Vom 35-jährigen Russen und den Betten in Tasmanien
Leser fragen – Danisch antwortet.
Mehrere Leser hatten angefragt, welche Erfahrungen ich denn mit Russen gemacht habe. (Einer beschimpfte mich und fragte, ob mich mal eine Russin nicht rangelassen habe.)
Die meisten Geschichten sind nicht erzählfähig. Von der unerträglichen Russin in Larnaca, die meinte, wenn sie mit ihrem Rotzbengel kommt, müssten alle auf die andere Straßenseite wechseln (ohne sagen zu können, woran man das vorher erkennen können sollte, dass sie Russin ist, oder was man zu tun hätte, wenn auf beiden Straßenseiten Russinnen laufen). Aber um die Fragen wenigstes so ein wenig anekdotisch zu beantworten, eine Schote, die mir in ewiger Erinnerung bleiben wird.
Als ich noch jünger war, bin ich einige Male mit Contiki gereist. 1999 quer durch die USA von New York nach LA, und 2000 dann Australien, Northern Territory, Queensland runter bis Sydney.
Und dann 2002 noch in einer Reise zwei kleinere Contiki-Touren, eine um Tasmanien und eine um ganz Neuseeland.
Nun muss man dazu sagen, dass diese Reisen wirklich nicht für jeden geeignet sind, weil man sehr, sehr viel in sehr wenig Zeit packt und wie ein Wahnsinniger im vollgestopften Bus von einer Attraktion zur anderen zu brettern, noch irgendwelchem Krimskrams und Klimbim mitnehmen, um einfach möglichst viel Erlebnis in möglichst wenig Zeit zu packen. In Neuseeland hatte ich mal innerhalb von 36 Stunden drei verschiedene Neoprenanzüge von drei verschiedenen Veranstaltern an, weil ich hintereinander Rafting, Riverboarding und Canyoning gebucht hatte.
Gut ist das eigentlich nicht. Mir kam Neuseeland damals wie ein großer Abenteuerpark vor, als würde man in Disneyland von einer Achterbahn zur nächsten hetzen. Ich war ja dann Jahre später noch zweimal selbst mit dem Wohnmobil dort und habe mich gewundert, dass wenn man mit mehr Zeit und selbst fährt, Neuseeland völlig anders erlebt. Das ist ein völlig anderes Land. Auf der Contiki-Tour hatte man beide Inseln in zwei Wochen runtergerissen, und mir hätten dafür 6 Wochen oder 3 Monate eigentlich nicht gereicht. Aber ich will das jetzt auch nicht schlecht machen: Wenn man nur begrenzt Geld und nur wenig Urlaubszeit hat, kann man auf diese Weise möglichst viel „Erlebnis“ haben, und sich ein Land einfach mal zeigen und vorführen lassen. Für einen ersten Eindruck ist es gar nicht so schlecht. Ich erzähle das, weil ich gleich auf ein Detail zurückkomme.
Vor Neuseeland war ich auf der Tasmanien-Tour, die war auch etwas ruhiger, weil zwar nur – weiß nicht mehr – 8 oder 10 Tage, aber eine deutlich kürzere Strecke, und Tasmanien eben weitaus weniger Hektik und Action hat. Dafür sind auch die Unterkünfte in Tasmanien viel einfacher, man hat da so rustikale Hütten mit so 5 bis 8 Pritschen (Bett wäre zuviel gesagt), viele als Doppelpritsche übereinander. Die Frauen und die Männer mussten sich also immer so eine Sammelbude teilen.
In dieser Reisegruppe hatten wir einen Russen.
Er war, soviel kann ich sagen ohne schwul zu sein, ein wahrhaft schöner Mann, ging auch immer sehr aufrecht und vornehm, war – ohne Zweifel – hochgebildet und bestens erzogen, stammte zweifellos aus einer reichen Familie, weil Kleidung und Gepäck alles vom Feinsten und ohne Tadel, und der machte – was offenbar Teil seiner Ausbildung war, einen überaus aristokratischen Eindruck auf andere. Das war so ein Mensch, der von kleinauf zum Vorstandsvorsitzenden herangezogen worden war. Er sprach fließend und akzentfrei Oxford-Englisch. In früheren Zeiten mit Sicherheit ein Adliger. Heute vielleicht auch noch. Der Kerl sah auf den ersten Blick nach Elite aus.
Das Problem daran: Der war nicht nur hochgebildet, der war auch eingebildet. Der hatte so eine permanente innere Arroganz, hatte für jeden anderen nur ein mildes Lächeln übrig, so von oben herab. Der lies permanent alle und jeden spüren, dass sie unter seiner Würde waren und es eigentlich nur seine Gnade war, dass er sich überhaupt mit anderen abgebe. Wir müssten quasi dankbar sein, dass er uns die Ehre seiner Anwesenheit zuteil werden ließ.
Nun hatte das mit dem vornehm einherschreiten zwar den Vorteil, auf Frauen viel Eindruck zu machen, aber auch handfeste Nachteile. Wenn man nämlich in die Bude kam, gingen wir nach dem Prinzip „first come, first serve“ vor: Jeder, der reinkommt, sucht sich ein Bett aus. Aus irgendwelchen Gründen, die ich nie herausgefunden habe, waren die Betten meistens von ungerader Zahl, fast immer ein Einzelbett, etwas breiter, richtiges Bett, und schmalere Doppelstockpritschen. Der Erste hatte also immer das gute Bett, und alle danach die Pritschen in absteigender Qualität. Und weil er ja nicht sputen konnte, sondern immer vornehm einherschreiten musste, war er meist unter den Letzten, und es stank ihm extrem, dass er als Edelmann nur die Pritsche bekam, während irgendwer anderes das beste Bett hatte.
Also brach er einen Streit vom Zaun, weil er meinte, es könnte nicht angehen, dass der, der zuerst im Zimmer sei, das beste Bett bekäme. Es müsse nach Randordnung und Lebensleistung gehen. Also sich der Älteste das beste Bett aussuchen können, dann der Zweitälteste und so weiter.
Und er bekam darin – das hätte ihm zu denken geben sollen – verblüffend wenig Widerstand. Ich, aber auch einige Jüngere, die dabei mit Sicherheit den Kürzeren zogen, erklärten sich einverstanden. Also beschlossen wir, dass künftig der Älteste zuerst sein Bett wählen kann und so weiter. Heiliger Eid, mit Blut besiegelt.
Er dachte nämlich, er sei der Älteste.
Warum?
Weil Contiki damals nicht nur ein anderes (besseres) Logo hatte, sondern auch noch strikt auf das Alter 18-35 beschränkt war. Und das war auch gut so, weil auf diesen Reisen auch viel Krach, und – vor allem Engländer und Amerikaner – viel gesoffen wurde. Die „Party People“ auf manchen der Touren waren sehr schlimm, und der Dauerstress, von einer Veranstaltung zur anderen zu hetzen, ist nicht jedermanns Sache. Insofern war diese Beschränkung eigentlich richtig.
Und weil der Russe nur noch wenige Tage, eine Woche oder sowas, bis zum 36. Geburtstag hatte, war er felsenfest überzeugt, dass er der Älteste war. Der hatte sich also schon den ganzen Tag gefreut, dass er sich am Abend sein Bett aussuchen könne und der Chef im Laden sei, als ich dann ankam, und ihn unter allgemeinem Gelächter des Bettes verwies, weil ich älter sei. Ich sei nämlich schon 36.
Der, wollte das nicht glauben, das könne ja gar nicht sein, Contiki habe doch ein Limit auf 35, wollte meinen Reisepass sehen. Habe ich gezeigt, und mit Zustimmung aller anderen für den Rest der Reise immer das beste Bett gewählt (die wollten einfach nicht, dass der das bekam), und obwohl der dann ständig eine andere Regel durchsetzen wollte, haben ihn immer alle daran erinnert, dass er doch diese Regel selbst haben wollte und wir sie beschlossen hätten. Der ist fast explodiert. Das war für den unerträglich, dass er nicht nur für den Rest der Reise die Nr. 2 war, sondern das auch selbst vorgeschlagen hatte.
Wie kam das aber?
Wenn man einmal bei Contiki mitgefahren ist, bekommt man im nächsten Jahr eine E-Mail mit einem Rabattgutschein für den Sommer, damit man wieder fährt. Weil ich 1999 und 2000 schon gefahren war, schickten die mir 2001 und 2002 frühlings (als ich noch 35 war) wieder solche Gutscheine für das Jahr. Also dachte ich mir, gut, dann buche ich noch eine, und bin gleich ins Reisebüro, die besagten Reisen zu buchen.
„Geht nicht“ befand die Dame im Reisebüro.
Was soll das heißen, „Geht nicht“?
„Sie sind zu alt! Ich kann das nicht eingeben.“
Damals nämlich hatten die noch keine Webbrowser, sondern noch die alten 80×25 monochrom Blockterminals für das Buchungssystem. Und dieses System hatte für Erwachsene keine Altersgrenzen eingebaut, aber für Kinder. Da konnten die Reiseveranstalter Altersgrenzen angeben, die die Software durchsetzte. Deshalb bot Contiki seine Reisen gar nicht für Erwachsene an, sondern für Kinder bis 35, damit die Software die Altersgrenze (eben 35) durchsetzen konnte. Und weil ich zum Zeitpunkt der Reise, Ende 2002, eben schon 36 war, verweigerte das System die Buchung.
Da war ich sauer, und habe Contiki eine böse Mail geschrieben. Warum sie mir eigentlich Werbung und Aufforderung zur Buchung und Gutschein und Pi Pa Po schickten, wenn ich die doch sogar bei sofortiger Reaktion nicht mehr buchen kann. Ich hätte extra geplant, Flüge belegt und in der Firma abgesprochen und sei ins Reisebüro … [Danisch sauer, kommt sich verarscht vor].
Kam eine Antwort von Contiki mit Entschuldigung. Sorry, täte ihnen so leid, Softwarefehler. Ihre Software, die die Werbung per E-Mail verschickt, habe nur das Alter zum Zeitpunkt des Versandes, aber nicht zur möglichen Reisebuchung berücksichtigt. Eigentlich hätte ich das Angebot und den Gutschein gar nicht mehr bekommen dürfen. Das würden sie korrigieren. Um mich aber nicht zu vergrätzen, würden sie mich ausnahmsweise nochmal mitnehmen, Sonderbuchung direkt bei Contiki als Individualreise statt als Kind über das Buchungssystem, mit der Begründung, dass ich ja schon zwei Reisen hatte, mich also nicht beschweren könnte, weil ich ja erweislich wüsste, worauf ich mich einließe. (Ihnen war das Risiko zu hoch, ihre Reisen Leuten über 35 anzubieten.)
Also ware ich – damals zu den Zeiten, als die die Grenze noch hatten – der angeblich Einzige, der älter als 35 bei Contiki mitreisen konnte. Der Reiseleiter mit der Teilnehmerliste und den Geburtsdaten hatte mich auch ganz verblüfft gefragt, wie ich das denn hinbekommen hätte, das ginge doch gar nicht. Also hatte ich das erzählt, und manche hatten das gehört, wussten also, dass ich der garantiert älteste Teilnehmer der Gruppe war, weil als Einziger über 35.
Der Russe wusste es nicht. Und er dachte, weil er Ende 35 war, sei er der Älteste und hatte durchgesetzt, dass der Älteste zuerst sein Bett auswählen darf. Ich, und die, die das wussten, haben sich damit einverstanden erklärt und es mehrheitlich beschlossen.
Und das hat ihn dann so gewurmt, dass er schier verkocht ist. Vor allem, weil er sich das selbst eingebrockt hatte. Die Gruppe war der Meinung, dass das eine hervorragende Ergänzung und Vervollständigung seiner nunmehr perfekten Erziehung gewesen sei. Und ich habe das dann auch durchgezogen, mir Zeit zu lassen, als Letzter ins Zimmer zu kommen und dann das beste Bett zu wählen, unter breitem Grinsen der anderen (bis auf den Russen).
Als ich in Berlin arbeiten war, habe ich immer wieder Contiki-Reisebusse gesehen, weil ich auf dem Weg zwischen der S-Bahn und dem Arbeitsplatz an einer Stelle vorbeikam, die offenbar der regelmäßige Halte-, Ein- und Aussteigeplatz für Contiki-Reisen durch Deutschland/Europa war. Immer, wenn ich diese Busse sah, sind mir all die vielen schrägen Abenteuer wieder eingefallen.