Ansichten eines Informatikers

Deutschland, so fremd, so weit, so tot das Land

Hadmut
1.9.2024 0:03

Es tut mir leid, aber ich verliere die Fähigkeit, Deutscher zu sein.

Ich habe mich in diesem Land, besonders in den 80er und bis Mitte der 90er, und in begrenztem Umfang auch noch etwas Mitte/Ende der 2000er wohl und zuhause gefühlt.

Ende der 90er und in den 2000ern war ich schon mit unfassbar viel Korruption und Verlogenheit konfrontiert, aber das fühlte sich noch nach normaler Kriminalität an, die sich nur auf das Land gelegt hat.

Seit 2012 habe ich aber ein Gefühl, dass dieses Land in den Wahnsinn abdriftet, verrottet, zerfällt, und spätestens seit 2020 habe ich immer stärker, intensiver das Gefühl, dass dieses Land nicht nur in Korruption, Kriminalität und Dummheit ersäuft, die sich in Form von political correctness auf das Land gelegt hat, sondern dass das darunter, das Land, abstirbt, nekrotisch, verschwunden ist, dass daran nichts mehr von Eigenschaften ist, die mir noch irgendwie bekannt oder vertraut vorkommen, oder überhaupt noch irgendwelche „Eigenschaften“.

Innerhalb von weniger als 20 Jahren hat diese Decke aus politischem Schleim alles, was darunter war, erstickt, zersetzt, verdaut, verbraucht, vergiftet, abgeräumt.

Ich habe die letzten Tage im Vorfeld der Wahlen intensiv social media gelesen, und da ist nichts mehr, was mich noch anspricht. Nur Beschimpfungen, Vorhaltungen, Diffamierungen, Beleidigungen. Wenn sie wenigstens begründet wären und man erkennen könnte, worüber sich jemand aufregt, dann fände ich die Form nicht so wichtig.

Aber da ist nichts mehr.

Die Medien sind auch nicht besser.

Journalisten sind weder willens noch in der Lage, und in Kombination von beidem stört sie ihre Unfähigkeit nicht mal, politische Sachverhalte noch nüchtern, neutral darzustellen. Alles nur noch Geschrei, Beschimpfung und Meinungsnötigung.

Es tut mir leid, wenn ich das sage, und ich weiß, dass sich das arrogant anhört, aber: Es wirkt auf mich alles so unfassbar dumm.

Ich komme mir vor wie Cole Sear.

Cole Sear war der kleine Junge im Film „The Sixth Sense“:

Ich sehe tote Menschen. Sie wissen nicht, dass sie tot sind.

Ich sehe geistig tote Menschen. Sie wissen nicht, dass sie geistig tot sind. Zombies. Die Leute reden unfassbar dummes Zeug, und merken es nicht nur, sondern sind auch noch stolz darauf, fühlen sich überlegen, weil zu einer Aussage ohne greifbaren Inhalt kein Gegenargument kommt. Es geht nicht mehr (falls denn überhaupt je) darum, argumentativ zu gewinnen, sondern darum, zu demonstrieren, dass man Argumente nicht braucht und der andere einem erst gar kein Argument mehr wert ist.

„Wir sind mehr!“

Immer dümmer. Immer beliebter.

Ich weiß nicht mehr, was mich mit diesem Land noch verbindet.

Oder umgekehrt, was dieses Land noch mit mir verbindet, außer dem Stapel an Rechnungen, den ich bekomme, und der internationalen Vorwahl meiner Telefonnummer.

Oder, was an diesem Land noch Land sein soll, abgesehen vom Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes.

Ich weiß nicht mehr, was an mir noch „deutsch“ sein soll. Oder besser gesagt: Ich weiß sehr wohl, was an mir mal „deutsch“ war, und ich habe diese Eigenschaften noch immer. Aber diese Eigenschaften sind staatenlos geworden, obdachlos, zu Deutschland gehören sie nicht mehr. Ich habe keine typisch deutschen Eigenschaften mehr, weil es keine solchen Eigenschaften mehr gibt.

Ich weiß auch nicht mehr, was mich mit „Deutschen“ noch verbindet.

Schon seit 20 Jahren war es mir peinlich, nach längeren Auslandsreisen im Ausland für den Rückflug wieder an den Flughafen zu kommen und plötzlich wieder unter Deutschen zu sein, weil sie laut sind, negativ auffallen, sich nicht benehmen können. Damals schon habe ich manchmal lieber englisch gesprochen um nicht gleich jedem zu erkennen zu geben, dass ich auch deutsch bin. Aber immerhin gab es in den 2000er und 2010er Jahren noch genug Leute, mit denen man ganz normal und auf einer Ebene inhaltlich reden konnte. Die scheinen inzwischen völlig verloren gegangen zu sein.

Ich kann mit den allermeisten Leuten in Deutschland schlicht nichts mehr anzufangen. Das ist nur noch Gaga. Und wer nicht Gaga ist, dem kann man doch nicht trauen, weil man nie weiß, wer einen hinhängt und anschwärzt. Leute sagten mir, das Gefühl kennen sie aus der DDR, das wusste man auch nie, wer einen bei der Stasi anschwärzt. Man kann niemandem mehr vertrauen.

Und ich sehe auch nicht, wie das wieder besser werden könnte.

Ich habe gesehen, wie schlaue Leute dumm wurden. Aber es ist eine Einbahnstraße. Ich habe nie gesehen, wie dumme Leute schlau wurden.

Die Leute können nichts mehr, sie schaffen nichts mehr. Wir haben es etabliert, sich damit genug zu sein, andere zu beschimpfen, zu streiten, zu stören. Und immer mehr Leute gefallen sich daran, nicht nur faul und nutzlos zu sein, was ja noch entfernt erträglich wäre, sondern nur noch von negativem Wert zu sein, nur noch andere abzuhalten und zu stören, wobei auch immer.

Ich weiß nicht, was das ist. Deutsch ist es nicht. Aber ich weiß, dass ich mit diesen Leuten auch nichts mehr zu tun, nichts mehr gemein haben will.

Ich verbinde Deutschland inzwischen auch mit nichts Positivem mehr. Es ist für mich nur noch Stress, Kriminalität, Dauerfeuer an Geschwätz und Vorwürfen, endlose Angriffe, nur weil man anderer Meinung ist (und empirisch auch noch recht hat).

In vielen Ländern fühle ich mich weniger Fremd, als wenn ich in Berlin in den Supermarkt direkt vor meinem Küchenfenster gehe oder U-Bahn fahre. Das letzte Deutsche, was es an diesem Supermarkt noch gab, war, dass die RAF-Terroristin Daniela Klette da auch eingekauft hat, weil die gleich um die Ecke wohnte.

Obwohl, etwas typisch Deutsches gibt es doch, nämlich Diktaturen über die Juristen zu errichten. Aber das gefällt mir nicht.

Das Land meiner Jugend existiert nicht mehr. Immer dann, wenn ich geschlafen haben oder im Ausland war, oder gerade nicht geguckt habe, muss irgendwer heimlich ein Stückchen ausgetauscht haben, und jetzt ist nichts mehr davon übrig. Nicht mal ordentliches Brot bekommt man noch. Arzttermine auch nicht mehr. Unser Fernsehprogramm hat auf einem Dutzend Kanälen mit 24-Stunden-Dauerprogramm weit weniger Substanz als bei uns damals die drei Kanäle, die von 17:00 bis 00:30 liefen, bis der ganze Sender abgeschaltet wurde.

Die Sprache ist tot. Die Leute können nicht mehr vernünftig sprechen, kaum sinnvolle Sätze mit gewisser Komplexität bauen, und schon gar nicht einen Zusammenhang über mehr als zweieinhalb Sätze hinaus erhalten.

Die Leute sind nicht einfach nur dumm und halten sich für schlauer. Sie halten gerade ihre Dummheit für eine Überlegenheit, halten es für Stärke und Güte, von etwas erst gar keine Ahnung zu haben. Immer mehr Leute halten ihre eigene Unkenntnis für ein Argument. Dabei ist es zwar oft, aber nicht immer so, dass sie ihre eigene Unkenntnis nicht bemerken. Manche halten es gerade für Stärke und Überlegenheit, nichts zu wissen. Wenn ein anderer etwas sagt, halten sie es für überlegen und höherwertig, davon nichts zu wissen. Dummheit siegt.

Neulich fragte jemand auf Twitter/X, wie oft die Leute dieses Jahr schon im Freibad waren – wer sich noch traut. Niemand antwortete positiv. Eine solche Frage wäre zur Zeit meiner Jugend völlig undenkbar sein. Für uns war das Freibad einfach Spaß, unbeschwerte Lebensfreude. Das größte Problem daran, sich zu überlegen, welches Eis man isst und ob vor oder nach den Pommes. Wir haben das überhaupt nicht als Gefahrenort oder Bedrohung wahrgenommen. Ich kann mich nicht erinnern, als Kind auch nur ein einziges Mal Polizei im Schwimmbad gesehen zu haben. Wozu auch?

Ja, Klopperei im Schulbus gab es mal. Da war aber Ruhe, wenn der Fahrer gebrüllt hat, und mehr als ein bisschen Nasenbluten gab es nicht. Messerangriff undenkbar.

Und vor allem: Wir wurden – schon mangels Technik – nicht so mit Ideologie und Dauerpropaganda dauerbedröhnt und von allen beschimpft. Wie auch, Internet, Handys, Foren gab es ja noch nicht. Wir hatten noch unsere Ruhe. Man hat abends Fernsehen geguckt, mit den Nachrichtensendungen um 19:00 und 20:15 (danach kamen keine mehr) und die Tageszeitung gelesen – oder es bleiben lassen. Sonst gab es nichts, außer dass beim Bäcker noch die BILD auf der Theke lag und es in jeder Wohnung ein Telefon gab. Nichts und niemand hat einen sonst noch erreicht. Wenn ich spielen, Radfahren, im Freibad war, hat mich einfach gar niemand erreicht. Völlige Ruhe. Kein Handy, kein Funkgerät, einfach gar nichts.

Heute werden wir nur noch rund um die Uhr auf allen Kanälen dauerhaft beschimpft, beschuldigt, belehrt, und zum Depp und Staatsfeind erklärt. Von Leuten, die einer mechanischen Parkuhr intellektuell unterlegen wären, wenn es die noch gäbe. Und dieselben Lager, die im Dauerfeuer Beleidigungen rausdonnern, sind selbst überemfindlich und schreiben zentral organisiert reihenweise Strafanzeigen, worüber man vor 40 Jahren noch gelacht hätte.

Ich finde nichts mehr, was ich mit diesem Land noch gemein habe.

Ich finde nichts mehr, was dieses „Land“ noch mit dem gemein hat, in dem ich mal aufgewachsen bin.

Ich weiß auch nichts mehr, was ich noch Positives über das Land schreiben könnte. Manchmal meinen Leser, ich sei zu negativ. Aber ich finde nichts Positives mehr. Zumindest nichts, was ich dem Land zuordnen könnte und nicht als nur rein zufällig gerade da passiert ansehen würde.

Überall schreien ein Leute an, gedruckt, elektronisch, persönlich. Es gehe um ihre Zukunft, ihre Zukunft sei im Eimer.

Leute, was macht Ihr Euch Sorgen um Eure Zukunft? Ihr habt doch nicht mal eine Gegenwart. Wovon wollte Ihr denn eine Zukunft haben? Ich habe dagegen wenigstens noch eine Vergangenheit, von der ich zehren kann.

Das Klima wollen sie retten. Die Temperaturen werden ihr geringstes Problem sein. Wo wollen sie denn überhaupt noch leben? Sie kommen immer mit dem Spruch, dass es nur eine Erde gäbe und wir keine zweite hätten. Ja. Sprach der, der den Ast absägte, auf dem er saß, aus Angst, der Baum könnte Feuer fangen. Sie haben Angst vor 1,5 Grad Klimaerwärmung, aber wenn einer fragt, wer diesen Sommer im Freibad war, ruft keiner mehr „Ich!“ – man streamt sich Bilder vom Baden nach Hause, ist sicherer. Leute, wir waren damals den ganzen Sommer über im Wasser. Mal im Freibad, mal am Baggersee. Im Urlaub am Meer. Auf so eine Frage wären wir gar nicht gekommen.

Aber es ist auch niemand mehr da, dem ich wenigstens von dieser Vergangenheit noch erzählen könnte, ohne beschimpft zu werden.

Es fühlt sich an, als ob man vor der Leiche seines Landes steht.

Ich habe die Fähigkeit verloren, mich deutsch zu fühlen, deutsch zu sein, eine Verbindung zu diesem Land zu haben.