Der Kaiserin neue Kleider
Das alte Märchen, Ausgabe 2025, Genderversion.
Wie schafft man es, im Aufmerksamkeitswettbewerb noch vor die Kameras, in die Social Media und sogar in mein Blog zu kommen? Mit der neuesten, unfassbar teuren Designerrobe:
Bianca Censori, die Tussi von Kanye West. Unklar, ob sie das aus eigenem Willen und zu ihrem oder auf Befehl und zu seinem Aufmerksamkeitsvorteil macht.
Das ist natürlich auch ein Punkt, warum Aktfotografie immer schwieriger und uninteressanter wird. Ich habe neulich mal meine Büchersammlung zur Fotografie ausgemistet (Bildbände hebt man natürlich auf, aber Bücher, die sich auf eine bestimmte Software oder auf einen bestimmten Stand der Technik beziehen, kann man nach 20, 30 Jahren rauswerfen) und inventarisiert, und dabei bin ich nochmal die verschiedenen Zeitalter durchgegangen. Im 19. Jahrhundert hat man eigentlich noch kaum im fotografischen Sinne gezeigt, sondern Schmuddelkram und Pornographie hergestellt, die Leute einfach nackt oder beim Bumsen abgelichtet, das war schon Skandal und Höllenwerk genug. In den 20er und 30er Jahren wurde das albern und neckisch, da hat man sich schon in Szene gesetzt, aber meist naiv und unbeholfen. Dann wurde das eher sittlich und angezogen, die prüden 1950er und 1960er, also die Fotografie richtig gut wurde, aber der Trend zum Pin-Up in sexy Kleidung, aber eben Kleidung ging und Marilyn Monroe über dem Abluftschacht schon ein Erotikskandal war. In den 1970ern wurde dann Nacktheit wieder modern, aber war noch verrucht. Man hat sich überhaupt keine Mühe gegeben, sondern einfach ungeschminkt, uninszeniert nackte Weiber mit jeder Menge Schamhaar fotografiert, weil die Dreistigkeit als solche, solches zu tun, zur Schau gestellt wurde, und es noch als Kunst galt, ein scharfes und richtig belichtetes Foto hinzubekommen. Ab den 80ern kam die professionelle Hochglanzzeit, richtig gute Fotografie, bei der nicht mehr das Beherrschen der Technik im Vordergrund stand, sondern plötzlich geschminkt, gestyled, inszeniert wurde, Farben, Motive, Gestaltung, der Brüller. Man hat immer mehr gezeigt, und so um 2000 herum war dann auch jede Scham weg, aber die Fotografie noch schön, und dann ist das ins Dreckige abgestürzt, Stichworte Benetton-Werbung (der Skandal-Fotograf ist vor ein paar Tagen verstorben) und Gender.
Seit der allgemeinen Verfügbarkeit bester Digitalkameras, die die ganze Technik automatisieren, ist das längst zur Pornographie geworden, weil das „Normale“ immer exhibitionistischer wurde, und die Aktfotografie, die ihren Namen längst nicht mehr verdient und zur Boulevardpornographie wurde, versuchte, einen gewissen Skandal- und Exhibitionismusvorsprung zu bewahren.
Was aber will man noch zeigen, noch exponieren, noch als Besonderheit darstellen, wenn die jetzt sowieso dabei sind, nackt herumzulaufen?
Was wollte, was könnte man da noch als Aktfotografie herstellen, anbieten, ansehen?
Obwohl: Ich fand bei der Durchsicht meiner Bücher in einem über Helmut Newton noch ein Titelblatt des Stern, das ich mal aufbewahrt hatte, die tatsächlich mal eine komplett nackte Frau frontal auf dem Titelblatt hatten. Gab ja damals Terror mit Alice Schwarzer und Inge Meysel. Ich glaube nicht, dass sie das heute, oder sagen wir, in den letzten 10 Jahren gewagt hätten, aber es scheint wieder zu kommen. Und diesmal aus den USA. Erinnert Euch mal, was für ein Skandal damals das Nippelgate von Janet Jackson war. Und heute kommen sie ganz nackt, um überhaupt noch zur Kenntnis genommen zu werden.
Eines aber ist auf jeden Fall zu beobachten: Es gibt einen neuen Trend zum Betonen oder gar Vorzeigen seiner primären Geschlechtsmerkmale, gern auch als Camel Toe, der sogar feministisch veranlasst ist: Es gilt nämlich heute als wichtig, zu zeigen, dass man „echt“ ist. Und so werden wir künftig mit Echtheitsbeweisen überflutet werden. Penthouse und Playboy als Exhibitionsplattform vergangener Jahrzehnte sind zwar tot, aber dafür haben wir heute die Social Media. Und bald werden die Südpolechtheitsdarstellungen in jedes Personenprofil gehören.