Ansichten eines Informatikers

Von der zeitweisen Absurdität der Staatsbibliothek zu Berlin

Hadmut
25.7.2024 17:22

und vom Stand deutscher Digitalisierung.

Ich wollte gerade in die Bibliothek. Ging nicht.

Genauer gesagt, ich wollte in die Staatsbibliothek zu Berlin, Standort Unter den Linden. Und es ging nicht, weil es darin so überfüllt war, dass sich am Eingang eine lange Schlange gebildet hatte, an der auch nichts voran ging, weil immer nur dann einer rein durfte, wenn auch einer rauskam – und der, der rauskam, versicherte, nicht wieder einzuwollen und keinen Wiedereingangszettel mitnahm. Weil es aber so schwer war, reinzkukommen, war natürlich niemand so blöd zu sagen, dass er nicht wieder reinwolle, was dazu führte, dass zwar Leute rauskamen, dafür aber trotzdem keiner reinkam.

Das Problem hatte ich Anfang das Jahres, so im Januar herum, schon einmal, und die Ursache war dieselbe: Prüfungen.

Studenten bereiten sich auf die Prüfungen vor, und aus irgendwelchen Gründen, von denen ich nachfolgend einige beleuchte, sitzen Studenten in Massen in der Staatsbibliothek, und belegen alle Plätze. Und wenn kein Sitz-/Arbeitsplatz mehr frei ist, darf auch keiner mehr rein. Weil das ja keine Ausleihbibliothek wie eine Stadtbibliothek ist, in die man reingeht und sich ein Buch holt, um es auszuleihen und mitzunehmen (macht das überhaupt noch jemand?), sondern so eine Arbeitsbibliothek.

Ihr Selbstverständnis:

Die Stabi ist Ihre zentrale Bibliothek für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung in Berlin: Entdecken Sie einzigartige Sammlungen, Themenportale und ein abwechslungsreiches Kulturprogramm. Wir unterstützen Sie gerne in Workshops und bieten kompetente Beratung durch unser Expert:innenteam. Ob konzentrierte Arbeitsatmosphäre in den Lesesälen oder gemeinsames Arbeiten im Austausch mit anderen: Unsere beiden Gebäude am Potsdamer Platz und Unter den Linden in Berlins Mitte stehen Ihnen täglich von morgens bis abends offen. Kommen Sie vorbei und erkunden Sie unsere Services – wir freuen uns auf Sie!

Von wegen „stehen Ihnen täglich von morgens bis abends offen“ – genau das tun sie eben nicht. Man kommt ja nicht rein.

Nun hätte ich da noch gewisses Verständnis, wenn es um den Standort (es gibt zwei) Potsdamer Straße ginge, dort stehen die ganzen juristischen Bücher, und die Zuordnung ist

  • Das Haus Unter den Linden ist die Historische Forschungsbibliothek (Literatur im Lesesaal bis ca. Beginn des 20. Jahrhunderts),
  • das Haus Potsdamer Straße ist die Forschungsbibliothek der Moderne (Literatur im Lesesaal ab ca. Beginn des 20. Jahrhunderts).

Und damit dürfte im Standort Unter den Linden wohl nur sehr wenig Literatur zu finden sein, die prüfungsrelevant ist – und das ja dann auch nicht in ausreichender Stückzahl.

Ich habe mir das mal näher angesehen. Nicht heute, weil ich ja nicht reinkam, aber bei früheren Gelegenheiten, wo ich gerade noch so reinkam, bevor sie gesperrt haben, und dann drinnen nirgends einen Platz fand. Die meisten Arbeitsplätze, die es dort gibt, kann man auch nicht einfach so benutzen, sondern sind reservierungspflichtig. Stehen Schilder dran, dass man sie zu verlassen habe, wenn der, der reserviert hat, kommt. Ich habe mich dann dreimal umsetzen müssen und letztlich im Stehen auf einer Vitrine gearbeitet.

Die Arbeitsplatzprothese

Die meisten Leuten darin benutzen die Bibliothek überhaupt nicht als Bibliothek, sondern als Schreibtisch mit Stuhl, Strom, Internet und Klo. Manchmal mit eigenen Büchern.

Es gibt dort sogar Arbeitsplätze in geschlossenen, abschließbaren Kabinen mit Glaswänden, und da habe ich schon Leute gesehen, die darin schliefen. Nicht pennermäßig, sondern eher so überarbeitet, fix und alle, zwischen Büchern und Notebook. So sehr ich – war ja auch mal Student und bin wieder in dem Alter, in dem man gerne mal ein Mittagsschläfchen hält – Verständnis dafür habe, dass einem einfach mal die Augen zufallen und man einfach mal abschalten muss, nehmen sie damit anderen den Arbeitsplatz weg.

Dazu muss man wissen, dass dieser Standort in direkter Nachbarschaft zur Humboldt-Universität liegt, und damit faktisch den Arbeitsplatz bietet, der an der Humboldt einfach fehlt. Offenbar hat die Humboldt-Uni mehr Studenten als sie Kapazität hat, und das augenscheinlich vorwiegend Leute aus dem außereuropäischen Ausland, kann sie aber nicht unterbringen.

Und anscheinend haben die Leute auch keine Studentenbude, oder keine in der Nähe. Bei uns war das damals selbstverständlich, dass wir zwar ein winziges, karges, einfaches, billiges Zimmerchen hatten, aber: Tisch, Stuhl, Licht, Heizung, Klo, Strom gab es. Internet gab es damals noch nicht, aber das haben sie bald nach meinem Auszug gelegt, ich war sogar selbst noch an den Planungen beteiligt.

Anscheinend haben die Studenten von heute aber kein studierfähiges „Zuhause“ mehr in akzeptabler Nähe, und brauchen deshalb solche Wohn- und Studierprothesen.

Bei uns gab es das zwar damals auch, dass die Bibliothek auch Arbeitsplatz war, vor allem, weil es dort (damals noch sehr selten) die ersten IBM-PC (noch nur mit Diskettenlaufwerk, MS-DOS usw. musste man selbst mitbringen) manche mit Internetanschluss gab. Aber das war die Universitätsbibliothek. Keine öffentliche Bibliothek, die nicht zur Uni gehört.

Der Digitalkrampf

Manche sind aus demselben Grund dort, aus dem ich auch dort bin oder heute dorthin wollte: Zugang zu den Netzdiensten.

Die Zeiten der Präsenzbibliothek gehen zu Ende. Viele Werke, die früher im Regal standen, sind längst in den Archiven verschwunden und durch Zugänge zu Online-Datenbanken ersetzt worden. Deshalb hat auch jeder ein Notebook dabei, man sieht praktisch niemanden mehr ohne. Man geht rein, setzt sich hin und nutzt irgendwelche Online-Datenbanken.

Ich bin dort, um juristische Datenbanken zu benutzen, die sonst nur sehr teuer und oft nur mit Langzeitabo zu haben wären, typisch für Rechtsanwälte, für die sich sowas ja lohnt, weil die das ständig benutzen und dauerhaft abonnieren, zumal die das ja dann nochmal nach Rechtsgebieten unterteilen und einzeln verhökern. Ich gehe also, wenn ich in die Bibliothek gehe, normalerweise auf Juris, Beck Online und hin und wieder auf Verlagsseiten, um mir mal ein paar Urteile zusammenzusuchen, die es im allgemeinen Internet nicht gibt (inzwischen veröffentlichen die Gerichte viele Entscheidungen, aber das eben erst seit etwa 10 bis 20 Jahren und leider nicht rückwirkend).

Nun könnte man ja die Frage stellen, warum ich überhaupt in die Bibliothek muss, um auf Online-Dienste zuzugreifen. Warum das nicht auch von zuhause aus geht, wenn doch die Arbeitsplätze bei ihnen so schrecklich knapp sind.

Geht aber nicht. Manche der Online-Datenbanken, namentlich die teuren, sind nicht für die Nutzung von außen freigegeben. Bei manchen anderen geht es, man muss sich nur auf der Webseite der Bibliothek einloggen. Aber eben nicht bei denen, die ich brauche.

Um die zu nutzen, muss man persönlich mit eigenem Rechner im Netzwerk der Bibliothek sein, und das geht nicht, weil sie einen nicht reinlassen, weil es zu voll ist. Digitalisierung Deutschland 2024, an persönliche Anwesenheit gebunden, die nicht mehr möglich ist, weil zu voll.

Ich hatte mir überlegt, aus dem Foyer zu arbeiten, als gar nicht erst reinzugehen. WLAN hat man da, aber es gibt vorne nur Steinbänke, die so erbärmlich kalt am Hintern sind, dass man da keine 5 Minuten sitzen kann. Deshalb hat man diese Steinbänke beheizt, da sind Heizungen drunter. Die laufen aber nicht im Sommer, dem heißesten Sommer aller Zeiten, laut Medien. Da wird die Heizung nicht angedreht.

Im hinteren bereich haben sie einige wenige Stühle und zwei winzige Tische, aber die sind schon belegt von Leuten, die auf dieselbe Idee kamen. Auf die Idee, da einfach mehr Tische hinzustellen, kommt man nicht.

Ich dachte, gut, gehe ich in die Cafeteria. Handy behauptet, dort auch WLAN.

Geht aber nicht, weil man sich da auch nur setzt, wenn man was kauft, was ich sogar getan hätte, ging aber nicht, weil kein Personal da, was einem etwas verkaufen würde.

Dann steht man da, in der Bibliothek, hätte sogar WLAN, ohne reingehen zu müssen, und kann nicht.

Irgendwo habe ich noch solche Faltsitzkissen, die eigentlich für Konzerte, Fußballstadien, Camping gemacht sind. Die nehme ich das nächste Mal mit, damit ich auf den Steinbänken sitzen kann. Und vielleicht auch meinen Campingtisch. Weil ich in Berlin in die Bibliothek will. Gut, dass ich die Campingausrüstung nicht weggeworfen habe.

Man muss da die Plätze jetzt online buchen.

Ich habe es tatsächlich geschafft, für morgen noch einen Platz zu ergattern und einen Termin für einen Stuhl und einen Tisch gebucht. Eine ganze Stunde, kürzer haben sie es nicht. Es gibt nur „stundenweise“ und „längerfristig (wochen-/ monatsweise)“. Was erklären würde, warum manche Leute in diesen Glaskästen zu wohnen scheinen. Die Wohnungsnot ist groß in Berlin. Und immerhin ist es da im Winter geheizt, man hat ein Klo und es ist in direkter Nachbarschaft der Uni.

Ach, ja, „Carrels“ heißen die Dinger.

Ich muss nun also morgen pünktlich dort sein, und ich möge, so die Buchungsbestägigung, doch dafür Sorge getragen, dort bei Eintreffen den QR-Code zu scannen und die PIN eingeben, damit der Computer auch weiß, dass der Richtige auf dem richtigen Platz sitzt. Immerhin. Soviel digital können sie. Die Zeiten, in denen man einfach so in die Bibliothek gehen und sich einfach irgendwohin setzen konnte, die sind vorbei.

Volumen vergeudet

Warum man dann diese Bibliothek, die ja innen neu gemacht ist, dann nach einem klassischen Schema innen komplett hohl gemacht hat, also nur in der untersten Etage die Arbeitsplätze in der Mitte stehen, und der darüber alles frei ist, damit man die Regale höherer Etagen sieht, siehe Bild hier, anstatt normale Etagen mit geschlossenen Decken zu bauen und die dann mit Arbeitsplätzen voll zu stellen, entzieht sich meiner Kenntnis und meinem Verständnis.

Ja, das sieht schöner aus und ist klassisch, wenn die Bibliothek ein offener Raum ist und die Regale nur an den Seiten stehen.

Wenn man sich das von der Kapazität leisten kann. Das stammt aber aus einer Zeit, als Bibliotheken nur dazu da waren, Bücher einzusehen, und deshalb ein anderes Verhältnis von Arbeitstischen zu Bücherregal-Metern bestand. Das ist heute eben nicht mehr so. Und deshalb wäre es wohl besser, die Decken zu schließen, damit man mehr Fläche hat.

Die Nutzung ist heute anders, also müsste auch die Bauweise anders sein.

Aufgaben der Bibliothek?

Als ich verärgert, weil unverrichteter Dinge, wieder nach Hause ging, nahm ich mir vor, mal nachzulesen, welche Aufgaben diese Bibliothek eigentlich hat – und wer sie finanziert. Mir kommt das nämlich so vor, als würden da Gelder, die für andere Dinge gedacht sind, zweckentfremdet, um die Humboldt-Universität aufzupumpen und auf migrantisch zu bügeln.

Ich dachte, ich finde da jetzt so etwas wie das „Landesgesetz über die Bibliothek“ mit Blabla wie „der Öffentlichkeit zur Verfügung“ und so weiter.

Aber nein, das scheint bisher gar nicht geregelt zu sein, was die da eigentlich machen. Sie haben es gemerkt und bauen jetzt an einem Bibliotheksgesetz Berlin, das ist aber noch nicht fertig. Bisher nur „Eckpunkte“.

Da sollen dann solche Sachen drin stehen wie

Das Gesetz bezieht sich auf die kommunalen Leistungen der Öffentlichen Bibliotheken, deren Nutzung allen Bevölkerungsgruppen offenstehen. Davon umfasst sind alle Öffentlichen Bibliotheken des Landes Berlin – sowohl die in der Trägerschaft der Bezirke befindlichen Bibliothekssysteme als auch die der Rechtsaufsicht der für Kultur zuständigen Senatsverwaltung unterliegende Stiftung
Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) – sowie deren gemeinsamer Verbund.

2. Ziele

Ziel des Gesetzes ist es, die Aufgabenerfüllung der Öffentlichen Bibliotheken sowie eine niedrigschwellige wohnortnahe Versorgung und ein stadtweit vielfältiges, an den Bedürfnissen der diversen Berliner Stadtgesellschaft orientiertes bibliothekarisches Angebotsspektrum sicherzustellen.

Ach, die „diverse Berliner Stadtgesellschaft“. (Dazu fällt mir was ein, dazu schreibe ich gleich noch etwas in einem separaten Artikel.)

Nur: Auf die Staatsbibliothek würde sich das wohl gar nicht beziehen, denn die gehört wohl der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts mit Sitz in Berlin. Sie wurde am 25. Juli 1957 durch ein Bundesgesetz gegründet. Ihre Aufgabe ist die Bewahrung und Pflege der Kulturgüter des ehemaligen Landes Preußen. Zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehören die Staatlichen Museen zu Berlin, die Staatsbibliothek zu Berlin, das Geheime Staatsarchiv, das Ibero-Amerikanische Institut und das Staatliche Institut für Musikforschung.

Die Bewahrung und Pflege der Kulturgüter des ehemaligen Landes Preußen. Wie beispielsweise der Zugang zur Juris Datenbank und Beck Online. Oder der Gewährung von Unterschlupf für unbetischte Humbold-Studenten.

Wikipedia:

Die Staatsbibliothek zu Berlin (kurz: SBB oder Stabi) ist eine Einrichtung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Gegründet 1661 vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, sammelt sie Literatur aus allen Wissenschaftsgebieten, Sprachen und Ländern. Mit einem Bestand von mehr als 32 Millionen Werken gehört sie zu den größten Bibliotheken Deutschlands und den bedeutendsten der Welt. Ihre historischen Sammlungen sind die einer Universalbibliothek. An zwei großen Standorten – im Haus Unter den Linden 8 und im Haus Potsdamer Straße 33 – findet ein reger Leih- und Benutzungsbetrieb statt. Ein Speichermagazin in Friedrichshagen ergänzt die Bibliothek, dort ohne Leih- und Benutzungsbetrieb.

Und die Stiftung ist nicht nur ziemlich woke und auf Gender Equality, sondern auch gefördert durch „Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien“. Und das ist Claudia Roth, von den Grünen.

Und damit hat das dann wohl zu tun, dass die Staatsbibliothek zu Berlin inzwischen eher so eine Art Tages- und Stundenhotel mit der Funktion eines Studentenwohnheims in Nachbarschaft zur Humboldt-Universität geworden ist.