Ansichten eines Informatikers

Die (verblassende) Macht der Bilder

Hadmut
12.8.2024 12:40

Ich hatte doch erwähnt, dass es im Fernsehen einen kurzen, aber sehr interessanten Beitrag über die Fotografie bei den Olympischen Spielen gegeben habe und ich den in der Mediathek nicht gefunden hatte.

Eine Leserin hat ihn gefunden: Wie das perfekte Olympia-Bild gelingt von Eike Schulz in der ZDF-Mediathek.

Der Beitrag ist schon gut gemacht, und sehr sehenswert, geht ja auch nur dreineinhalb Minuten.

Allerdings offenbart er – wohl unwillentlich – schon das Problem: Die Fotos sind animiert, es wird ständig rein- oder rausgezoomt oder der Ausschnitt bewegt. Das ist heute generelle Praxis, wenn man Fotos im Video zeigt.

Das hat verschiedene Gründe. Es hängt mit den Sehgewohnheiten zusammen, weil man am Bildschirm anders guckt, und ja auch nur begrenzte Zeit hat, man sich nicht die Details anschauen kann, außerdem die Bildschirmauflösung begrenzt ist, und der Zuschauer „geführt“ werden muss, um sowohl die Totale und den Bildausschnitt mit Hintergrundinformation, als auch die Bildbotschaft, den eigentlichen Inhalt zu sehen. Alte Fotografenregel: Vordergrund macht Bild gesund. Hintergrund ist gut und schön, aber ein Bild, in dem nicht noch irgendetwas rumsteht und eine Bildaussage trägt, ist nichts. Das klassische Alpenpanorama ohne was davor, ist schön, aber stinklangweilig. Deshalb malte man früher den röhrenden Hirsch davor. Das Auge schweift normalerweise herum und wechselt zwischen Bildaussage und Hintergrund, und Fotografie hat viel damit zu tun, die Art und Weise zu verstehen, wie das Hirn ein Bild aufnimmt und den Blick schweifen lässt. Man steht vor dem Bild, wenn es an der Wand hängt, und schaut es sich an. Weil das auf dem Bildschirm und in der begrenzten Zeit aber nicht geht, und man gewohnt ist, das Video für kaputt zu halten, wenn das Bild einfriert, braucht man das Zoomen und Bewegen als Ersatz für die Augenführung des Hirns. Dazu Musik und Erzählung.

Man kann Fotos eigentlich nicht im Video zeigen, ohne Videos draus zu machen, und dem Zuschauer als Prothese vorzugeben, was er sich in einer Ausstellung selbst erlaufen, erstehen, ergucken und erdenken müsste. Und in der Bildunterschrift lesen.

Aber mal ehrlich: Wer von uns hätte über die olympischen Spiele noch in der Zeitung gelesen oder sich ein Bilderbuch gekauft? Lacht nicht, das war früher mal üblich. Als ich noch Kind oder Jugendlicher war, hat man in den Zeitungen davon gelesen, und hinterher gab es in den Buchhandlungen Bildbände mit den schönsten Bildern der Spiele zu kaufen. Heute haben die Spiele nicht nur nachrichtlich, sondern auch visuell eine Halbwertszeit von unter 24 Stunden.

Dazu kommt, dass wir visuell völlig auf Video umgestellt wurden und sind. Wir schauen heute Videoschnipsel in den Social Media, und erwarten vom Fernsehen, sie da nochmal zu sehen, als seien die so eine Retweet-Station.

Fotos kommen in unser Wahrnehmung nur noch als kleine Tweet-Anhänge vor. Aus unserer Alltagswahrnehmung sind sie weitgehend verschwunden.

Und ein Grund ist eben, dass wir nicht nur an den Bildschirm mit Videoübertragung gewöhnt sind, und da Fotos nicht mehr reinpassen, ohne wenigstens animiert und vererzählt zu werden, sondern sie können in ihrer Dramatik mit Video nicht mehr mithalten. Es gibt diesen Spannungsbogen aus Handlung und Ergebnis, vor allem einem abweichendem Ergebnis nicht. Das Foto liefert alles auf einmal und der Ablauf muss erst in Hirn in der Vorstellung und Interpretation entstehen. Womit ein Foto dann auch an Authentizität verliert, weil immer reinspielt, dass man sich etwas dabei gedacht hat.

Das Foto hat an Kundschaft verloren. Die Zeitungen und Buchverlage nehmen sie nicht mehr in dieser Menge ab und zahlen nicht mehr so, denn was würde es einer Zeitung heute noch bringen, über die Spiele zu berichten? Die Bilder sind alle schon gesehen. Und Papier nimmt keine Videos.

Außerdem: Es geht um eine Sportveranstaltung. Die hat mit Bewegung zu tun.

Damit dürfte auch das Angebot sinken. Die Fotografen machen vermutlich eher Videos als Fotos.

Von früheren Spielen gab es interessante Fotoreihen. Beispielsweise die Grimassen, die Sportler unter hoher Anspannung und Anstrengung und Einwirkung von Kräften machen. Besonders Turmspringer und Gewichtheber machen da die schönsten Grimassen. Und die Turnerinnen die schönsten Verbiegungen und Verrenkungen in ihren Sprüngen.

Wenn man jetzt aber schon mit vielen Bildern vom Eifelturm und dem Ballon kommen muss, hat das schon damit zu tun, dass die Spiele kaum ikonische Fotos lieferten. Die Ausbeute an Fotos, die man zu sehen bekam, war dürftig. Dafür war die Fülle der Videos überwältigend, weil ja auch an jeder Spielstätte unzählige Kameras installiert sind, und deren Videos sofort verteilt werden. Beim Hochsprung gibt es die Kamera an der Latte (hört sich an wie Porno), beim Weitsprung die am Trittbrett und natürlich alle Perspektiven. Wozu sollen da Fotos noch gut sein, wenn Videos die Sache bereits in Echtzeit ausberichterstattet haben?

Normalerweise zeigen (oder zeigten) die Kamerahersteller immer Angeberfotos von ihren Materiallagern, weil die dort normalerweise ihre dicken Profikameras und die teuren Superobjektive in Massen bereithalten und dort für die Dauer der Spiele oder tagesweise an die Fotografen vermieten. Deshalb können die da auch mit Ausrüstungen von 50.000 Euro rumlaufen – weil die Hersteller sie ihnen ausleihen und wollen, dass die besten Fotos mit Canon oder Nikon oder sonstwas geschossen wurden und jeder das neue Profimodell kennen lernt. Früher wurden sogar die Veröffentlichungstermine für neue Kameramodelle so ausgelegt, dass sie rechtzeitig zu den Spielen bekannt, gekauft und beübt wurden, also immer etwa ein halbes Jahr vorher. Dieses Mal habe ich das nicht gesehen.

Die Fotografie wurde bei den Spielen zur Randnote.