Ansichten eines Informatikers

Der Bundes-Murks „Mein Justizpostfach“

Hadmut
22.8.2024 23:38

Deutschlands Digitalisierung. Oder: Quality is a myth.

Dass das Justizpostfach zwar tendenziell in die richtige Richtung zeigt, die Implementierung aber eine Katastrophe und völlig unfertig ist, hatte ich schon beschrieben.

Auch, dass das sicherheitstechnisch mangelhaft und nicht nicht durchdacht ist. Mir ist bis heute nicht klar, ob die Dokumente im Browser oder auf dem Server ver- und entschlüsselt werden. Neulich hatte ich ja mal versehentlich mein Passwort für den geheimen Schlüssel kompromittiert, eigentlich nicht allzu schlimm, weil ich das mit Fachkunde ändern kann und man ja auch die Schlüsseldatei und den ePerso bräuchte, um dran zu kommen, aber es war für mich Anlass, mal doof anzufragen, was eignetlich ist, wenn der geheime Schlüssel oder dessen Passwort kompromittiert ist. Ich habe nie eine Antwort erhalten.

Es ist auch nicht klar, was zu tun ist, wenn der ePerso weg oder kaputt ist. Meinen ersten ePerso habe ich ja über die gesamte Lebensdauer von 10 Jahren nie elektronisch verwendet, weil es keine Gelegenheit dazu gab, aber bei meinen verschiedenen Umzügen in dieser Zeit sagten sie mir mal auf der Stadtverwaltung, dass der Chip kaputt sei, sie könnten die neue Adresse nicht elektronisch eintragen – was aber kein Grund sei, einen neuen Ausweis auszustellen. Und ich hatte ja berichtet, dass das in Berlin selbst mit Glück und Tricks Monate dauert, bis man einen neuen Ausweis hat. Und dann? Man weiß ja nicht einmal, wen man alles darüber informieren muss, dass man Schreiben nicht mehr bekommt.

Dazu kommt, dass man weder über eingehende Sendungen benachrichtigt wird, also im Prinzip ständig reingucken muss, um keine Fristen zu versäumen oder verkürzen. Dabei funktioniert das Einloggen nicht immer, und selbst wenn es funktioniert, ist es wahnsinnig umständlich. Ich wollte mal zählen, wieviele Mausklicks und Fenster man braucht, bis man endlich drin ist, aber es ist eine katastrophe Benutzerführung.

Man hat auch überhaupt keinen Nachweis darüber, dass man etwas abgesandt hat. Es gibt keinerlei Quittung oder ähnliches. Man kann höchstens einen Screenshot des Ausgangspostfaches machen, aber da steht nur das Datum drin, nicht an wen das ging. Man kann also gar nichts nachweisen.

Das Ding ist eine völlige Katastrophe. Man wollte auf die Schnelle Fax ersetzen und irgendwas auf Digital machen, und anscheinend das von vielen verfluchte Anwaltspostfach in der auf Bürger ausgewalzten Version. Ich weiß es nicht, ich habe das Anwaltspostfach noch nicht gesehen.

Man merkt dem Ding an, dass da jemand unter hohem (politischem?) Druck auf die Schnelle was zusammengegurkt hat, damit irgendein Minister zufrieden ist, damit man sagen kann, man hat eines, und dann ging das kaum weiter. Es gibt zwar ein Helpdesk, aber die als hilflos zu bezeichnen wäre noch gescheichelt.

Neulich ist das Ding schon für mehrere Tage ausgefallen. Anscheinend irgendein Server baden gegangen. Weil das aber am letzten Arbeitstag vor Karfreitag/Ostern war, und die dann natürlich alle Feiertag haben, wurde das erst nach Ostern wieder in Gang gesetzt. Was mit Fristen ist, die man dadurch versäumt hat – unklar, interessiert keine Sau.

Jetzt berichten verschiedene Medien – Heise, Morgenpost – dass das Ding seit Montag wieder ausgefallen ist, und sie es nicht wieder in Gang bekommen. Angeblich ging ein Softwareupdate schief.

Das Justizpostfach ist so richtig tiefenvermurkst. Da waren so Halbwissende am Werk, und das Ding hat offenbar überhaupt keinen Sicherheitsplan, keine greifbaren Sicherheitseigenschaften wie Zustellnachweis, Key recovery, Key replace. Man hat auf die Schnelle auf dem einfachsten Weg etwas zum „Vorzeigen“ gebaut, und, ganz wichtig, laut „Verschlüsselung“ und „ePerso“ gerufen, außerdem „Digitalisierung“, und ansonsten gemurkst.

Testen? Rollback? Disaster Recovery? Service Level? Alles wohl nicht vorhanden. Einfach hingerotzt.

Jetzt habe ich ein Problem. Weil ich mit dem Verwaltungsgericht Wiesbaden normalerweise mit diesem Ding kommuniziere. E-Mail nehmen sie nicht. Wie gut, dass ich meinen Account beim Faxdienstleister noch nicht gekündigt habe. Wir haben das Jahr 2024, und ich brauche Fax, um mit einem Gericht zu kommunizieren.

Wer ist für diesen ganzen Schrott verantwortlich?

Angeblich das Innenministerium. Also Nancy Faeser.

Apropos Digitalisierung: Das ZDF übt sich ja in vorauseilender Wähler- und Zuschauerbeschimpfung, und kam da wohl mit Hilfe eines Historikers zu dem Ergebnis, dass die im Osten AfD und BSW aus Angst vor der Digitalisierung wählen würden. Wahrscheinlich weiß man das, weil das 1933 auch schon so war. Was kurios ist, weil bisher die Grünen immer die Partei für die war, die Angst vor Digitalisierung hatten. Die Grünen wollten ja auch ISDN verbieten, weil Digitales des Teufels sei. Und jetzt heißt es, man würde aus Angst vor Digitalisierung AfD und BSW wählen.

Vorhin habe ich noch darüber gelacht und gedacht, der Schwachsinn ist so richtig auf ZDF-Niveau.

Wenn ich jetzt aber sehe, wie das mit der Digitalisierung in Deutschland läuft, bekomme ich auch Angst davor. Sowas kann ja ganz üble Rechtsfolgen haben. Wenn das Ding ausfällt, ist das wenigstens allgemein bekannt. Aber was, wenn Schreiben einfach verloren gehen? Wenn man eine Frist versäumt, weil der Schriftsatz nicht beim Gericht einging? Oder man eine Ladung nicht bekommen hat?

Erinnert mich an De-Mail. Wurde damals auch von ahnungsloser Quoten-Tussi gemacht. Es gilt das Prinzip „Quality is a myth“.