Ansichten eines Informatikers

Von der Unmöglichkeit des Wohlverhaltens

Hadmut
19.7.2024 4:53

Eine Frage brennt mir im Hirn.

Ich habe oft gesagt, oft geschrieben, dass mit das größte Problem, das ich mit dieser Politik, dieser Regierung, diesen Gesellschaftszuständen habe, ist, dass sie nicht sagen können, wo es hingeht.

Dass sie nicht nur nicht sagen wollen, sondern nach meiner Überzeugung auch nicht sagen können, was es denn werden soll. Sie sagen, sie wissen, sie fragen nicht, wo es hingehen soll. Sie sagen nur, dass sie „progressiv“ sein, vom alten Zustand weg wollen, weil bei dem zu bleiben, was zumindest funktioniert hat, ja „konservativ“ sei und Nazis mache.

Aber wo soll es hin? Was soll es werden?

Wir schlagen alles kaputt, lassen die gesamte Menschheit zu uns herein, und freuen uns darauf, dass daraus irgendwie ein neuer toller Kuchen werde?

Man hält mir vor, dass ich mich nicht politisch korrekt verhalte, dass ich kein guter Staatsbürger im Sinne der Machthaber sei (kann man denn so überhaupt ein guter Staatsbürger sein?). Was ich aber bis heute nicht herausgefunden habe: Welche Rolle man mir denn überhaupt zugedacht hat. Wo man mich hinhaben wolle.

Mir schreiben viele gelernte DDR-Bürger, dass man jemanden wie mich in der DDR wohl nicht mal zum Abitur zugelassen, sondern gleich in die Produktion gesteckt hätte. Da bin ich mir nicht ganz sicher, weil ich ja als Schüler schon viel mit Computern gemacht haben und vorne dran war, und ich könnte mir vorstellen, dass man auch in der DDR, wenn man denn an einen der raren Homecomputer gekommen wäre, durchaus Eindruck hätte schinden können, denn in Informatik wollten sie ja voran kommen. Aber egal: „In die Produktion“ ist zwar eine ziemliche Sauerei, aber immerhin schon mal eine konkrete Vorstellung, was man mit einem Menschen machen will.

Ich sage das Falsche.

Meine Wohnung sei zu groß.

Ich hätte in der Stadt nichts verloren.

Ich fliege zuviel.

Ich esse zuviel Fleisch.

Ich besitze ein Auto.

Ich dusche mindestens einmal am Tag.

Und so weiter und so fort.

Alles mache ich falsch, und bin wohl bloß deshalb nicht (mehr) in der Produktion, weil wir gar nicht mehr genug Produktion haben.

Aber was diese woke, politisch so korrekte und moralisch besoffene Gesellschaft für mich vorgesehen hat, welches Verhalten sie von mir erwartet, das hat sie noch nicht gesagt. Ich soll aus allen Jobs rausgeekelt werden, aber trotzdem bitteschön Steuern zahlen wie blöde. Also soll ich nun arbeiten, oder nicht?

Als ich einen Job hatte, hat man mich aus dem Job gedrückt, weil es hieß, dass der Arbeitgeber damit mein Blog finanziere, also müsse ich aus dem Job raus. (Was für ein Blödsinn, denn das Blog kostet ja nicht Geld, sondern bringt Geld.) Dann aber hieß es, dass man solchen Blogger die Geldquellen abdrehen muss, damit sie wieder arbeiten gehen müssen und keine Zeit mehr für das Blog haben. Sie drücken ihren Willen mit Gewalt durch, aber wissen nicht einmal, was sie wollen.

In der DDR musste man sich unterordnen und eingliedern. Aber man wusste wenigstens, worin. Was von einem erwartet wurde.

Ich weiß nicht, was in diesem Deutschland von mir überhaupt erwartet wird. Ich fühle mich wie Han Solo. Als man den von der Folter brachte, sagte er „Sie haben mir nicht eine einzige Frage gestellt.“ Er wusste nicht, was sie eigentlich von ihm wollten. Verhörfolter ohne Frage.

Es heißt, man solle große Wohnungen abgeben. Und dann? Wohin?

Ich bin ein alter, weißer Mann. Was könnte ich daran ändern? Soll ich mich umlackieren lassen? Geschlechtsumwandlung? Asyl beantragen, um mir ein Geburtsdatum frei aussuchen zu können? Das würde man mir sogar gestatten, mich wieder als 30 auszugeben, weil man dann die Rente spart, die ich nicht mehr erreichen würde.

Man kann sein Geschlecht frei wählen. Und das muss dann jeder respektieren. Aber wer würde mich respektieren, wenn ich „männlich“ wählte, obwohl ich schon „männlich“ bin, weil ich ein „Mann, gefangen im Körper eines Mannes“ bin, und mein Kommentar dazu „passt so“ ist?

Ständig macht man mir Vorwürfe, ich würde irgendwelchen Regeln und Erwartungen nicht genügen, sagt aber nie, was diese seien.

Soll ich das Maul halten?

Oder soll ich nachsprechen, was man mir vorspricht?

Es erinnert mich an meinen Promotionsstreit. Da hieß es auch, ich würde die Anforderungen nicht erfüllen, war aber nicht nur nie in der Lage, die Anforderungen zu benennen, sondern weigerte sich strikt, überhaupt welche zu haben. Man sollte gar nicht erfahren, welche Anforderungen man warum nicht erfüllt. Die Mitteilung, dass man sie nicht erfülle, habe zu genügen.

Ständig hört man „Nazis raus!“. Hätte auch nur ein Einziger mal irgendwann gesagt, wohin mit den Nazis?

Wenn die mal sagen würden, wohin die sollen – vielleicht würde so mancher Nazi sagen „Einverstanden, ich geh’! Tschüss!“

Und so mancher anderer würde vielleicht fragen, wie man auch Nazi wird, er würde nämlich auch hier weg wollen.

Aber sie sagen nur „raus“, sie sagen nicht wohin.

Angenommen, ich würde aufgeben und mich entscheiden, ein braver, untertäniger Musterbürger zu sein. Das will ich nicht, und ich sehe auch nicht, wie ich das wollen könnte. Aber mal das Gedankenexperiment, gesetzt den Fall, ich wollte. Ich wüsste ja nicht einmal, wie.

Ich weiß ja gar nicht, was diese Gesellschaft, was diese Regierung, was dieses Linkstum von mir überhaupt erwartet, was ich zu tun und zu lassen hätte, wenn ich denn wollte. Angenommen, ich würde kapitulieren und das Blog aufgeben, ab sofort „brav“ sein wollen.

Ja, was dann?

Ich höre immer, in einer sozialistischen Welt bekäme man dann „bedingungsloses Grundeinkommen“ und würde sein Leben damit fristen, freiwillig und aus eigenem Antrieb gesellschaftsnützliche Dinge zu tun.

Abgesehen davon, dass ich kein „bedingungsloses Grundeinkommen“ bekomme, und auch nicht klar ist, woher das dann kommen sollte, und was ich mit den Papierscheinchen oder Zahlen auf dem Konto anfangen könnte, wenn keiner mehr arbeitet: Was sollte ich denn dann tun?

Was ist denn überhaupt die Erwartungshaltung mir gegenüber?

Ich kenne nur eine Erwartungshaltung: Ich möge doch bitte möglichst vor Stellung meines Rentenantrags versterben, meinen Besitz dem Staat vererben und die Wohnung besenrein übergeben. Am besten bis Dienstag.

Selbst wenn ich es so machen würde: Ich bekäme auf absehbare Zeit keinen Termin bei der Stadtverwaltung, um mich tot zu melden. Selbst wenn ich jetzt sofort tot umfiele, wären sie nicht einmal in der Lage, das zu verwalten.

Ich bin auch noch nicht an dem Punkt, vorzeitiges Ableben als Gesellschaftsmodell zu akzeptieren wie in Logan’s Run. Sicherlich, sie fangen jetzt in einigen Staaten wieder an, den Alten den Abgang nahezulegen, kommen mit schicken Stickstoffkapseln zum preisgünstigen Ersticken und Dahinscheiden. Gab es ja früher schon mal bei den Eskimos: Wenn die Alte nicht mehr genug Zähne hatte, um das Leder weich zu kauen, und der Familie nur noch zur Last fiel, musste sie eben raus in die Kälte.

Mir hat bisher noch keiner gesagt, wo und wie ich zu leben hätte.

Man beschimpft und beschuldigt mich dafür, dass ich lebe, wie ich lebe, aber man sagt mir nicht, was ich anders machen sollte, was man von mir erwartet, was die Lebensweise wäre, mit der man einverstanden ist.

Gibt es überhaupt eine Lebensweise, mit der man noch einverstanden ist? Oder ist es nicht eher so, dass es längst völlig egal ist, wie man sich noch verhält, man immer Vorwürfe bekommt, weil sie ja gar nichts anderes mehr können, als Vorwürfe zu machen? Weil sie selbst nicht wissen und nicht sagen können, womit sie zufrieden wären? Oder das unmöglich zu erreichen wäre?

Schaut Euch mal etwa die Antifa an. Die Grüne Jugend. Nancy Faeser. Und so weiter.

Was wäre denn eine Welt, mit der die einverstanden wären, zu der die sagen würden, „Alles gut, wir sind zufrieden damit!“?

Nach deren eigenen Aussagen kann es die nicht geben. Denn sie meinen ja, dass alles, was Bestand hat, sofort Nazis mache. Es gibt gar keinen Zustand, mit dem sie zufrieden sein könnten. Wie in der Frankfurter Schule: „Kritische Theorie“ – an allem rumstänkern. Einen Zustand, mit dem sie zufrieden wären, kann es gar nicht geben. Sie müssen ständig in einem Zustand der Unzufriedenheit, der Änderungswut bleiben.

Und solange mir keiner sagt, was denn überhaupt von mir erwartet wird, will ich mich nicht nur nicht ändern, ich kann es auch gar nicht.

Wohin auch sollte ich mich ändern?

Und was wäre die Motivation mich zu ändern, wenn es nicht zumindest insgesamt, in der Summe eine irgendwie geartete Verbesserung wäre?

Wenn ich das richtig verstanden habe, soll ich künftig nur noch mit dem Fahrrad rumfahren, nur noch Gemüse fressen, jedes Menschen Pronomen respektieren, und meine Wohnung abgeben, und dann am besten in einem Lastenrad wohnen. Was meine Kniegelenke nicht mehr mitmachen würden. Aber angenommen, das machen dann alle so. Wer baut dann noch das Gemüse an, wer baut die Lastenräder und die Radwege?

In meiner Jugend kannte ich mal indirekt einen, so um zwei Ecken im Bekanntschaftskreis, habe ihn auch mal auf der FKK-Badeinsel gesehen, auf der man sich damals szenetypisch zum eingebildeten Zeitgeistpalaver traf. Ehemals ein gutverdienender Akademiker, weiß nicht mehr genau, was. Den hatten sie bei seiner Scheidung komplett ausgenommen und geplündert, und zu Unterhalt verknackt. Das wurde dem zu blöd, und der fuhr auch nur noch mit so einem – damals gab es den Begriff noch nicht – Lastenrad, so ein Art Fahrrad mit Schlafkojenanhänger herum, hatte seine gesamte bürgerliche Existenz und seinen Wohnsitz aufgegeben, hatte nur noch Freizeit und war von der Sonne braungegerbt, weil er meistens am FKK-Strand in der Sonne lag. Das hat der so zwei, drei Jahre durchgehalten, bis man ihm wegen der ausbleibenden Unterhaltszahlungen Beugehaft androhte. Er hatte dazu gesagt, dass ihm das gar nicht so ungelegen käme, weil es im Winter dann doch recht kalt sei, er im Früjahr, „wenn die Kirschen blühen“, aber das Land endgültig verlasse und Richtung Äquator davonradele. Als dann die Kirschen blühten, erfuhr ich, dass er tot sei – auf einer Landstraße Richtung Süden vom Auto überfahren worden.

Der Staat hat einen damals schon nicht so leben lassen, und er würde das auch heute nicht.

Ich würde mich – früher habe ich es abgelehnt – längst freuen, wenn man mir ein bedingungsloses Grundeinkommen zahlte, und mich zurücklehnen und entspannen.

Die Realität ist aber, dass der Staat mir nicht etwa Geld zahlt, sondern unverschämte Mengen von Geld abnimmt. Steuern. Der Staat braucht Geld, wie verrückt, und hat keines zu verteilen.

Also warte ich noch immer darauf, dass mir irgendwer mal sagt, wie ich mich eigentlich zu verhalten hätte, damit man mit mir zufrieden wäre. Ob ich das dann auch machte, wäre eine andere Frage. Kommt drauf an.

Aber solange man mir nicht einmal zu erkennen gibt, was man eigentlich von mir erwartet, stört es mich auch nicht, diese Erwartung nicht zu erfüllen.