Kein Bock auf Kassenarzt
Ein Arzt schreibt mir:
Lieber Herr Danisch,
seit knapp [anonymisiert] Jahren bin ich niedergelassen als Kassenarzt und ich und viele kassenärztliche Kollegen sind der Meinung:
es ist nicht klug, eine kassenärztliche Praxis zu betreiben, ohne einen deutlichen Anteil von Privatpatienten und ohne die Option, schrittweise komplett auf Privatmedizin umzustellen.
Denn:
die Honorare pro Patient in der Kassenmedizin sind bei einem niedergelassenen Hausarzt oder Kinderarzt so gering, dass es nur über Masse geht.
die Anspruchshaltungen von Politik und gesetzlichen Krankenversicherungen ggü den kassenärzten werden immer dreister: keine Lohnerhöhung (Punktwert) für die Ärzte, nur für die Arzthelferinnen in den letzten Jahren. Kürzliche forderten mehrere gesetztliche Krankenkassen, dass sie gerne Zugriff auf das Praxisverwaltungssystem der Ärzte hätten, um dort selbst Termine für ihre Versicherten hineinlegen zu können. Und um zu kontrollieren, ob die Ärzte wirklich pro Woche 25 Stunden (vorgeschrieben bei einem vollen Kassenarztsitz) für den Kassenpatienten arbeiten.Viele Kassenärzte stecken allerdings seit Jahren und Jahrzehnten massiv im Hamsterrad fest, sind überarbeitet und schaffen daher nicht den Teil/Ausstieg aus diesem Zwangssystem. Ich kenne persönlich mehrere Fälle, wo Kassenärzte in ihren Praxis hoffnungslos zusammenbrachen, mit der Frage, wie alles blos weitergehen soll.
Hinzu kommt: die meisten Kassenärzte möchten nicht so viel an Preise und Geld denken. Sie fühlen sich ihren Patienten verpflichtet. So achten sie zu wenig auf Wirtschaftlichkeit, bleiben voll im Kassensystem und lästern dann teilweise über Kollegen, die sich daraus verabschieden.
Jedoch kann ich als Arzt im Hamsterrad irgendwann auch keine wirklich gute Medizin anbieten, weil ich mich kaum fortbilde.
Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (die das Geld an die Kassenärzte verteilen) warten mit einer Vielzahl an Regeln und Verwarnungen und Regressen auf, bis zu 4 Jahre rückwirkend. Der Arzt haftet mit seinem ganzen Besitz. Auch aufgrund dieser teils sehr übermäßigen Bürokratie ziehen sich viele Kassenärzte in die Privatmedizin zurück.
mfg
Ich bin begeistert.
Denn ich habe nie den Wechsel in die Private geschafft, obwohl ich über der Einkommensgrenze lag. Erst ging es wegen der Vorerkrankung nicht. Dann ging es nicht, weil ich von freiberuflich zu angestellt gewechselt hatte und per Gesetz 3 Jahre in die Kasse musste. Und dann sagte mir der Versicherungsvertreter „Lassen Sie es bleiben, Sie sind jetzt zu alt, das lohnt sich nicht mehr“.
Und so zahle ich seit 30 Jahren – obwohl Single ohne Kinder – den Höchstsatz und finanziere Gott und die Welt mit, was ich in der Privaten nicht müsste, und bekomme nicht mal mehr einen Termin beim Arzt. Hautärzte in Berlin machen praktisch nur noch privat.
Ach, und mein Vater hatte es auch mal toll erwischt. Der war sein Leben lang in der Gesetzlichen, bekam als Rentner irgendwann aus nicht nachvollziehbaren Gründen mächtig Ärger mit seiner bisherigen Krankenkasse, weil die irgendein Softwareproblem hatten, und dann wollte er in einer andere Kasse wechseln, was zunächst bestätigt, aber dann doch abgelehnt wurde, weil die neue meinte, die alte habe ihn nicht rausgelassen, während sie selbst ihm die Leistung verweigerte, weil er ja gekündigt habe. Obwohl gesetzlich, hatte er drei, vier Jahre gar keine Krankenversicherung, weil er nicht mehr reinkam. Der war schwer krank, konnte aber nicht zum Arzt, weil er keine Krankenversicherung hatte.
Nach Jahren hat er vor Gericht gewonnen, die alte Kasse musste ihn wieder nehmen. Ergebnis: Obwohl er dreieinhalb Jahre nicht versichert war, und trotz schwerer Krankheit nicht zum Arzt konnte, musste er dann – Gesetz für die Gesetzliche – die Krankenkassenbeiträge für diese dreieinhalb Jahre zum Höchstsatz nachzahlen, weil die Kündigung ja laut Urteil unwirksam war, und damit eine gesetzliche Pflicht bestand.
So ähnlich komme ich mir auch vor. Ich zahle, zahle, zahle, und bekomme fast nichts mehr dafür.
Und wenn, dann geht man eigentlich nur noch zum Arzt wie zum Friseur oder ins Restaurant: Sie haben einen Katalog von Dienstleistungen und die Geräte dafür, und es geht eigentlich nur noch darum, welche Dienstleistung man in Anspruch nimmt und dann dafür zahlt.
Im Radio wurde neulich mal diskutiert, warum wir eigentlich so um die 100 Krankenkassen haben – und damit auch etwa 100 Verwaltungen und hochbezahlte Vorstände.
Was aber alles recht deutlich zeigt, dass auch das alles kaputtregiert und kaputtgeplündert wurde.
Auf Zypern zahle ich für ein Medikament, das hier rezeptpflichtig ist und dort frei verkäuflich, ohne Rezept per Barkauf in der Apotheke weniger, als ich hier in Deutschland an Zuzahlung zur Kassenleistung zahlen muss.
In meiner Jugend gab es so etwas wie Zuzahlung gar nicht. Da reichte das Rezept. Und eigentlich hat man auch keine Termine gemacht, sondern ist bei Bedarf einfach so zum Arzt gegangen und hat sich ins Wartezimmer gesetzt, gewartet, bis man dran kam. Fertig. Das hat dann drei Stunden gedauert. Aber nicht drei Wochen oder drei Monate.
Ach ja, auch Brillen und Einlagen gab es vollständig auf Rezept, wenn auch nur das „Kassengestell“.
Meine Großeltern sind noch ein, zwei Mal im Jahr „zur Kur“ gefahren. Auf Kasse. Damals gab es noch sogenannte „Kurorte“.
Und dann erzählen die uns, durch Diversität werde alles besser.
Ich bin mal gespannt, wann es jemand schafft, die gesetzlichen Kassen juristisch zu sprengen, weil erweislich kein ausreichendes Arztangebot besteht und deshalb die Beitragspflicht verfassungswidrig ist.
Mich würde ja mal eine genaue Aufschlüsselung interessieren, wo das ganze viele Geld eigentlich bleibt. Wenn wir vorne Geld reinwerfen, wie bekloppt, und hinten bei – Fachkräftemangel – zu wenig Ärzten immer weniger Geld ankommt – wo versickert es denn dann?