Ansichten eines Informatikers

Debian vs. Ubuntu

Hadmut
28.11.2024 23:26

Leser fragen – Danisch weiß es auch nicht.

Sehr geehrter Herr Danisch,

ich bin Debian-Benutzer seit Debian 3.1 Sarge, also zu einer Zeit, zu der es Canonical bzw. Ubuntu noch nicht gab.

Zufällig habe ich bei GitHub den Eintrag Switching away from Ubuntu LTS to Debian as our preferred distribution #844 gefunden, in dem insbesondere angeführt wurde, dass die LTS-Version nunmehr kostenpflichtig wird. Sie haben ja auch schon mehrfach (zuletzt in Ubuntu und LVM) ihre Unzufriedenheit mit Canonical/Ubuntu zum Ausdruck gebracht.

Ich (wie wahrscheinlich alle Linux-Benutzer, die Leser Ihres geschätzten Blogs sind) bin sehr daran interessiert, wie Sie Debian aus heutiger Sicht in Vergleich zu Ubuntu beurteilen. Ich habe gestern wieder einmal Debians (12 Bookworm) Graphical Installer für einen neu erworbenen Laptop (ACEMAGIC Laptop, Metallgehäuse, 15,6 Zoll FHD, 16 GB DDR4 512 GB SSD Notebook, In-tel Quad-Core N97(bis zu 3,60 GHz) schlägt N5095,Leichter Laptop 15 Zoll mit WiFi, BT5.0, USB 3.2×2, Type C,HDMI(Gray)) eingesetzt und kann nur sagen, dass dieser Installer keine Wünsche mehr offen lässt. Auch bei meinen bisherigen Installationen bin ich mit Debian 12 Bookworm sehr zufrieden.

Wider den Marxismus!

Mit freundlichen Grüßen

Weiß ich nicht.

Dazu muss ich aber weiter ausholen. Viel weiter.

Zunächst mal ist in der Anfrage meines Wissens ein Fehler. Denn nicht die LTS-Version wird – meines Wissens – bei Ubuntu kostenpflichtig, sondern nur der Support über die zugesagten 5 Jahre für den LTS-Support hinaus. Es gibt eigentlich keinen Grund, das länger zu betreiben. Obwohl mir ein Fall bekannt ist, in dem man aus Stabilitätsgründen eine Maschine, die frei exponiert im Internet stand, und nur als Virtualisierungshost für KVM-Maschinen verwendete, auf denen stark frequentierte Web- und Mailserver liefen, die man natürlich aktualisierte und rebootete, selbst nur mit Updates versorgt, aber nach Ende des offiziellen Supports nie mehr rebootet hatte. Ich müsste nochmal den Screenshot heraussuchen, aber wenn ich mich recht erinnere hatte die Maschine – Ubuntu – eine Uptime von über vier Jahren. Der Linux-Kernel lief unter hoher Last über vier Jahre durch. Und die haben dann diesen kostenpflichtigen Support gebucht, weil sie nur die virtuellen Maschinen, aber nicht den Virtualisierungshost auf neue Versionen upgraden wollten, und waren dann überrascht, dass sie den „kostenpflichtigen“ Support kostenlos bekamen, weil weniger als fünf Maschinen (eben nur eine). Das steht auch in diesem Artikel, dass der Support pro LTS-Version nur fünf Jahre lang kostenlos ist.

Aber was soll das? 5 Jahre ist doch mehr als genug, früher gab es gar nicht mehr als 5 Jahre. Man kann sich doch nicht darüber beschweren, dass es nun zusätzlich zum Kostenlosen gegen Bezahlung noch etwas mehr gibt. Dadurch wird doch nichts teurer. Außerdem gibt es eigentlich – im Allgemeinen – keinen vernünftigen Grund, eine Distribution länger als 5 Jahre zu verwenden.

Den Vorwurf halte ich deshalb für völlig verfehlt.

Die falsche Frage

Wisst Ihr, was mir so richtig auf den Sack geht?

Wenn ich immer dann, wenn ich im Blog irgendwas über eine Linux-Distribution schreibe, sofort Mails bekomme wie „Warum nimmst Du nicht XYZ?“ Oder: „Ich bin so zufrieden mit der Distribution A.“ Oder „Distribution B sieht total gut aus.“

Leute, sorry, das ist so richtig Dünnschiss.

Die Leute wissen doch gar nicht, was ich da überhaupt mache. Es ist doch sehr vom Anwendungszweck abhängig, welche Distribution „passt“, und wenn man sich das anschaut, machen viele Leute nicht mehr als Mail zu lesen und im Web zu surfen, kennen sich mit Linux kaum aus, und beurteilen das einfach danach, ob der Desktop schön aussieht oder man im Forum dazu nette Leute trifft. Meistens ist das dann schon vorbei, wenn ich rückfrage, ob die Linux-Distribution X auch ein Server- oder Cloud-Image anbietet. Nöh, ich sitz’ einfach dafür, und ich mag den grünen Bildschirmhintergrund.

Leute, bitte, das hängt doch davon ab, was man damit machen will.

Ich verwende sehr gerne Ubuntu Server, weil darin zwei Sachen gut unterstützt werden, die ich häufig verwende und sehr brauche: ZFS und LXD. Wenn man die aber nicht braucht, sieht doch die Bewertung ganz anders aus.

Es gibt Leute, die lieben solche rolling releases, an denen man ständig irgendwas rumfrickelt. Wenn man sie fragt, dann haben sie einen PC, vielleicht auch noch einen Notebook. Ich habe dagegen einen Haufen verschiedene Rechner, mit Cloud und so weiter alles zusammen so ein bis zwei Dutzend. Mal mehr, mal weniger. Und das ist kein Problem, weil ich die mit Puppet verwalte und installiere, damit die alle gleich sind. Das ist aber schwierig bei rolling releases. Ich brauche reproduzierbare Systeme.

Womit wir beim nächsten Punkt wären: Da kommen welche vorbei und meinen „Schmeiß’ Ubuntu weg, steig um auf Y!“. Also ob man nur mal die Platte löschen und neu installieren muss. Fragt man zurück, sind das meist irgendwelche Mausschubser, die kaum mehr machen, als Websurfen. Dass das aber ein Riesen-Aufwand wäre, meine ganzen Installationsskripte auf eine andere Distribution umzustricken, sehen die nicht.

Das erinnert mich an einen Idioten von einem (zumindest behaupteten) Fotografen, der mich übel beschimpfte, weil ich die Kamera-Marke X und nicht Y verwende. Ich solle meine Kamera wegschmeißen und mir eine von Y kaufen. Man würde eine Kamera doch sowieso spätestens alle 5 Jahre ersetzen. Da antwortete ich, die Kamera sei nicht das Problem, die kann ich auch mal neu kaufen, aber ich habe richtig viel Geld in Objektiven, und keine Lust, die ohne triftigen Grund alle neu zu kaufen. Da hat er mich beschimpft, wie dumm das wäre, beim Kauf eines neuen Autos bei der alten Marke zu bleiben, weil man noch Winterreifen dafür hat. Wenn die Reifen fünf- bis zehnmal soviel kosten wie das Auto, dann schon. Weil dann das Auto das Zubehör zu den Reifen ist, und nicht umgekehrt.

Für Container verwende ich zum Beispiel bevorzugt Alpine Linux.

Und für Cloud-Anwendungen manchmal CoreOS.

Will sagen: Es kommt drauf an, wofür. Und ob man das Ding für Hobby oder beruflich einsetzt, das kann man doch von außen gar nicht wissen. Ich schüttle mich immer, wenn Leute mir erzählen wollen, welche Linux-Distribution die bessere ist, obwohl sie gar nicht wissen, was ich mache. Und was ich brauche. Installation? Ja, ganz einfach, USB-Stick rein, und dann kann man sich das zusammenklicken. Und wenn ich es automatisiert brauche? Ohne graphische Oberfläche? Und ohne Maus?

Und genauso wenig, wie ich es leiden kann, wenn mir jemand erzählen will, was die bessere Distribution ist, weil er irgendeine mag oder die ein cooles Hintergrundbild hat, komme ich auf die Idee, jemandem erzählen zu wollen, welche Distribution besser ist, ohne zu wissen, was der eigentlich damit machen will.

Zu viele Linux-Distributionen

Ich halte es für einen ziemlichen Mist, dass es so viele Distributionen und Desktops gibt. Weil sich die zur Verfügung stehende Arbeitsleistung auf zu viele Projekte verteilt und dann keines mehr ordentlich gewartet ist. Mir wären 5 ordentlich gewartete Distributionen lieber als 20 notleidende oder murksige.

Debian/Ubuntu

Ich verwende Linux von Anfang an, seit einer Zeit noch bevor es überhaupt Distributionen gab. Als ich noch Admin an der Uni war, kamen mal Kollegen zu mir, sie hätten da was aus dem Usenet gefischt, das wollten sie mal ausprobieren, wüssten aber nicht, wie man das compiliert. Also habe ich als Sun- und Unix-Admin ihnen geholfen, und das Ding compiliert und auf einem 386 gebootet, und vielmehr als ein Prompt und eine Shell kamen nicht. Ja. Schön. Aber machen kann man damit nichts, solange man keine Software dafür hat.

Bald drauf gab es die Softlanding (SLS). Die bestand am Anfang aus irgendwie sowas um 15 Disketten, und wuchs an auf über 80. Ich weiß noch, wie ich richtig Geld ausgegeben und mir bei Karstadt nicht die üblichen 10er-, sondern gleich 20er-Packungen Disketten kaufte und mir Skripte schrieb, mit denen ich alle Suns im Studentenarbeitsraum nachts verwenden konnte, um die neueste Version auf Disketten zu schreiben, weil das sonst ewig dauerte.

Ich bin dann noch über irgendeine andere, deren Name mir nicht mehr einfällt, bei Debian gelandet, damals ganz neu, weil mir deren Package-System so gut gefiel und die nicht ein System aus tar-Dateien zusammenkleisterten.

Ich habe mich dann aber sehr über Debian geärgert, weil die Pakete oft uralt und ungewartet waren, und bin dann so um 2006 herum auf die zweite oder dritte Ubuntu-Release umgestiegen, weil die ein Debian-Derivat war, und mein Wissen weiter funktionierte, aber endlich mal Ordnung und verlässliche Release-Zyklen und Wartung zu haben waren, während Debian – damals – ein chaotischer Sauhaufen war, bei dem man nie wusste, was kommt und wann.

Ich war von Ubuntu die ersten Jahre – ziemlich genau die Zeit, als die noch braune, erdfarbene Bildschirmhintergründe hatten und Gnome 2 noch ein brauchbarer Desktop war – sehr begeistert, und es war sehr zuverlässig und stabil.

Ungefähr als die aber auf die violetten Hintergründe umstiegen, fingen die an zu spinnen und eigene Wege zu gehen, die oft absurd bis bekloppt waren.

Und seit einigen Jahren habe ich den Eindruck, dass Ubuntu stark nachlässt, weil sie nicht mehr genug Leute haben, das zu warten. Auch die verblöden und vergendern. Zu viele woke Leute, die einen Bug-Report nicht mehr verstehen, aber ihn sperren, weil der Umgangston irgendwelchen Vorstellungen nicht entspricht.

Ich weiß aber nur am Rande, wie sich Debian entwickelt hat.

Hin und wieder habe ich mit Debian zu tun, etwa über Raspberry Pi OS oder Qubes OS, oder auch immer wieder mit Bug-Reports zu Ubuntu-Packages, die nur durchgereichte Debian-Packages sind, aber eben nur nischenmäßig. Ich bin jetzt nicht voll fit darin, Debian zu verfolgen, aber so eine richtig zuverlässige Struktur sehe ich da jetzt auch nicht so unbedingt.

Was ich noch nie leiden konnte, ist das rpm-Paketformat und dessen Repository-Struktur. Ich habe beruflich – gezwungendermaßen, weil Vorgabe – jahrelang auch mit Red Hat und CentOS zu tun, und sehe da auch einige Vorteile wie die Selinux-Unterstützung oder OpenShift. Aber: Gefallen hat mir das nie. Wurden die nicht neulich von IBM aufgekauft? Nicht gut.

Worin ich dagegen einige Vorteile sehe, sind deren Derivate wie das zugekaufte CoreOS (Fedora CoreOS), oder diese „immutable“ Versionen wie Silverblue oder Kinoite (wobei ich mit Gnome 3 nicht und mit KDE auch nur bedingt warm werde). Die haben ihre Vorteile. Und ihre Nachteile. Ein herzliches „Kommt drauf an …“.

Mein bevorzugter Desktop wäre LXDE/LXQT. Bei Lubuntu stolpert man aber immer wieder mal über Schlampigkeiten oder schlicht zu wenig Wartungsleistung. Ich hatte mal XFCE ganz gern, nämlich nachdem es ein Gnome-2-Ableger war und Gnome von der tollen Version 2 auf die gruselige Version 3 umstieg. Es kotzt mich an, dass immer mehr Linux-Desktops und -Distributionen keinen eigenen Charakter mehr haben, sondern versuchen, MacOS zu imitieren.

Auf der anderen Seite ist das ganze System aus Distributionen im Umsturz, weil sytemunabhängige Installationsmethoden wie Snap oder Flatpak in Mode kommen, oder man immer stärker mit virtuellen Maschinen oder Docker-Containern arbeitet – oder eben Kubernetes.

Langer Rede kurzer Sinn:

Ich kann und will die Frage nicht beantworten, weil ich sie in dieser Form nicht für zu beantworten halte.

Wenn mich jemand fragt, welches Auto oder Fahrrad er kaufen soll, frage ich ja auch erst einmal, was er damit machen will. Porsche, Wohnmobil, LKW, oder eine Familienschaukel?

Oder wenn mich jemand fragt, was das beste Essen ist. Woher soll ich wissen, was dem schmeckt? Oder ob er auf dem Bau arbeitet, Sportler ist oder am Schreibtisch sitzt?

Es gibt keine, die ich für die beste halte.

Aber ich bin über das, was es gerade gibt, nicht froh. Es gibt zuviel Mist, es müssen ein paar weg.

Insofern spricht aber für Debian, weil da wohl am wenigsten proprietärer Schnickschnack enthalten ist, und die sich am nächsten am alten, unveränderten Unix-System orientieren.

OpenBSD, FreeBSD, NetBSD

Nur weil jetzt garantiert wieder die BSD-Fraktion ankommt:

Jaaa, feines Betriebssystem. Gut gemacht. Nur leider ziemlich irrelevant und nutzlos, weil es darunter nur wenig gibt und das weitgehend zum Selbstzweck wird. Ein Betriebssystem beeindruckt mich nicht, auch wenn es noch so toll gemacht ist, wenn die Anwendungen, die man braucht, darunter nicht laufen. Und drei Varianten von einem Betriebssystem, das kaum relevant wäre, wenn es nur eine gäbe …

Die Zukunft

wird sowieso anders aussehen.

Wir werden künftig deutlich abstrahiertere Systeme haben, bei denen das Betriebssystem auf unterer Ebene nur noch als Hardware-Treiber und Virtualisierungshost da ist, und dann virtuelle Systeme auf virtueller Hardware laufen. QubesOS, CoreOS, Kubernetes usw. gehen ja schon in diese Richtung. Und mit Docker-Containern hat sich quasi schon eine Art systemunabhängiges Paketsystem entwickelt.

Deshalb wird sich diese Frage früher oder später ohnehin in Luft auflösen.