Ansichten eines Informatikers

Der Klugscheißer und der Kontrastumfang von 1:1000

Hadmut
16.11.2024 23:06

Manchmal ist es echt wie beim „Mansplaining“.

Ich hätte drauf wetten können. Immer wenn ich was schreibe, kommt kurz drauf ein Insider-Klugscheißer um die Ecke und will es besser wissen:

Hallo Herr Danisch,

leider liegt im letzten Blog-Eintrag “Die gerechten, antirassistischen Kameras” ein sachlicher Fehler vor:

“Klassisch haben die dynamikärmsten Filme, nämlich Diafilme (die noch dazu das Problem haben, dass man da nachträglich gar nichts mehr korrigieren kann, sondern sie nehmen muss, wie sie eben sind), nur 5 Blenden Umfang. Das macht, 25 = 32 einen Kontrastumfang von 100% bis 3%…”

Tatsächlich haben bzw. hatten Dia-Filme einen Kontrast-Wert von 1:1000, erheblich besser als Papier-Film.

Details, woher er das so genau wissen will, soll ich nicht nennen. Aber auf Wikipedia steht auch sowas.

Mag ja sein, dass er das weiß. Aber verstanden hat er es nicht.

Das kann schon sein, dass moderne Dia-Filme einen messbaren Kontrastumfang von bis zu 1:1000 erreicht haben. Es nutzt einem aber nichts, man kann ihn rechnerisch nicht verwenden.

Warum?

Weil man Dias so angesehen und in den Projektor gesteckt hat, wie man sie fotografiert hat. (Ja, ich weiß, jedesmal wenn ich das erwähne, kommen andere Klugscheißer um die Ecke und wollen mich über das Cibachrome-Verfahren aufklären, mit dem man auch von Dias Abzüge machen kann. Weiß ich. Habe ich als Kind schon verwendet mit Papis Vergrößerungsgerät. Der wollte das nämlich mal ausprobieren, faktisch habe ich das dann gemacht. Das ist aber a) nicht gut, b) sehr teuer und c) kaum benutzt worden. Alle großen Fotolabore haben Abzüge von Dias über den Zwischenschritt eines Negativs gemacht, weben weil das nicht viel taugte. Und ich bitte von jeglichen Klugscheißereien zum Cibachrome-Verfahren abzusehen, sonst nimmt das gar kein Ende.)

Erstens würde man dann ja Graukarten mit 3% (=Schwarz) und nicht 18% verwenden.

Zweitens wäre mir keine einzige Kamera bekannt, die darauf eingestellt war.

Und drittens: Wie wollt Ihr das denn machen? Das kann man vielleicht unter Laborbedingungen messen und nachweisen, aber nicht anschauen, nicht sehen.

Wollt Ihr vielleicht ein schwarzes Dia in den Projektor stecken und dem Publikum sagen „Es sieht nur unterbelichtet aus, Ihr müsste einfach Eure Augen um +3.0 hochkorrigieren, damit Ihr was seht!“ ?

Oder den Diaprojektor auf 8-fache Helligkeit einstellen? Sorry, ich brauche mal Drehstrom, und Ihr hab 4 Millisekunden zu gucken, bis die Birne durchgebrannt ist?

Leute, das ist doch Bullshit, damit zu kommen, dass ein Diafilm bis zu 1:1000 packt, wenn man das nicht sehen kann. (Außer man scannt sie digital und macht eine HDR-Aufnahme draus oder korrigiert sie digital.)

Farbnegativ-Filme haben normalerweise so ungefähr um die 7 und Schwarzweiß-Negative um die 8 oder mehr Blenden Umfang. Die kann man nicht sehen. Aber man kann sie nutzen. Warum? Weil man von Negativen Abzüge macht und dabei die Belichtung nachträglich noch um ein paar Blenden verschieben kann, um diese Reserve auszunutzen.

Kennt Ihr noch diese Ritsch-Ratsch-Klick-Pocket-Kameras aus den 70ern und 80ern?

Die hatten überhaupt keine Belichtungssteuerung. Die haben immer gleich belichtet oder hatten einen Schieber für Wolke und Sonne.

Als ich noch Kind war (wollte ich vorhin schon schreiben, habe ich aber dann doch wieder vergessen) hat man nicht gemessen, sondern nach Regeln fotografiert: Normalerweise nimmt man für draußen einen 21-DIN Film (=100 ASA), und belichtet mit 1/60. Und dann: „Sonne lacht – Blende 8“

Meine erste Kamera, eine Beroquick, hatte am Blendenring auch nur an der Seite Zahlen. Oben standen Wettersymbole. Man hat gar nichts gemessen, sondern immer gleich belichtet.

Warum?

Weil Negative so viel Umfang hatten, dass die automatischen „Printer“, die Maschinen, die die Abzüge machten, die Fehlbelichtung bis zu ein paar Blenden nachträglich beim Erstellen der Abzüge korrigieren konnten. Könnte Ihr Euch noch erinnern, dass die Bilder mal bunt, und mal flau aussahen? Genau deshalb.

Bei Diafilmen geht so etwas nicht. Da ist ein Fehler von einer halben Blende schon genug, um das Bild zu versauen, weil man gar nichts mehr korrigieren kann. Es nutzt einem ja überhaupt nichts, wenn man im Labor nachweisen kann, dass der Film noch bei 1:1000 messbare Unterschiede liefert, wenn das Bild nicht exakt sitzt.

Und genau deshalb haben Kameras ja automatische Belichtungsreihen in 1/2- oder sogar 1/3-Schritten, obwohl Fotos damals richtig teuer waren. Damit man nämlich gleich 3 oder 5 oder 7 Dias mit leicht verschobener Belichtung und dann auf jeden Fall ein gutes, richtig Belichtetes darunter hat. 1:1000 mag im Labor messbar sein, aber das ist fotografisch nicht nutzbar, weil bei Dias das Bild exakt sitzen muss.

Ich hatte damals eine Minolta 7000i. Für die gab es, derbe Geldschneiderei, höllisch teuere Chipkarten mit Sonderprogrammen.

Dazu gehörte (habe ich sogar noch) eine Chipkarte für automatische High-Key und Low-Key-Aufnahmen, also mit weißem oder schwarzem Grundton, die 2,3 Blenden über- und 2,7 Blenden unterbelichtet haben (oder umgekehrt). Für Diafilme. Warum wohl würden die das machen, wenn doch Diafilme 1:1000 könnten?

Das ist einer der Gründe, warum ich damals Aktfotografie gemacht habe: Weil man da viel lernt. Ich hatte nämlich als Student kaum Geld und habe es damals geschafft, einem Elektronikmarkt, der sich etwas verrechnet hat, 100 3M-Diafilme samt Entwicklungsgutscheinen für 500 DM abzuschwatzen, obwohl normalerweise die Entwicklung alleine schon 5 DM gekostet hat. Deshalb musste ich Dia fotografieren, und lernen, die Belichtung sehr sorgfältig zu messen, weil schon kleinste Fehler das Bild versauen. Weil das Bild eben so ist, wie es aus dem Entwicklerbad kommt und nichts mehr zu korrigieren ist.

Das kann schon sein, dass man im Labor einen Umfang von 1:1000 nachweisen kann. Es nutzt einem aber überhaupt nichts, weil man den Tonumfang des Auges nicht ändern kann, und was schwarz aussieht, sieht eben schwarz aus.

Man kann den Leuten noch nicht ein unterbelichtetes Bild zeigen, und sagen, also im Labor lässt sich nachweisen, dass das Bild alle Informationen enthält.

Es ist übrigens überaus nützlich, das verstanden zu haben, denn das Prinzip gilt auch bei Digitalkameras noch.

Wenn man JPEGs fotografiert, kann man hinterher (zumindest ohne sehr deutlichen Qualitätsverlust) nichts mehr korrigieren, dann muss das Bild sitzen. Da hilft einem das überhaupt nichts, ob die Kamera mit 10, 12, 14 oder 16 Bit Tiefe aufnimmt. Man kann die tollste Kamera mit den tollsten Messwerten haben, wenn das Bild falsch belichtet ist, ist das JPEG Schrott. Ende.

Fotografiert man aber RAW, also die Messwerte aus dem Chip, hat man den vollen Tonwertumfang des Chips, und auf jeden Fall noch einen „Entwicklungsschritt“ am Rechner, also das digitale Äquivalent des Negativfilms. Und deshalb gibt es eine Technik, die als „nach rechts fotografieren“ bekannt ist, nämlich nicht richtig zu belichten, sondern so, dass möglichst viel Information und möglichst wenig Rauschen im Bild steckt, den gesehen Tonwertumfang möglichst gut in den Messbereich zu legen. Ob nun zu hell oder zu dunkel. Und dann erst bei der Wandlung von RAW nach Foto die Belichtung und Tonwertkurve festzulegen und das Beste herauszuholen. Ein großer Arbeitsschritt mehr, viel mehr Daten, schwierigere Aufnahmen – aber nur so kann man den Tonwertumfang der Kamera, für deren Chip man soviel Geld rausgeworfe hat, tatsächlich nutzen.

Und der im Prinzip selbe Unterschied wie zwischen JPEG und RAW bestand auch schon zwischen Dia und Negativ.

Und deshalb nutzt einem das nichts, wenn der Diafilm einen Umfang von 1:1000 hinbekommt, wenn man das wegen des Prinzips der Diafotografie nicht ausnutzen kann.

Davon abgesehen gilt in der Fotografie als eine Stufe vor Schwarz, wenn es noch sichtbare „Zeichnung“ gibt. Und nicht, wenn es im Labor noch messbare Unterschiede gibt.

Es ist durchaus möglich und anzunehmen, dass das gar keine andere Aussage ist, sondern „1:1000 im Labor“ und „5 Blendenstufen sichtbar“ dasselbe ist, weil man ja nicht mit der Lupe vor dem Bild steht und guckt, ob man eine Stufe in den Schwarzwerten erkennen kann, sondern ob das noch aussieht, als ob da was sei, beispielsweise Falten in schwarzem Stoff.

Es besteht eben ein Unterschied zwischen Fotografie für das Auge und Labormesswerten. Sichtbar und messbar ist nicht dasselbe.