Die Filzlaus vom Alexanderplatz
Neulich war ich am Alex’ unterwegs,
da bin ich ja öfter mal zum Einkaufen. Ich war gerade so in Gedanken über irgendeine Belanglosigkeit versunken, als plötzlich einer direkt auf mich zukam, mir bisher nur als Name von Leseremails bekannt, mir gleich die Hand schüttelte, und „Na, wie geht’s denn so, bester aller Blogger!?“ rief. „Ja, im Moment geht’s gerade so“, antworte ich, „Danke. Und ich wünsch’ Dir alles Gute, Schönen Tag noch.“
Nun lief der mir aber weiter hinterher, und ich fragte „Willst Du was von mir?“ Seine Antwort: „Na, Du kennst mich doch, ich bin auch Wissenschaftler!“ Ich: „Na, dann muss es ja enorm wichtig sein…“
Ich habe versucht, den Kerl abzuschütteln, ohne Erfolg. Mal ging ich schnell, mal blieb ich stehen und tat so, als würde ich mit dem Handy telefonieren. Mir lief schon der Schweiß schier die Beine runter, und dachte mir so „Bolle, das Großhirn“, als der da irgendwas erzählte, wie schön es in Berlin und seinen Kiezen sei.
Als ich dann nichts sagte, meinte der, er sähe schon, dass ich versuchte, da wegzukommen, aber das werde nichts, er bleibe jetzt bei mir, folge mir auf Schritt und Tritt, überall hin. „Was soll der Quatsch, ich bin auf dem Weg zu jemandem, den Du sowieso nicht kennst! Ich muss über die Spree, Richtung Tiergarten. „Och“, meint der, er hätte gerade nichts zu tun und sei gut zu Fuß, da käme er doch jetzt einfach mit.
Mir schlug das schon aufs Gemüt, ich lief schon gebeugt, als müsste ich den wie eine Last, wie einen Aufsitzer auf dem Rücken herumtragen. Und der: „Wetten, dass ich besser schreiben kann, als Tichy und NiUS? Ich kann viel schneller Blogartikel schreiben als die! Ich bin geschmeidiger. Und singen kann ich auch, Peter Maffay wäre neidisch auf mich!“
Irgendwann kam ich mal zu Wort und fragte, „Sag mal hast Du denn niemanden, der sich mit dir beschäftigen will? Keine Freunde, keine Mutter? Nicht mal eine Parkuhr?“ „Alle schon tot!“ – „Die Glücklichen. Und jetzt bin ich dran? Na, los, gib mir den Rest! Mir hatten ja schon Leute prophezeit, dass ich mal umgelegt werde. Also los, schwätz’ mich tot!“
Prophezeiungen, dass ich als Blogger umgebracht werde, gab es viele. Doch eine, die Sabine, sagte mir einmal, dass ich nicht vergiftet, und nicht gemessert würde, nicht an Niereninsuffizienz, nicht an COVID und nicht an Herzinfarkt sterben würde, sondern mich irgendwann eines Tages mal ein Linker totschwätzen werde, weshalb ich, wenn ich klug wäre, auf Dauer die linken Schwätzer meiden würde.
Wir waren so am roten Rathaus angekommen, es war auch schon spät, da kam plötzlich noch einer an, der in irgendeinem Rechtsstreit irgendwas von dem wollte. „Wenn dir was an mir liegt“, bettelte der, „kannst Du mir nicht helfen?“.
„Nee, wirklich nicht, ich kann nicht mehr und kenne mich im Recht gar nicht aus“, meine Antwort. „Außerdem muss ich weiter, ich habe Dir ja gesagt, wohin.“
Der wieder „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich Dich oder den Rechtsstreit aufgeben?“ „Oh, bitte mich!“ Ich gebe auf, der Kerl ist mir ohnehin über. „Sag mal,“ fing der wieder an, „kennst Du den [anonymisiert]?“
„Der hat doch einen außergewöhnlich scharfen Verstand. Und hat eine tolle Karriere gemacht. Kannst Du mich dem mich mal vorstellen? Du könntest doch bestimmt noch einen Assistenten gebrauchen. Hol mich der Teufel, wenn Du nicht der beste für so etwas bist!“
Nein, sagte ich, „so läuft das nicht, wie Du Dir das vorstellst. Der ist da sehr integer und lässt sich auf solche Dinger nicht ein. Außerdem stört mich das auch nicht, wenn einer reicher oder klüger ist. Jeder hat seinen Platz.“ Der dazu: „Große Klappe, nicht glaubwürdig.“
„Der ist aber so“, sagte ich. Ja, meinte der, dann wolle er ihn umsomehr kennenlernen. „Ach“, sagte ich, „so toll, wie Du bist, wirst den sofort zum Freund haben“. Man muss nur erst einmal Kontakt zu ihm finden.
Und wie der da so redet und redet und redet, kommt mir ein guter alter Kollege entgegen. „Ach, wie geht’s, was machst’e“ fragte der, und der schien auch diesen komischen Vogel zu kennen.
Ich habe alles versucht, ihn an der Jacke gezogen, mit den Augen gerollt, dass er mich da aus dieser Situation rausholt. Aber der Mistbock hat sich verstellt und lachte nur. Mir lief da echt die Galle über.
„Du wolltest doch ganz dringend irgendwas Vertrauliches mit mir besprechen…?“ fragte ich.
„Ach, doch nicht heute,“ gurkte der, „es ist Wochenende, sowas macht man doch nicht außerhalb der Arbeitszeit!“ „Och, das stört mich jetzt nicht“, war mein Versuch, da doch noch rauszukommen. „Aber mich! Ich bin da konsequent, keine Arbeit am Wochenende!“. Der Mistbock sprach’s und ließ mich grinsend einfach so mit der Filzlaus zurück. Manchmal geht einfach alles schief. Erst hat man kein Glück, und dann kommt auch noch Pech dazu.
Auf einmal Geschrei. Ich natürlich hellhörig. Der Streitgegner von vorhin ist wieder da und hat die Polizei dabei. Und die führte eine Personenkontrolle durch und nahm den Vogel vorläufig fest.
Gottseidank, ich war diese Klette, diese Filzlaus endlich wieder los.
–
Ist das so passiert?
Nein, das ist nicht so passiert. Dieses Gespräch gab es nicht. Das ist nie passiert, nicht heute, nicht gestern (schon allein, weil nicht Wochenende ist), aber auch nicht letztes Wochenende. Zumindest nicht mir. Nichts davon ist mir passiert.
Ist es Fake? Ja. Habe ich es mir frei ausgedacht, es erstunken und erlogen? Nein, viel schlimmer: Ich habe es gestohlen und geklaut, plagiiert und abgekupfert, die ganze Geschichte, von vorne bis hinten, jedes Wort. Es ist wohl wirklich passiert, zumindest nehme ich das an, aber jemand anderem. Der darüber dann gewissermaßen einen Blogartikel geschrieben hat, von dem ich die Story von vorne bis hinten schamlos geklaut und abgeschrieben habe. Nur den Ort habe ich an den Alexanderplatz verlegt und die Namen ausgetauscht.
Die Frage, das Rätsel ist: Von wem habe ich das geklaut?