Ansichten eines Informatikers

Der Wissensorcus Internet

Hadmut
13.8.2024 16:21

Von wegen „Das Internet vergisst nichts“ – eher so ein Digitalalzheimer.

Leider ist der Nature-Artikel nicht frei zugänglich, und der Zusammenhang erschließt sich mir nicht ganz, weil der Nature-Artikel besagt, dass wir mit der Digitalisierung von Wissen nicht nachkommen, während es im Tweet darum geht, dass Wissen, das schon im Internet war, daraus wieder verschwindet.

Aber zutreffend ist schon beides.

Immer mehr „Wissen“ (und „Schwätzen“) liegt auf Webseiten, aber der Effekt ist ähnlich wie bei Software: Es gibt keine zentrale Archivierung und Pflege. Es beruht alles darauf, dass sich irgendwer irgendwo darum kümmert, aber wenn irgendwo jemand pleite macht, in Rente geht, einen anderen Job findet, keine Lust mehr hat, den Löffel abgibt, es nicht mehr so läuft, was Besseres findet, oder sich die Aktualisierung nicht lohnt, verfallen Webseiten einfach.

Insofern könnte man eigentlich alle Wissenschaft in Abrede stellen, weil Wissenschaft umfasst, das Wissen zu konservieren und nachvollziehbar weiterzugeben, und es daran wohl fehlt.

Hätten wir einen weltweiten Stromausfall, oder vielleicht sogar eine Zerstörung der Computer, was gar nicht so abwegig ist, Viren, Attacken, Elektromagnetischer Puls durch Atombomben oder Sabotage, Sonnenstürme, wäre das alles futsch. Festplatten kann man bei kaputter Elektronik auch nach langer Zeit mit der richtigen Technik noch auslesen, aber SSDs sind selbst Elektronik, da ist anzunehmen, dass dann auch der Speicherchip futsch ist, wenn der Rechner hin ist. Außerdem können SSDs ihren Speicherinhalt ohne Strom nicht so lange halten, die brauchen gelegentlichen Refresh.

Stellt Euch einfach mal vor, es würden einige Chipfabriken in die Luft gejagt, und wir könnten auf Jahre keine Mikroprozessoren mehr herstellen. Das Zeug hält ja auch nicht ewig.

Aber selbst wenn nichts passiert:

Wer soll denn das Zeug alles mal warten und erhalten?

Wenn die Leute nicht mal mehr ordentlich lesen lernen?

Ich merke im Softwarebereich in vielen Fällen schon einen Verfall, wo Leute die Pflege übernommen haben, die dazu nicht mehr in der Lage sind und die Software selbst nicht mehr verstehen, und bug reports nur noch darauf prüfen, ob die Sprache respektvoll ist, aber nicht mehr verstehen, was im Bug Report steht.

Und wenn die USA, womit viele rechnen, auseinanderbrechen oder untergehen, dann ist da sowieso erst einmal Land unter.

Wir werden vermutlich in den nächsten 10, 20, 50, 100 Jahren enorm viel Wissen verlieren, wenn sich nicht noch ein unerwartetes Projekt, eine Instanz findet, die das alles erhält.

Und der Prozess des Verfalls wird wohl schon dann beschleunigen, wenn die Boomer weg oder in zumindest in Rente sind. Denn heute sind nicht nur viele Leute nicht mehr in der Lage dazu, das Wissen zu erhalten (wie auch, wenn viele schon nicht mehr richtig lesen können?), sondern sie wollen es ja auch nicht mehr. „Wissen alter weißer Männer – kann weg“.

Gerade hielt mir eine Kulturwissenschaftlerin vor, mein Wissen stamme aus den 90er Jahren, sei veraltet, nicht mehr gefragt. Mal abgesehen davon, dass ich einen großen Teil meines Wissens in der beruflichen Praxis ab 1998 aufgebaut habe, konnte sie auch nicht sagen, was denn das neuere Wissen sein soll. Worin ich denn veraltet sei. Es könnte aber durchaus sein, dass Wissen als solches nicht mehr gefragt ist, dass es also nicht darum geht, altes Wissen durch neueres Wissen zu ersetzen, dessen Unkenntnis man mir unterstellt, sondern darum, dass man eigentlich gar keinen Wert mehr auf technisches Wissen legt und es nur noch um political correctness und Weltanschauung geht. Ich werde demnächst was dazu schreiben.

Das sieht aber nicht nur so aus, als ob man Wissen nicht erhalten kann, und auch nicht will, sondern dass man es gezielt zerstören möchte, weil einem das Ergebnis politisch nicht passt.

Ich hatte das ja schon vor Jahren von einer Universität in Südafrika beschrieben, wo man Weiße vertrieben hat und das Wissen der Weißen wie Mathematik und Physik zum Teufel jagt, um endlich wieder „witchcraft“, Hexerei als afrikanisches Wissen wiederzuentdecken.

Und gender studies sind ja letztlich auch nichts anderes: Hokus Pokus ohne jede Grundlage, frei erfundener Blödsinn, mit der Rechtfertigung einer „alternativen Epistemologie“ und geheimnisvollen Formulierungen wie „wir wissen um …“.

Und inzwischen sehen wir ja auch, dass massenhaft Artikel in den social media, Blogartikel im Google Index gelöscht werden, also schon nicht mehr für die Allgemeinheit zugänglich sind.

Wir haben also nicht nur einen Wissensverlust, wir treten in eine Phase systematischer Wissensvernichtung ein, formerly known as „Bücherverbrennung“. Nur jetzt eben in einer zentralistischen Methode.

Ich mache mir auch ernsthaft Sorgen um meine Literatur: Was ist besser, e-Book oder Papier?

Bücher auf Kindle sind schön, weil ich auch unterwegs, im Flieger, am Strand, immer meine gesamte elektronische Kindle-Bibliothek dabei habe. Gleichzeitig bin ich hochgradig angreifbar, weil Amazon jederzeit Bücher sperren oder verändern kann, und das auch unfreiwillig, etwa durch Gerichtsbeschluss. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass deutsche Juristen das auch ausnutzen würden.

Oder was, wenn Amazon/Kindle irgendwann aufgibt oder kein Interesse mehr daran hat, weil es sich nicht lohnt?

Andererseits: Was ist mit den Büchern, wenn mir die Bude abbrennt? Oder Wasserschaden? Hatten wir doch gerade in Berlin, Wassereinbruch in die Bibliothek.

Ich kann sie ja auch nicht mitnehmen. Elektronische schon.

Schwieriges Thema.

Ich hege die Befürchtung, dass wir nicht nur, wie schon oft angesprochen, den Peak Bildung hinter uns haben, sondern dass hier in 30, 40, 50 Jahren die Mehrheit der Bevölkerung gar nicht mehr in der Lage ist, längere Texte oder überhaupt zu lesen, und Schrift auch weitgehend aus dem öffentlichen Leben verschwunden ist. Ich hatte ja schon viel dazu geschrieben, dass wir vieles wieder durch Emojis und neue Hieroglyphen ersetzen, weil sie eine zwar primitive und stark vereinfachte, aber sprachübergreifende Schrift sind.

Viele Leute können ja jetzt schon kein Deutsch. Mir ist schon vor Jahren im Supermarkt aufgefallen, dass die längst darauf achten, dass man in Bildern oder durch Klarsichtfolie sehen kann, was drin ist, und ein Symbol zeigt, von welchem Tier das Fleisch stammt. Das ist dann ein Schwein, oder eine Kuh oder ein Huhn drauf.

Und seit jeder ein Handy hat, gucken viele Video und hören Podcasts, aber mehr gelesen wird nicht. Im Gegenteil. Ich benutze ja selbst im Ausland gerne die Übersetzungsapp auf dem Handy, die mit der Kamera tatsächlich lesen kann und das Bild mit übersetzten Texten anzeigt. Das ist eine Frage der Zeit, wann Leute auf das Lesen verzichten und sich das vom Handy vorlesen lassen. Es wird ja schon die Ansicht vertreten, dass man gar nicht mehr Rechnen zu lernen braucht, weil das alles das Handy macht.

Wir erleben gerade einen massiven Prozess, in dem Wissen durch Moral und politische Korrektheit ersetzt wird.

homo sapiens war gestern.

Demnächst mehr dazu.