Frage zur “Wackelkamera” in Film und TV
Ein Leser fragt an:
Zu Tristan Grünfels fragt ein Leser:
Hallo Hadmut,
da Du in dem Artikel (und anderswo) darauf hinweist, dass Du Dir Filme auch unter „technischen“ Aspekten anschaust, hier eine Frage, die mich seit Jahren so „quält“, dass ich fast keinen Film mehr angucken kann, ohne mich darüber aufzuregen:
Welchen Sinn hat die überall präsente „Wackelkamera“?
Selbst bei den ruhigsten Einstellung, wo man als Teilnehmer (anstelle der Kamera) auch ruhig sitzen/stehen bleiben oder zugucken würde, wackelt die Kamera, als gäbe es keine Stative und der Kameramann bzw. der (virtuelle) Zuschauer hätte schwer Parkinson.
WARUM macht man das? In jedem Handy ist inzwischen ein Bildstabilisator softwaremäßig „eingebaut“, damit man trotz Bewegung oder Zittern hinterher „unverwackelte“ Filme hat. Wer es sich leisten kann, rennt mit tragbaren Stativen herum, die die unkontrollierbaren Bewegungen des Trägers ausgleichen, damit der Film schön „unverwackelt“ aussieht. … Und alle Profis in allen Filmen machen genau DAS GEGENTEIL?
Die einzige, hämische aber natürlich wohl so (hoffentlich!) nicht zutreffende Begründung wäre, dass die Regisseure mit diesem „Stilmittel“ in ihre sonst noch todsterbenslangweiligeren Filme etwas „Bewegung“ bringen wollen, indem sie den Zuschauer zwingen, unbewusst immer den eigenen „Bildstabilisator“ im Kopf einzuschalten und das Gehirn so zu beschäftigen, damit der Zuschauer dann intuitiv denkt: „Hach, so langweilig, wie es scheint, kann der Film ja gar nicht gewesen sein, denn mein Hirn war ständig beschäftigt …“
Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahren auch nur EINEN EINZIGN Film gesehen zu haben, bei dem man wie bei den alten Klassikern (und erst recht bei den Billigproduktionen damals mit quasi „Standbildern“ als Hintergrund) ganz ruhig einem ruhigen, günstigstensfalls sogar mit Bedacht (von Bedenken) komponiertem Bewegtbild zuschauen konnte, sondern statt dessen ständig mit „Ent-Wackeln“ beschäftigt war!
Was lernen diese Leute auf Filmhochschulen?
Warum gibt es Bildstabilisatoren in Hard- und Software-Ausführung? Wenn „Wackeln“ natürlich sei und gewünscht wäre, gäbe es die doch nicht, oder?Ich begreif’s nicht …
Normalerweise macht man das, damit es
- authentisch (real live, nicht gestellt)
- dramatisch
- nach Laien- und Handyaufnahmen
aussieht. So wie man Amateuraufnahmen auch andeutet, indem man die Bildschirmanzeigen früherer Videokameras einblendet oder die Bildqualität künstlich heruntersetzt.
Allerdings stimmt das mit dem Software-Bildstabilisator für professionelle Produktionen meines Wissens nicht, weil nur die Amateur- und Reportagekameras so etwas haben, denn ein Bildstabilisator in Software kostet ja Auflösung und damit Bildqualität, weil er interpolieren muss.
Klassischerweise verwendet man bei der Produktion
- Schienen und Rollstative (Dollys), damit die Kamera erst gar nicht wackelt,
- Steadycams (physikalische Ausgleichssyteme zur Stabilisierung)
- weniger leistungsfähig, aber leichter und billiger Überkopfstative, bei denen der Kameramann eine Art Korsett trägt, an dem auf seinem Rücken ein Halterohr befestigt ist, das bogenförmig über seinen Kopf nach vorne geht, und an dem dann die Kamera an einem ganz dünnen Seil hängt, also frei beweglich ist, nur nicht in der Vertikalen, und damit nicht nur die Arme vom Gewicht entlastet, sondern auch von den Zitter- und Wackelbewegungen der Hände entlastet,
- elektronisch gesteuerte Gimbals
- Schulterkameras, die generell weniger wackeln als in der Hand geführte,
- sogenannte „rigs“, also Gestelle für die Kamera, die man generell ruhiger hält als nur die Kamera,
Zumindest die letzten vier sollten auch bei Fernsehproduktionen im Budget drin sein. Die sollten also durchaus ruhige Aufnahmen hinbekommen, auch ohne die Softwarestabilisierung.
Für mich bleibt nur die Erklärung, dass es als – ausgelutschtes und veraltetes – Stilmittel eingesetzt wird. So, wie in vielen Filmen die Computer noch dudeln und Zeichen für Zeichen auf dem Bildschirm ausgeben wie in den 70er und 80er Jahren, obwohl sie das schon lange nicht mehr tun.
Andererseits: Wie sollten sie es auch sonst machen? Such is life …