Ansichten eines Informatikers

Die Generation, die Computer reparieren kann

Hadmut
29.10.2024 11:59

Kurz und knackig:

Leserzuschrift

die einzige Generation

Hallo Hadmut,

grad online gelesen:

“Als ich jung war, habe ich die Computer von meinen Eltern repariert. Jetzt repariere ich die Computer für meine Kinder. Sind wir die einzige Generation, die versteht wie Computer funktionieren?”

Das hat mich genau zwischen die Augen getroffen und dürfte bei dir vermutlich auch ein paar Knöpfe drücken…

MfG

Yup. Sind wir. Jedenfalls in Westen. Geht mir ja auch so.

Einer der Knöpfe, die das bei mir drückt, ist meine Zeit an der Uni. Wir waren die Generation von Informatikern, die sich das aktuelle technische Wissen zu Software und Internet alles selbst aneignete und viel besser Bescheid wusste, als die sogenannten „Informatik-Professoren“.

Während wir die Unix-Systeme beherrschten und die tollsten Dinge bauten, phantastische Funktionalitäten in sendmail-Regeln implementierten, konnte die eine Hälfte der Professoren E-Mail gar nicht lesen und brauchte Ausdrucke, und die andere Hälfte kam gerade so mit einem mausbedienbaren Mac und dessen idiotengängiger Oberfläche zurecht. Als das „World Wide Wide“ aufkam, hatten die Sekretärinnen Konjunktur, weil die für Informatikprofessoren wie den damals meinigen, die mit einem Browser überfordert waren (obwohl die damals noch gar nichts konnten außer rauf und runterscrollen und Links folgen) und meinten, Fax wäre das einzig wahre Kommunikationsmittel, Webseiten ausdrucken und in der Aktenmappe vorlegen.

Das ist der Widerspruch, den manche Leser schon ansprachen oder nicht verstanden, nämlich warum ich mir gleichzeitig so viel auf mein Informatikstudium einbilde und die Informatikprofessoren für unfähig halte. Weil unser Studium damals eben nicht auf den unfähigen deutschen Informatikprofessoren (von denen übrigens kaum einer selbst Informatik studiert hatte, sondern die waren, die in anderen Fakultäten nichts geworden waren und die Gunst der Stunde genutzt hatten, als man Informatikfakultäten aus dem Boden stampfte, aber noch keine Informatiker hatte, und deshalb jeden nehmen musste) beruhte, sondern darauf, dass es aus den USA gute Fachbücher gab, und wir die ersten waren, die das Internet benutzten und damit experimentierten, wir damit auch die ersten waren, die ihr Wissen aus den „social media“ (damals Mailboxen, Foren, usenet, newsgroups) bezogen. Und wir waren die ersten, die damals ihre Bücher direkt aus den USA bezogen, nämlich über ein dubioses kleines Garagenminiunternehmen namens Amazon, das Bücher per Büchersack mit 6 Wochen Lieferzeit aus den USA „surface“ versandte. Gut möglich, dass eines meiner Bücher, die ich mir damals kaufte, noch von Jeff Bezos persönlich eingetütet worden war. Denn wir waren die Generation „C64“, die sich noch alles selbst aneignen musste, weil es vor ihnen niemanden gab, der das wusste. Und wir waren außerdem dann auch noch die Generation „C64“, die noch die Möglichkeit hatte, alles komplett durchzuverstehen, weil die Komplexität das noch erlaubte.

Wir hatten damals, vor dem C64, eine „Mitsui Sord M23 Mark III“, kaum bekanntes Nischenprodukt, Z80 mit 2 Speicherbänken zu je 64kByte RAM. Gruselig zu bedienen, sehr kurioses Betriebssystem, alternativ aber auch mit CP/M zu nutzen.

An Programmiersprachen gab es nur ein ganz schauderhaftes, praktisch unbrauchbares BASIC und einen Assembler. Also habe ich mir in Assembler einen Disassembler geschrieben, das gesamte Betriebssystem (das waren meiner Erinnerung nach so um die 15 oder 20 kByte) mit dem Nadeldrucker auf Endlospapier disassembliert ausgedruckt, was einen ganzen Aktenordner voll ergab, und habe meine Osterferien, 3 Wochen, damit verbracht, jede Zeile zu lesen, zu verstehen und mit farbigen Kugelschreibern zu kommentieren und die Prozeduren zu kennzeichnen.

Ich habe dabei unglaublich viel gelernt, wie der ganze Computer aufgebaut ist und funktioniert, etwa die Ansteuerung des Intel 8255.

Einen C64 (und während der Bundeswehrgrundwehrdienstzeit sogar einen VC20, in den ich mehr RAM eingelötet hatte, samt Minifernseher, weil die zusammen in das Privatfach im Spind passten, was einige Dienstgrade zum Ausflippen brachte: Die haben in der zweiten Kompanie einen Wehrpflichtigen, der einen Computer im Spind hat. Nee, wirklich, einen richtigen Computer!) und dann einen Amiga. Auch vom Amiga habe ich sehr viel gelernt, denn dessen Betriebssystem war auf einer Sun 3/50 entwickelt worden, im Prinzip war der Amiga so etwas wie eine Mini-Sun, und es war deutlich zu spüren, dass sich dessen Entwickler an Unix orientiert hatten. Und deshalb fiel mir dann der Umstieg auf Unix auch sehr leicht.

Wir sind eine Generation, die es von kleinauf gewohnt war und ist, sich alles selbst anzueignen und durchzuverstehen.

Damit waren wir allerdings nur in elektronischer Hinsicht, auf Computer die ersten.

Die Generationen vor uns, vor allem die im ersten und zweiten Weltkrieg, waren das auch – aber in mechanischer Hinsicht. Damals konnte man Autos, Maschinen und so weiter, noch alles selbst verstehen und reparieren. Und noch bis zu Zeiten Goethes konnte man die gesamte „Wissenschaft“ studiert und verinnerlicht haben. Ich habe als Kind noch leidenschaftlich gern ausgemusterte (und leider manchmal auch noch funktionierende) Geräte und Maschinen auseinandergenommen, um zu sehen, was da drin ist, wie sie funktionieren. Das ging damals noch. Ich war auch noch leidenschaftlicher Elektronikbastler.

Das geht heute nicht mehr. Elektronikbasteln hat sich total verändert, man bestellt irgendwelche Module aus China, steckt die vielleicht noch zusammen, und programmiert die dann über irgendeine Webseite mit einfachen graphischen Programmen, denen man nur noch sagt, was man will, ohne sie aber richtig zu verstehen.

Deshalb fand ich das auch so absurd, als damals, so zwischen 2000 und 2010, uns eine Schar bekloppter Politiker und noch bekloppterer Journalisten erzählen wollten, dass wir bald komplett überflüssig und abgehängt würden, weil jetzt die „digital natives“ kämen, die damit aufgewachsen seien, während wir ja eher sowas wie eine senil-debile Rentnertruppe seien, der man mühsam erklären müsste, was ein Computer und was das Web ist.

Pustekuchen.

Wir waren die, die es erfunden und aufgebaut haben, und wir waren die ersten und die letzten, die noch die Chance hatten, das alles komplett zu durchschauen.

Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum ich so rasend sauer über die abgesägte Promotion bin. Nicht so sehr wegen des Doktorgrades, sondern wegen des Zeitfensters. Das war damals – Stichwort Dotcom-Blase – ein phantastisches Zeitinterval, in dem diese Generation als erste in der Lage war, das Internet und die Digitalisierung zu nutzen und zu verstehen, und als letzte in der Lage war, sie durchzuverstehen. Ich war damals in der sagenhaften Situation, nahezu alles zu wissen, was es zu Unix, Internet, Web zu wissen gibt, genug, um die Welt zu erobern. Und viele taten das auch, eben die Dotcom-Blase. Dinge wie Linux, Google, Amazon konnten damals entstehen. Stattdessen musste ich mich erst mit korrupten, unfähigen und fachlich willkürlich selbsternannten Professoren rumschlagen, die so unfähig waren, dass sie eine Sekretärin zum Webseiten-Ausdrucken brauchten, sich damit rühmten, eMail nicht zu verstehen und abzulehnen, und Fax für das ultimative Professorenkommunikationsmittel zu halten, weil es in jedem angemessen Hotel eines an der Rezeption gäbe, man also weltweit erreichbar sei, weil ja die Sekretärin immer wisse, wo man gerade sei. Und danach mit korrupten Richtern, die genauso schlimm waren. Deshalb bin ich ja so stinksauer. Weil man das nicht reparieren, nicht ersetzen kann.

Ich habe in meiner Grundwehrzeit und als Student – notgedrungen – meine Autos noch selbst repariert und konnte das im Prinzip auch alles. Auspuff oder Ölpumpe austauschen und sowas alles.

Geht nicht mehr. Man kann sein Auto nicht mehr reparieren, weil man für alles die Computersysteme der Hersteller braucht.

Nach uns kamen keine Versteher- und Durchblicker-Generationen mehr, sondern Anspruchs- und Konsumentengenerationen. Ich bin manchmal fassungslos, wenn ich sehe, mit welcher irren Geschwindigkeit junge Frauen auf ihrem Handy tippen können, aber technisch verstehen sie nicht, was da passiert. Wenn die Leute von etwas Ahnung haben, dann sehr spezialisiert in Nischenthemen. Generalisten gibt es nicht mehr. Mich hat es in den letzten 15 Jahren immer wieder gegruselt, wenn ich in Firmen auf junge „Informatiker“ mit frischem „Master“ gestoßen bin, wie wenig die wissen und können, was ich als „alter Sack“ denen noch alles nachschulen und erklären musste, selbst Grundlagenwissen. Dafür sind die dann auf irgendeine Java-Entwicklungsumgebung spezialisiert, in der sie sich ganz toll auskennen, von der ich dann wieder nicht weiß, wie man die benutzt, und derentwegen man die eingestellt hat.

Und deshalb sterben gerade so viele OpenSource-Projekte ab.

Da sitzen dann Leute, die auf Gender und political correctness achten, damit man bloß kein falsches Wort verwendet und niemanden unterrespektiert, aber einen Bug-Report nicht mehr verstehen und schon gar nicht darauf reagieren können, weil sie keine Ahnung mehr von der Software haben, als deren Maintainer sie sich aufspielen, nachdem man die ursprünglichen Entwickler rausgedrängt hat.

Das wird in den nächsten 10, 20 Jahren alles weitgehend durchverblöden.