Die blinde Passagierin und die Flughafensicherheit
Klappt wohl auch nicht so.
Man sollte eigentlich meinen, dass das mit der Flughafensicherheit jetzt einigermaßen funktioniert, zumindest seit 9/11.
Ist aber nicht so. Die Morgenpost: Blinde Passagierin – Frau blamiert US-Behörden: Totalversagen am Flughafen
Am New Yorker Flughafen JFK hat es eine Frau geschafft, ohne Ticket und ohne Ausweispapiere durch sämtliche Sicherheitskontrollen und auch noch an Bord eines Flugzeuges zu kommen. Selbst die Crew hat erst kurz vor der Landung in Paris gemerkt, dass eine Toilette dauerhaft besetzt ist und die sich da eingeschlossen hatte.
Ich musste den Artikel zweimal lesen, weil ich erst dachte, das ist ja für Sehende schon schwer, wie aber schafft es eine Blinde, sich mit Reisegruppen reinzuschmuggeln? Ach so, die war nicht blind, die war ein „Blinder Passagier“.
Mir sind aber zwei Vorgänge eingefallen. Drei. Vier.
Einen aus dem Bereich der IT-Sicherheit, in dem Leuten aus einer IT-Abteilung immer wieder Geld aus den Handtaschen und Jackentaschen in den Büros an einem Rechenzentrum gestohlen wurde. Man hat ein paar Leute angespitzt, aufmerksam zu sein, und versteckte Kameras installiert. Und den Dieb gefangen. Ich habe Fotos von dem gesehen. War ein Drogenabhängiger, der sich jeden Tag Geld für Drogen beschafft hat, der aber nicht wie ein Junkie aussah, sondern ordentlich mit Anzug und Krawatte. Als man den Leuten dort die Fotos von dem Typen zeigte, ob sie den schon mal gesehen hätten, meinten einige, „Klar doch, das ist doch ein Kollege, der arbeitet doch hier.“ Es ließ sich rekonstruieren, wie das dazu kam. Die Leute gingen mittags zum Mittagessen, und die Raucher standen nach der Mittagspause noch an der Hintertür des Rechenzentrums, um eine zu rauchen und zu quatschen, und dann durch die Hintertür (mit Kartenleser) in das Gebäude zu gehen. Der hatte das irgendwie spitz bekommen und hatte sich jeden Mittag einfach mit dazugestellt und sich mit den Leuten kollegial unterhalten, so dass der den Leuten bekannt wurde und einfach mit den Leuten zusammen reinging, weil es da keine Vereinzelungsanlage gab. Die dachten, das wäre in Ordnung, den mit rein zu lassen, weil er doch ein Kollege sei. Steht doch jeden Tag bei der Rauchergruppe mit dabei und unterhält sich normal mit.
Ich habe mal so etwas ähnliches getan, zwei Nummern kleiner.
Auf irgendeiner Flugreise hatte ich viel zuviel Gepäck, und weil es ja gewogen wird, als Bordgepäck dabei, weil ich mich darauf verlassen hatte, dass die Fluglinie wie bisher recht kulant sei und nicht so genau gucke. Das kann aber schief gehen, wenn die gerade anders drauf sind, oder das Bodenpersonal nicht von der Linie selbst, sondner vom Dienstleister und nur beauftragt ist, wie das heute in Mode ist. Die kennen keine Kulanz und keine Toleranz.
Wie ich also am Gate in der Schlange zur Ticket- und Ausweiskontrolle und zum Einsteigen durch die Fluggastbrücke stehe, merke ich, wie die vor mir welche aussieben, die zuviel oder zu schwer Bordgepäck hatten. Die wurden alle zu einem anderen Eingang so etwa 8 Meter weiter geschickt, an dem einer stand, der da unerbittlich das Gepäck maß und wog, und gnadenlos Strafgebühren dafür abkassierte, dass das Zeug noch in den Gepäckraum eingecheckt wurde. Sowas kostet auf Langstrecken gerne mal hunderte Euro – pro Stück.
„Oh, Scheiße!“ habe ich gedacht.
Und bin dann natürlich am normalen Gate abgewiesen worden. Die guckte schon höllenstinksauer, wieviel Sonderkram ich da dabei hatte und sagte sowas wie „Na, das geht ja gar nicht“ (oder sinngemäß) und schickte mich zu dem Gnadenlosen mit der Waage und dem Gepäckmaßkasten.
Also dachte ich mir, jetzt probiere ich mal aus, was ich über Social Engineering und Leute überrumpeln aus der IT-Sicherheit weiß. Also bin ich in aller Ruhe, mit aller Selbstverständlichkeit, aber als er gerade mit jemand anderem befasst war, und völlig entspannt und langsam zu dem hin und in aller Selbstverständlichkeit an ihm vorbei gegangen. Aber nicht heimlich, sondern habe ihn angesehen und so höflich-distanziert-kollegial zu ihm „Guten Tag!“ gesagt. Und der hat mich mit irgendeinem Teil des Sozialgehirns auch gesehen, denn er hat mit derselben Selbstverständlichkeit geantwortet und auch „Guten Tag“ zu mir gesagt. Ich habe genickt und bin an ihm vorbei, als wäre das mein Job. Der hat überhaupt nicht gemerkt, dass ich gerade mit einem Haufen Übergepäck an ihm vorbei bin.
Bin ins Flugzeug, habe mein Zeug in die Gepäckfächer gestopft und mich auf meinen Platz gesetzt. Und dachte „Home and dry“, weil sich die Cabin Crew für Übergepäck dann nicht mehr interessiert. Die wollen nur noch pünktlich weg und haben keinen Nerv für Sonderlocken.
Als dann eigentlich schon alles saß, ging plötzlich die Hektik los. Auf die Art und Weise, wie ich in das Flugzeug spaziert war, war ich nämlich nicht am Ticketleser als Eingestiegen registriert worden. Laut Computer am Gate fehlte der Passagier Danisch noch. Laut Durchzählen im Flugzeug und Kontrollgang waren aber alle Plätze besetzt, also ein Passagier mehr im Flugzeug, als hätte drin sitzen dürfen.
Weil der Computer natürlich anzeigte, auf welchem Platz ich sitzen müsste, wenn ich denn säße, kamen zwei Stewardessen auf mich zu und fragten, wer ich sei. Ticket, Ausweis. Vorgezeigt. Alles in Ordnung. Sie haben telefoniert und die Sache war dann in Ordnung, aber die haben dann natürlich nicht gesehen, wieviel Krempel ich da schon in die Gepäckfächer verteilt hatte. (Und vermutlich wäre es ihnen auch egal gewesen, weil die pünktlich weg wollten, um ihren Slot nicht zu verpassen.)
Die wollten vor den Passagieren auch kein Theater machen und das alles leise, diskret, höflich machen, aber man hat schon gemerkt, wie da die Hektik los ging, verdammt, warum haben wir einen Passagier mehr an Bord als wir haben dürften? Und wer?
Ich habe das Jahre später mal einer Frau erzählt, die auch in Sicherheit und Sicherheitstests machte, und die erzählte mir, dass sie eine bestimmte Technik haben, um durch Sicherheitskontrollen zu kommen:
Wenn irgendwo eine Sicherheitskontrolle mit Türsteher ist, durch die sie mangels Ausweis nicht durchkommen, aber durch wollen, dann geht einer da hin, aber nur so nah, dass nicht der Eindruck entsteht, dass er da rein will, sondern nur den Türsteher grüßt (wichtig, damit man „Bekanntschaft“ aufbaut), und sich in aller Selbstverständlichkeit daneben stellt, als würde man auf jemanden warten oder irgendwas kontrollieren. Da bleibt man dann eine halbe Stunde oder Stunde stehen, als warte man auf irgendetwas, ohne den geringsten Eindruck zu machen, als wollte man selbst rein. Schaut aber zu, als würde man den Türsteher kontrollieren oder beobachten. Vielleicht auch gelegentlich mal zur Bestätigung nicken, wenn er jemanden reinlässt oder abweist. Und dann im richtigen Augenblick, wenn die Stunde gerade voll ist oder sowas, guckt man, als hätte man seine Aufgabe erfüllt, packt seinen Kram, grüßt den Türsteher nochmal, und geht rein, als gehöre man dazu. Soll in den allermeisten Fällen funktionieren.
Bei der Bundeswehr habe ich auf Wache mal einen eingebuchtet. Man hatte uns vorher gewarnt, dass es manchmal auch Sicherheitsüberprüfungen gibt, ob wir aufpassen. Ich stand am Tor, und es kam einer, den ich nicht kannte, noch nie gesehen, mit einem VW-Bus, und an den Papieren waren irgendwie zwei Details faul. Ich so: Das stimmt aber nicht, das geht so nicht (oder sowas in der Art). Der Typ am Steuer total erfreut, gratuliert mir, das hätte ich gut gemacht, ich hätte den Test bestanden. Ich so: Das kann jeder sagen. Ich lass mich doch nicht verarschen. Aussteigen! Knarre rausgeholt, den Typ in die Zelle eingebuchtet und einem erst wie ein Panzer guckenden und dann breit grinsenden Wachoffizier Meldung gemacht. Gelegenheit, besonders gut auszusehen und dazustehen. Telefonat, 3. Corps, Kasernenkommandant, irgendein hohes Tier kam auch angefahren und ein anderer rief an, ja, das sei alles in Ordnung, der gehöre wirklich zu ihnen, das sei wirklich eine Sicherheitsüberprüfung gewesen. Nach einer Viertelstunde durfte der wieder raus (und sagte, das wäre das erste Mal gewesen, dass ihm jemand den Glückwunsch nicht abgenommen hätte). Und ja, das sei ein valider Punkt, dass jemand mit falschen Papieren ja einfach sagen könnte „Glückwunsch, Test bestanden!“ – und sie sich noch nicht überlegt hatten, wie der, der den Test macht, beweisen kann, dass er beauftragt und kein Krimineller ist.
Übrigens auch ein alter Trick für Tests zum Eindringen: Man braucht eine Leiter. Alu-Leiter, möglichst leicht, so mindestens 2,50 oder 3 Meter lang. Nicht um irgendwo raufzusteigen, sondern einfach, um sie dabei zu haben. Am besten noch einen Werkzeugkasten. Die muss so lang sein, dass sie nicht in die Sicherheitsschleuse passt. Dann macht einem nämlich jemand von innen die Notausgangstür auf und lässt einen rein.
Ich hatte mal einen Kollegen, der früher im Außendienst bei der Telekom gearbeitet hatte. Und der sagte, wenn man ein Auto mit Telekomschriftzug hat, Kombi, und die Monteurskleidung von der Telekom trägt, kommt man ohne Fragen und Probleme einfach überall rein.
Als ich später in einem anderen Konzern in der IT-Sicherheit war, kam es tatsächlich zwei, dreimal vor, dass sich die Polizei bei uns meldete und schroff anfragte, wie das sein könne, dass sich unsere Mitarbeiter durch Überrumpelung Zugang zu den Wohnungen alter Leute verschafften und klauten, oder sogar festgenommen wurden. Es stellte sich aber immer heraus, dass die nicht von „uns“ waren, und wir da gar keine Monteure und auch eigentlich keine solchen Uniformen wie beschrieben hatten und die nicht kannten, das also Fake war.
Was übrigens auch gut funktioniert: Anzug und Krawatte, dazu ein langer dunkler Akademikermantel, gelber DIN-Plastikschutzhelm (unbedingt neuwertig, und da tragen, wo man ihn überhaupt nicht braucht), Schreibmappe, Entfernungsmessgerät, Diktiergerät. Wie Gutachter oder Architekt aussehen. Sämtliche Leute einfach ignorieren, denen das Gefühl geben, dass sie einem im Weg stehen, ganz langsam an den Wänden entlang gehen, stur nach oben schauen, die obere Raumkante betrachten, ab und zu mal was messen und irgendwelche Baumängel und Baumaße ins Diktiergerät brabbeln, Brandschutzeinrichtungen kontrollieren.
Ich habe mal vor vielen Jahren jemandem geholfen, dessen Kind in der Grundschule oft verprügelt wurde, weil die Lehrer nichts machen wollten und in den Pausen die Aufsicht nicht wahrnahmen. Habe mir Anzug und Krawatte angezogen, so ganz präzise gebunden, so, dass man das auch gut sieht, auf streng gemacht, strenger Haarschnitt und ganz frisch und akurat geschnitten, vornehmen Gutachtermantel, Brille auf, habe mich kurz vor der Pause ganz offen mitten auf den (übrigens nicht abgeschlossenen und deshalb öffentlich zugänglichen) Schulhof gestellt, und dann strengen kontrollierenden stirngerunzelnten Blickes, aber stocksteif da gestanden und die Kinder beobachtet, immer zu den Kloppereien hingesehen. Steht da, wie angewachsen, und guckt immer nur zu den Kloppereien, ohne selbst irgendwas zu machen. Deutlich sichtbar: Ganz schnell Hektik bei den Lehrerinnen. Gottogott, wir werden kontrolliert, da ist einer von der Behörde da. Auf einmal sind die alle mustergültig über den Schulhof geflitzt, und haben wie aus dem Lehrbuch jeden Konflikt sofort unterbunden, als wäre es eine Lehrprobe. Auf einmal ging’s. Man sah, wie die dann wieder zusammeneilten, verstohlen zu mir blickten, möglichst unauffällig, und diskutierten, wer und was ich wohl sein könnte, trauten sich aber nicht zu fragen. Kurz vor Ende der Pause schickten sie dann den Schuldirektor vor (einziger Mann unter den Lehrern, aber ein elender Feigling), und der kam ganz untertänig mit Bückling angeschleimt, und fragte mich, ob ich von der Schulaufsichtsbehörde sei. Kurze trockene Antwort „Nein.“, Tonfall wie wenn Robert Lembke 5 DM ins Schweinderl wirft. Ganz kalt. Nichts weiter gesagt. Einfach stehen geblieben und weiter geguckt. Er meinte dann „Dann rufe ich jetzt mal die Polizei …“ Ich: „Und was wollen Sie denen sagen? Da steht ein Mann auf ihrem Schulhof, und Sie wissen nicht, warum? Na, dann los, machen Sie das!“ Und wie der dann losging, habe ich das Handy rausgeholt und auffällig unauffällig so getan, als würde ich telefonieren so in der Art „Polizei, da ruft gleich einer bei Euch an…“. Als würde ich kurz Bescheid sagen und gleich wieder auflegen. Nicht einmal das hat er sich dann getraut.
Sie haben dann den Hausmeister gerufen, der noch vor Hektik die Wohnungstür hinter sich zugezogen und den Schlüssel drin gelassen hatte, der sich als Einziger ganz normal wie ein Mensch benahm, der einzige vernünftige, nette Mensch, und sich als einziger traute zu fragen, wer ich eigentlich sei und was ich da machte. Warum ich da stehe. Ach, ich bin nur privat aus Neugierde für die und die da, und wollte mir mal anschauen, ob das stimmt, was mir erzählt wurde, dass das Kind verprügelt wird und die Lehrer blöd rumstehen und nichts machen. Das sei ja so unglaublich, dass ich mich hätte überzeugen wollen, ob das so stimmt. Aber weil die Pause jetzt vorbei sei, könnte ich ja auch wieder gehen.
Das Kind wurde danach nicht mehr verprügelt.
Was immer noch die Frage nicht beantwortet, wie die Frau durch den Flughafen in das Flugzeug kam.