme, die am eigentlichen Landeplatz dazukommen können sind Thermikablösungen an der Hangkante, Fallwinde die am Landeplatz auftreten können, oder sich plötzlich ändernde Windverhältnisse, weil der Wind durch Hindernisse abgelenkt und umgeleitet wird. Seitenwind, den der Pilot kalkuliert hat wird plötzlich zum leistungsmindernden Rückenwind.

Ihrer These, daß es ein Antriebsproblem am Heckrotor (Getriebeschaden oder Ausfall des Antriebs) gegeben hat, möchte ich widersprechen, weil die Drehung um die Hochachse langsam begann. Beim Ausfall des Heckrotors beginnt die Drehung schlagartig und mit großer Geschwindigkeit, da das durch den Heckrotor erzeugte Gegendrehmoment zum Hauptrotor mit sofortiger Wirkung entfällt. Im weiteren Verlauf des Videos kann man auch beobachten, daß ein kleines Wölkchen Dreck aufgewirbelt wird, als der Heckausleger kurz vor der Notlandung sehr nahe an den Boden kommt und damit stand der Heckrotor nicht still, sondern konnte Gegendrehmoment erzeugen. Spätestens jetzt dürfte der Heckrotor ziemliche Schäden davongetragen haben, aber durch das Senken des Collective-pitch verminderte der Pilot die Auswirkungen des Drehmoments und sorgte mit den Kufen für eine Reibwirkung, die die Drehung abbremste. Im schlimmsten Fall wäre der Hubschrauber umgefallen und die Hauptrotorblätter hätten sich durch den Bodenkontakt zerlegt.

Nach meiner Meinung, ohne dafür mehr als das Video zu haben, hat der Pilot entweder seinen Power-Check nicht gemacht (in der gewerblichen Fliegerei bedeutet Zeit Geld, weil jede Flugminute, die nicht gebraucht wurden den Profit erhöht) und benötigte im letzten Moment des Landeanflugs überraschend mehr Auftrieb als er tatsächlich zur Verfügung hatte um das Sinken zu verlangsamen. Er zog also so stark am Collective-Pitch wie er konnte, was dazu führte, daß auch der Heckrotor für den Drehmomentausgleich mehr Leistung benötigte. Aus diesem Grund trat der Pilot vermutlich das linke Pedal bis zum Anschlag durch, was den Anstellwinkel des Heckrotors erhöhte und damit den Auftrieb (die Drehzahl bleibt ja immer gleich). Irgendwann aufgrund der dünnen Luft oder hohen Temperaturen riß die Strömung an den Heckrotorblättern ab (Heckrotorstall), was einen Auftriebsverlust an den Heckrotorblättern zur Folge hatte. Dadurch konnte das Drehmoment des Hauptrotors nicht mehr ausgeglichen werden und der Hubschrauber begann sich langsam und dann immer schneller um die Hochachse zu drehen. In solchen Fällen muß der Collective-Pitch gesenkt werden, um wieder einen stabilen Flugzustand zu erreichen. Was hier aber nicht ging, weil der Hubschrauber ja bereits im Sinkflug begriffen war und dann umso schneller gesunken wäre. Die andere Alternative ist Geschwindigkeit aufzunehmen und dadurch wieder mehr Auftrieb am Hauptrotor zu erzeugen und dann auch wieder die Leistung am Hauptrotor und Heckrotor vermindern zu können. Aufgrund der Hindernisse und der umstehenden Zuschauer war das vermutlich nicht möglich, und so entschied sich der Pilot für eine Notlandung in dem unbefestigten Areal.

Was auch nicht unterschätzt werden darf ist der plötzliche Verlust eines anvisierten Fixpunktes vor der Landung. Weil der Hubschrauber sich mit etwa ein bis zwei Umdrehungen pro Sekunden drehte, bewegte die gesamte Peripherie rasend schnell am Auge vorbei. Man braucht nur mal auf der Kirmes versuchen irgendeinen Punkt außerhalb des Sitzplatzes des eigenen Wagens oder Gondel zu fixieren – es geht halt nicht, weil die ganze Umgebung einfach an den Augen vorbeirauscht.

Somit war die Notlandung vermutlich nicht mehr vom Piloten kontrolliert, sondern es war ein glimpflich abgelaufener Absturz.

Mmmmh. Ein dieser Darstellung ähnlicher Vorgang ist mir bekannt, aber ich hätte die Parallele jetzt nicht so gesehen.

Mir wurde vor vielen Jahren mal erzählt, dass man eine junge Pilotin an Ort und Stelle habe fristlos entlassen müssen, weil sie einen schweren, potentiell für viele Menschen lebensgefährlichen Fehler begangen und trotz Belehrung ihn am selben Tag noch ein zweites Mal begangen habe. Auf irgendeiner Formel-1-Veranstaltung, wo sich die ganzen Promis a) mit dem Heli ein-, raus- und rumfliegen lassen, um wichtig zu sein und sich b) nichts und von niemandem etwas sagen lassen, sei es sehr heiß gewesen, womit also die Motorleistung reduziert wird, und die Wiese, die man für die Landungen und Starts abgesperrt habe, sei ungünstig gelegen, weil man in der vorgesehenen Weise mit statt gegen den Wind hätte starten müssen, wozu die Motorleistung bei der Hitze nicht reichte. Es bedurfte also der doppelten charakterlichen Stärke, nicht nur anders zu starten, als vorgegeben war, nämlich gegen den Wind zu starten, und sich gegen unverschämte Promis durchzusetzen und den Heli nicht voll zu besetzen, sondern Sitzplätze frei zu lassen.

Die Pilotin habe beides nicht vermocht und sei mit dem voll beladenen Heli mit dem Wind gestartet, wodurch die Motorleistung nicht gereicht habe, um aus dem Bodeneffekt zu kommen und auch der Heckrotor nicht mehr genügt habe, um den Heli zu stabilisieren, was dazu geführt habe, dass sie sich in etwa 1 Meter Höhe über dem Boden über Publikum gedreht habe, und nur deshalb nichts passiert sei, weil sich das Publikum, obwohl Promi, schnell auf den Boden geworfen habe. Das zweimal mit dem Firmenlogo des Unternehmens auf dem Heli. Der Firmenleitung sei nichts anderes übrig geblieben, als die Pilotin an Ort und Stelle vor den betroffenen Promis noch zu feuern.

Ich weiß also aus diesem Fall, dass eine zu niedrige Motorleistung dazu führen kann, dass der Heckrotor zu wenig Leistung bekommt und den Heli nicht mehr stabilisieren kann.

Das hätte ich hier in diesem Fall jetzt aber nicht gesehen, weil der Heli ja stabil anflog und da schon in den Bodeneffekt gekommen war, also weniger Leistung brauchte. Und es im Himalaya eigentlich auch nicht so heiß ist. Die Leute im Video sind warm angezogen und haben Mützen auf. Deshalb würde ich das nicht unter hot-and-high einordnen.

Aber wie gesagt: Nicht mich fragen, sondern jemanden, der Ahnung hat.