Ansichten eines Informatikers

Von der Etymologie des Idioten

Hadmut
31.8.2024 2:22

Mal wieder was für die Bildung. [Update]

Neulich musste ich lachen. Und an den Griechisch-Unterricht denken. Es heißt ja immer, Altgriechisch sei völlig nutzloses Wissen.

Eines, was ich damals im Griechischunterricht lernte, und ich kann mich noch erinnern, wie der Lehrer, so ein philologischer Feingeist und sehr, sehr netter Mensch, uns das erzählte, dass der „Idiot“ eigentlich eine völlig normale und neutrale Sache sei, es nämlich schlicht und einfach „Privatmann“ heiße.

Im Laufe der Zeit habe ich jedoch gelernt, ich weiß aber nicht mehr, wann und wo, dass das so nicht stimmt. Wortwörtlich schon, aber nicht sinngemäß. Denn in der damaligen Gesellschaft im alten Griechenland habe die Bezeichnung „Privatmann“ jemanden bezeichnet, der es nicht geschafft habe, einen Beruf zu erlernen und zu ergreifen und an die Öffentlichkeit zu treten. Jemand, der nur privat blieb, und nicht irgendetwas öffentlich anbot, vortrug oder ähnliches, wurde despektierlich als eine Art Versager angesehen, weil er nicht mehr mache, als irgendwie sein Essen zu beschaffen. Also müsste man es mit „Laie“, „Studienabbrecher“ oder „Ungebildeter“ übersetzen, denn daraus ergibt sich dieser Ton, dass es sich um jemand Dummes handele, dem das Wissen fehle.

Der plakative Gegenentwurf war vielleicht Diogenes, selbiger mit der Tonne (um eine Formulierung desselben Lehrers aus anderem Zusammenhang zu verwenden, wobei ihm nicht gefiel, dass ich so loslachen musste, weil mir die Wendung „Diogenes, selbiger mit der Tonne“ so gefallen hatte), den selbsternannten κοσμοπολίτης, Kosmopoliten, der als Asket sehr wenig für seinen Lebensunterhalt tat, aber viel in die Öffentlichkeit trug.

Ich war gerade so mit einem Auto (nicht mit einer Tonne, obwohl im Sinne Diogenes’ funktional durchaus verwandt) unterwegs, und wollte vor einem Supermarkt parken. Nichts besonderes, so ganz gewöhnlich, wie man vor einem Supermarkt eben parkt, um reinzugehen, was zu kaufen, wieder rauszukommen und wieder wegzufahren.

Und musste wieder lachen. Sehr ähnlich wie damals bei „selbiger mit der Tonne“. An der Wand stand zwar groß was von customer parking, da hing aber auch ein Schild

Nicht parken. Der Platz ist ιδιωτικός, idiotikos.

Lacher.

Nein, der Parkplatz ist nicht idiotisch, und auch kein Idiotenparkplatz, der Parkplatz ist schlicht und einfach privat, ein Privatparkplatz. Sollte in Zusammenhang mit dem anderen Schild darüber wohl bedeuten, dass das kein öffentlicher Parkplatz ist, sondern nur Kunden des Supermarktes da parken dürfen.

Bisschen weiter dann noch eine englische Version gefunden:

So fand ich es – wieder einmal, wie so oft – ergreifend, etwas aus einer 2000 Jahre alten Sprache verwenden zu können, wie eben so oft.

Es drängt sich natürlich die Frage auf, ob auch „parken“ aus dem Griechischen kommt, aber das glaube ich nicht, da wurde wohl eher ein moderner Begriff zurückimportiert, denn Park kommt angeblich von französisch parc → fr entlehnt, das auf mittellateinisch parricus (Gehege, umzäuntes Gelände) zurückgeht, ich weiß aber jetzt nicht, ob das das als altes griechisches Wort schon gab.

Tag später, anderer Supermarkt, nächster Lacher:

Sie haben renoviert und als neue Leistung jetzt einen betreuten Kinderspielplatz, wie bei IKEA. Einen Paidotopos. Paido = Kind (vgl. Pädo, wenn ich mich jetzt recht erinnere, von ursprünglich pais, παῖς oder παίς der Knabe, vgl. Päderast, heißt heute aber wohl eher „spielen“, und Topos ist die Fläche, wie in Topographie.

Ich finde das immer so wunderbar und komme mir vor wie im Disneyland der Etymologie. Und das Hühnchen süßsauer war dann „glükoxinos“ – eben „süßsauer“, wie in Glukose. Ich stehe oft da und könnte quieken, wenn die Milch „gala“ heißt (Galaxis = Milchstraße), der Fettgehalt „lipara“ heißt (lipophil) und der weiße Zucker „leukos“ (Leukozyten = weiße Blutkörperchen).

Ich finde Etymologie so wunderbar.

Und es kitzelt so schön, über 40 Jahre altes Wissen aus den Ritzen des Hirns zu zupfen.

Update: Schöner Leserkommentar dazu

was auch deshalb hervorragend passt, weil darin auch die Rede von Geschichtsschreiber Thukydides ist (ausgesprochen wie Tükidides). Eben besagter Griechischlehrer, selbiger mit der Tonne, kam nämlich eines Tages rein und war kaum in der Lage, seinen Unterricht zu halten, weil er sich gar nicht mehr darüber einkriegen, sich nicht damit abfinden konnte, was ihm widerfahren war, denn er war gerade von einer Philologenkonferenz mit Teilnahme von Amerikanern zurückgekommen, und die sprachen Thukydides eben amerikanisch aus, mit tee-äitsch, wie in “the”, also [US-Th]ackideides. Darüber kam der nicht hinweg, der war den Tag kaum zu gebrauchen.

Womit wir dann aber wieder bei den Studienabbrechern wären, denn eben jedem Thukydides wird dabei die Aussage zugeschrieben

Therefore, an “idiot” was someone who had chosen to distance themselves from these political responsibilities, failing to contribute to the collective well-being of the city.

It is certainly true that the Greeks valued civic participation and criticized non-participation. Thucydides quotes Pericles‘ Funeral Oration as saying: “[we] regard… him who takes no part in these [public] duties not as unambitious but as useless.”

However, neither he nor any other ancient author uses the word “idiot” to describe non-participants, or in a derogatory sense; its most common use was simply a private citizen or amateur as opposed to a government official, professional, or expert. The derogatory sense came centuries later.

Sage ich doch. Laie. Studienabbrecher. Grünen-Politiker.